Arzneimittel und Therapie

Neues Erythropoetin: Mehr Lebensqualität für Dialysepatienten

Die Therapie von Patienten mit einem Ausfall der Nierenfunktion ist eine der großen Erfolgsgeschichten der modernen Medizin: Heutzutage können weltweit Hunderttausende von Menschen mit schweren Nierenkrankheiten, die noch vor wenigen Jahrzehnten an "Harnvergiftung" (Urämie) verstorben wären, durch Dialyseverfahren und Nierentransplantation am Leben gehalten werden. Die Patienten haben heute mit der Dialyse eine so hohe Lebensqualität, dass sie ein weitgehend normales Leben führen können.

Bis 1989 fand sich auf den Dialysestationen ein völlig anderes Bild: Die Mehrzahl der Patienten litt unter einer schweren Blutarmut (renalen Anämie). Patienten mit chronischem Nierenversagen entwickeln bereits in einem frühen Stadium ihrer Erkrankung eine renale Anämie.

Zu wenig Erythropoetin

Der gesunde Organismus produziert in der Niere 80% des benötigten Hormons Erythropoetin. Dieses Hormon induziert im roten Knochenmark die Bildung roter Blutkörperchen (Erythropoese). Wenn die Nierenfunktion eingeschränkt ist, wird zu wenig Erythropoetin gebildet, und somit entstehen zu wenige Erythrozyten für die Sauerstoffversorgung des Organismus. Als Folge kommt es zu einer Anämie, der Patient fühlt sich müde und ist körperlich und geistig nicht mehr leistungsfähig. Früher waren zur Behandlung der Anämie bei Dialysepatienten regelmäßige Bluttransfusionen erforderlich.

Bessere Lebensqualität dank Erythropoetin

1985 wurde das gentechnisch hergestellte Hormon Erythropoetin in ersten klinischen Studien beim Menschen eingesetzt. 1987 wurden nahezu zeitgleich zwei Arbeiten publiziert, die die dramatische Besserung der Blutarmut von Dialysepatienten nach der Anwendung von rekombinantem, humanem Erythropoetin beschrieben. Die Patienten spürten rasch eine Zunahme ihrer körperlichen Belastbarkeit, hatten einen besseren Schlaf, eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit und einen gesteigerten Appetit.

Zahlreiche klinische Studien folgten, die im Prinzip alle die hohe Wirksamkeit und gute Verträglichkeit des Hormons belegten. Seit 1989 wird rekombinantes humanes Erythropoetin (Epoetin alfa und Epoetin beta) bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz parallel zur Dialysebehandlung eingesetzt. Die Patienten fühlen sich unter der Therapie mit diesem Erythropoetin deutlich leistungsfähiger, können zum Teil wieder ihre Arbeit aufnehmen und ermüden nicht so schnell.

In der letzten Dekade wurde die optimale Anwendungsweise und Dosierung von Epoetin erprobt. Im Schnitt sind bei einer Halbwertszeit von vier bis acht Stunden dreimal wöchentlich subkutane Injektionen notwendig. Epoetin kann auch intravenös verabreicht werden, dann sind allerdings um 25 bis 30% höhere Mengen erforderlich. Zusätzlich sollte die Blutbildung durch die Einnahme von Eisenpräparaten und VitaminC unterstützt werden.

Modifiziertes Erythropoetin mit längerer Halbwertszeit

Jetzt wird ein neues Erythropoetin, Darbepoetin alfa (NESP, novel erythropoiesis stimulating protein, Aranesp), für die Therapie der renalen Anämie eingeführt. Es unterscheidet sich vom humanen Erythropoetin durch zwei zusätzliche Kohlenhydratketten, die den Abbau des Proteins verzögern. Damit hat die neue Substanz eine zwei- bis dreifach längere Halbwertszeit im Serum als rekombinantes Erythropoetin, und die Applikationsfrequenz kann deutlich reduziert werden. Dies erleichtert bei dreimal wöchentlich hämodialysierten Patienten die Behandlung, und ambulante Patienten (z.B. Peritonealdialysepatienten, Tumorpatienten, Patienten nach Knochenmarktransplantation) müssen seltener den Arzt aufsuchen.

Bei Patienten, die dreimal wöchentlich Epoetin erhalten haben, reicht eine intravenöse Spritze des neuen Darbepoetin alfa pro Woche aus. Im Gegensatz zu humanem Erythropoetin gibt es bei Darbepoetin alfa keinen Unterschied bei subkutaner und intravenöser Applikation. Neben den Dialysepatienten profitieren auch Tumorpatienten und Patienten nach einer Knochenmarktransplantation von der neuen Substanz.

Gut wirksam und verträglich

Darbepoetin alfa wirkt vergleichbar gut wie humanes Erythropoetin, und auch die Nebenwirkungen sind vergleichbar. In den Zulasssungsstudien wurde geprüft, ob

  • ein gewünschter Hämotokritwert auch bei seltenerer Gabe von Aranesp, z.B. einmal pro Woche oder gar alle zwei Wochen, sicher erreicht werden kann.
  • das Hämoglobin mit Aranesp in gleicher Weise stabil gehalten werden kann wie mit Epoetin alfa oder beta.
  • die Sicherheit und Verträglichkeit von Aranesp mit der von bisher verfügbarem humanem Erythropoetin vergleichbar ist.

Die Ergebnisse einer Reihe von Studien zeigen, dass Patienten die gleichen stabilen Hämoglobinwerte aufwiesen, wenn sie von der üblichen zwei- bis dreimal wöchentlichen Epoetin-Therapie auf eine einmal wöchentliche Aranesp-Therapie bzw. von der einmal wöchentlichen Epoetin-Therapie auf eine einmal alle zwei Wochen erfolgende Aranesp-Therapie umgesetzt wurden.

Die Reduktion der Injektionsfrequenz von bisher zwei- bis dreimal pro Woche Epoetin auf einmal pro Woche Aranesp konnte in 97% der Fälle erfolgreich beibehalten werden. Bei Patienten die einmal Epoetin erhielten, genügte die zweimal wöchentliche Gabe von Aranesp in 95% der Fälle, um die Hämoglobinwerte stabil zu halten.

Das Spektrum der Nebenwirkungen war bei humanem Erythropoetin und Aranesp nicht unterschiedlich. Insbesondere die häufigsten Nebenwirkungen wie Blutdruckanstieg und Shuntthrombosen waren bei Aranesp-Therapie nicht häufiger aufgetreten als unter der Behandlung mit Epoetin. Unter Anwendung von Aranesp bei über 5000 Patienten konnte keine immunologische Reaktion, wie Antikörperbildung, beobachtet werden.

Kastentext: Dialyse in Deutschland

In Deutschland leiden etwa 60000 Menschen an terminalem Nierenversagen, etwa 12000 erkranken jährlich neu an chronischem Nierenversagen. Davon sind 24% Diabetiker. Patienten mit terminalem Nierenversagen sind nicht in der Lage, ohne medizinische Hilfe zu überleben. Mit der Dialyse muss ihr Blut regelmäßig gereinigt werden, da die Nieren diese Aufgabe nicht mehr übernehmen können.

Bei der hauptsächlich durchgeführten extrakorporalen Hämodialyse, der "Blutwäsche", wird das Blut in den meisten Fällen über einen speziellen Gefäßzugang am Arm des Patienten entnommen und in den Dialysator weitergeleitet. Dort kommt es über eine semipermeable Membran mit der Dialyseflüssigkeit in Kontakt. Wasser, Salze, Giftstoffe und Stoffwechselabfallprodukte werden auf diese Weise aus dem Blut des Patienten entfernt. Anschließend wird dieses zurück in den Körper geleitet. Diese Art der Dialyse wird in der Regel dreimal wöchentlich durchgeführt.

Kastentext: Kranke Nieren führen zur Blutarmut

In der Malerei gibt es bereits aus dem 18.Jahrhundert Darstellungen von blassen (wohl "anämischen") Patienten, deren Urin, als Hinweis auf das Vorliegen einer Nierenkrankheit, gerade sehr sorgfältig untersucht wird. Die erste medizinische Beschreibung des Zusammenhanges zwischen Nierenkrankheiten und Blutarmut von Sir Robert Christison stammt dagegen erst aus dem Jahr 1839. Er wies eine zunehmende "Entfärbung" des Blutes bei Patienten mit der Bright'schen Erkrankung, (Glomerulonephritis) nach. Bis zum Beginn des 20.Jahrhunderts geriet die Anämie als Folge einer Nierenkrankheit wieder in Vergessenheit. Selbst 1934 erwähnte Robert Platt die Blutarmut bei der Schilderung der Symptome der Urämie nur in einem Nebensatz. 1953 konnte dann Alan Erslev demonstrieren, dass Serum von Tieren mit Anämie, wenn es anderen Versuchstieren injiziiert wird, einen blutbildenden (erythropoetischen) Effekt hat. Jacobson identifizierte vier Jahre später die Nieren als den Bildungsort des dafür verantwortlichen Hormons, des Erythropoetins. Die Untersuchungen der Pioniere der Erythropoetin-Forschung erlaubten schließlich 1983 die Klonierung und Expression des humanen Gens. 1985 wurde das gentechnisch hergestellte Hormon in ersten klinischen Studien beim Menschen eingesetzt. 1987 wurden nahezu zeitgleich zwei Arbeiten publiziert, die die dramatische Besserung der Blutarmut von Dialysepatienten nach der Anwendung von rekombinantem, humanem Erythropoetin (rHuEPO, Epoetin) beschrieben. Die Patienten spürten rasch eine Zunahme ihrer körperlichen Belastbarkeit, hatten einen besseren Schlaf, eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit und einen gesteigerten Appetit.

Quelle: Prof. Dr. med. Jürgen Bommer, Heidelberg; Prof. Dr. med. Reinhard Brunkhorst, Hannover; Priv.-Doz. Dr. med. Winfried Kösters, Villingen-Schwenningen. Fachpressekonferenz "NESP - ein Meilenstein in der Therapie der Anämie", München, 30.Mai 2001, veranstaltet von Amgen, München.

Durch die seit einigen Jahren eingeführte Behandlung ihrer renalen Anämie mit Erythropoetin haben Dialyse-Patienten heute eine so hohe Lebensqualität, dass sie ein weitgehend normales Leben führen können. Jetzt wird ein neues Erythropoetin, Darbepoetin alfa (NESP, novel erythropoiesis stimulating protein, Aranesp) eingeführt. Es unterscheidet sich vom bisher verwendeten rekombinanten humanen Erythropoetin durch zwei zusätzliche Kohlenhydratketten, die den Abbau des Proteins verzögern. Damit hat die neue Substanz eine zwei- bis dreifach längere Halbwertszeit im Serum als rekombinantes Erythropoetin, und die Applikationsfrequenz kann deutlich reduziert werden.

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