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parmapharm-Mitgliederversammlung: Steht der Systembruch bevor?

KÖLN (tmb). Arzneimittelversandhandel und Öffnung des ambulanten Sektors für Krankenhausapotheken sind für ABDA-Vizepräsident Heinz-Günter Wolf die Primärprobleme des deutschen Apothekenwesens. In der Analyse der politischen Lage stimmt er mit der Sichtweise der Apothekenkooperation parmapharm überein, wie sich am Vorabend der Mitgliederversammlung der parmapharm am 9. Juni in Köln ergab. Wolf-Peter Krause, Sprecher des Beirates der parmapharm, befürchtet erhebliche Veränderungen im Gesundheitswesen nach der Bundestagswahl 2002. Doch sehen die parmapharm-Apotheken auch bei einem Systembruch ihre Unabhängigkeit durch die Zusammenarbeit in der Kooperation als gesichert an.

Für ABDA-Vize Wolf stellen nur der Versandhandel und die Öffnung der ambulanten Versorgung für Krankenhausapotheken die Struktur der freiberuflichen Individualapotheke insgesamt in Frage. Alle anderen Diskussionen beträfen Sekundärthemen, die nicht die Existenz bedrohten.

Versandhandelsverbot ist Verbraucherschutz

Das Versandhandelsverbot sei unter der maßgeblichen Beteiligung des Landes Niedersachsen mit dem damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder als Verbraucherschutzregelung eingeführt worden. Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erkenne den Verbraucherschutz an, so dass er in dieser Hinsicht guter Hoffnung sei.

Wenn Deutschland aber den Versandhandel erlauben würde, dürften aus europarechtlichen Gründen alle EU-Apotheken nach Deutschland liefern. Umgekehrt dürften deutsche Apotheken aber nicht in die zahlreichen Länder mit Versandhandelsverbot versenden. Dann gelte auch das Ursprungslandprinzip und Deutschland müsse "den gesamten Verbraucherschutz an der Garderobe der EU abgeben." Bei Versandhandel müssten deutsche Apotheken mit Kettenapotheken aus dem Ausland konkurrieren. Dann könne vermutlich auch das deutsche Fremd- und Mehrbesitzverbot weggeklagt werden.

Systembruch duch Krankenhausapotheken

Entsprechendes gelte für die Integrierte Versorgung mit einem Wettbewerb zwischen öffentlichen Apotheken und den im Fremd- und Mehrbesitz stehenden Krankenhausapotheken. Eine kleine Öffnung für die Herstellung von Spezialrezepturen in Krankenhausapotheken könne bereits den Anlass für den Systembruch geben.

Andererseits mache die Grundidee der Integrierten Versorgung - Leistungsbündelung und Verzahnung des ambulanten und stationären Bereiches - durchaus Sinn. Dem könnten und sollten sich die Apotheker nicht verschließen. Es dürfe aber nicht zur Öffnung des ambulanten Bereiches für Krankenhausapotheken und nicht zu erpressbaren "Hof-Apotheken" kommen. Stattdessen solle eine pharmazeutische Leistungsgemeinschaft entstehen. Die parmapharm-Apotheken forderte Wolf auf, als besonders leistungsfähige Apotheken ein solches Engagement in aller Kollegialität auf lokaler Ebene zu bündeln.

Komplexe Preisbildung

Wolf warnte auch vor der Idee des Auseinzelns bei der Belieferung von Alten- und Pflegeheimen. Die Kalkulationsgrundlage wäre dann sicher nicht die N1-Packung. Vielmehr gehe es um einen Paradigmenwechsel vom Fertigarzneimittelsystem zu einer Arzneimittelversorgung nach angelsächsischem Muster ohne Bindung an Fertigarzneimittel. Das deutsche Arzneimittelgesetz sei ein "Fertigarzneimittelgesetz" und müsse dann mit der ganzen Versorgung neu überdacht werden, von der Haftung bis zur Preisbildung und dem Honorar der Apotheker. Hierzu sei an das Wahlprogramm der SPD von 1998 zu erinnern, in dem Arzneimittelpreisverhandlungen zwischen Pharmaindustrie und Krankenkassen gefordert wurden.

Auch die grundlegende Neuregelung der Krankenhausfinanzierung über Diagnosis Related Groups (DRGs) könne sich auf die Apotheken auswirken. Sie schaffe einen Anreiz für frühzeitige Entlassungen aus dem Krankenhaus, was den Bedarf für medizinische und pharmazeutische Betreuung im ambulanten Sektor erhöhe. Dies erscheine vorteilhaft, doch müsse das Geld dieser Leistung folgen. Die zusätzliche Leistung dürfe nicht ohne Gegenleistung verlangt werden.

Allerdings werde die Arzneimittelpreisverordnung wohl verändert werden müssen, auch um den Anreiz für den selektiv günstigeren Bezug einzelner Arzneimittel über das Internet zu beseitigen. Für Festbeträge sei in einem solchen System aber kein Raum mehr. Die Chancen für eine Aut-idem-Regelung seien gestiegen, doch eine mögliche feste Abgabegebühr für die betroffenen Arzneimittel kollidiere wirtschaftlich mit einem prozentualen Kassenabschlag. Dieser sei andererseits als Skontoregelung durchaus vorteilhaft. So müssten bei jeder Neuregelung die Folgen innerhalb des komplexen Systems beachtet werden.

Uneinheitliche politische Positionen

Wolf verglich die Positionen der verschiedenen Interessengruppen und politischen Richtungen zu diesen Themen. Innerhalb der SPD sieht er eine Diskrepanz zwischen dem liberaleren Gesundheitsministerium und der SPD-Arbeitsgruppe um Regina Schmidt-Zadel und Peter Schmidt. Die Position der letztgenannten Gruppe decke sich weitgehend mit der der CDU/CSU.

Unter den vielfältigen Positionen der anderen Beteiligten des Gesundheitswesens und angesichts der sich ständig ändernden Auffassungen sieht Wolf keinen Generalverbündeten der Apothekerschaft, vielmehr seien Verbündete zu einzelnen Themen gefragt. Gegenüber der Öffentlichkeit müssten die Apotheker den gebotenen Nutzenvorteil deutlich machen.

Übereinstimmung mit der parmapharm

Der Sprecher des Beirates der parmapharm, Wolf-Peter Krause, Preetz, betonte, dass die parmapharm in ihrer Einschätzung der politischen Lage mit den Ausführungen von Wolf übereinstimmt. "Im Geiste sind sie einer von uns," kommentierte er die Ausführungen des ABDA-Vizes. Aus Sicht der parmapharm sind Arzneimittelpreisverordnung, Fremd- und Mehrbesitzverbot sowie Versandhandelsverbot die Säulen des deutschen Apothekensystems. Damit befinde sich die Apothekenkooperation "in völliger Übereinstimmung mit der ABDA". Doch eine Veränderung der Arzneimittelpreisverordnung werde im derzeitigen politischen Umfeld nicht ergebnisneutral möglich sein, stattdessen werde damit der Bestand der Arzneimittelpreisverordnung zum Diskussionsthema gemacht. Intern könne allerdings "für den Ernstfall über eine neue Verteidigungslinie" nachgedacht werden.

Position zur ABDA

Die Apotheker seien in der glücklichen Lage, über die ABDA mit einer Stimme sprechen zu können. Die parmapharm bejahe die Aufgaben und Zuständigkeiten der Kammern und Verbände. Auch die parmapharm sehe in Exklusivverträgen mit Krankenkassen ein extremes Gefährdungspotenzial für das Apothekensystem. Doch solle die ABDA auch die parmapharm richtig einschätzen. "Die Systemgegner sitzen nicht bei parmapharm. Der Feind steht woanders," erklärte Krause.

Der frühere ABDA-Geschäftsführer Pieck habe dies erkannt und 1999 die Existenz einer wirtschaftlich orientierten Apothekenkooperation mit Gebietsschutz und besonderen Qualitätsanforderungen anerkannt. Doch die Mehrheit der Kammerpräsidenten sei einer solchen liberalen Auffassung nicht gefolgt. Die ABDA können sich aber der derzeitigen Haltung der parmapharm künftig nicht mehr sicher sein, wenn Druck auf Mitglieder des ABDA-Gesamtvorstandes ausgeübt werde, die parmapharm-Mitglieder sind oder waren. Wirtschaftliches Denken müsse in der ABDA an Bedeutung gewinnen. Er begrüße daher die Wahl von Heinz-Günter Wolf zum ABDA-Vizepräsidenten und von Volker Articus zum Kammerpräsidenten in Schleswig-Holstein.

Großhandel und Apothekenketten

Mit Blick auf den Eintritt des ehemaligen ABDA-Geschäftsführers Pieck in den Gehe-Aufsichtsrat meinte Krause, bis zum Beweis des Gegenteils sollte angenommen werden, dass Pieck sich dort weiterhin für die Individualapotheke einsetzen werde. Denn er werde wohl nicht sein eigenes Lebenswerk zerstören wollen. Mit dem umstrittenen Zitat, die Apotheke sei ersetzbar, habe Pieck wohl gemeint, der Arzt sei originär unverzichtbar, die Apotheke sei dagegen ein kultureller Wert, der durch das Dispensierrecht vor 750 Jahren geschaffen wurde.

Bei Gehe werde offen über die Geschäftsabsichten gesprochen. In Großbritannien belieferten die Großhändler der Gehe-Gruppe auch unabhängige Apotheken, einschließlich der Newcare-Apotheken, die in einer Kooperation zusammengeschlossen sind. Problematischer sei dagegen die Aktivität von Phoenix mit dem MVDA zu sehen. Ein solcher Pool gefährde die Arzneimittelpreisverordnung. Im Falle eines Systembruches könne daraus sogar eine Kette entstehen, die sich dann gemeinsam mit dem Hersteller Ratiopharm unter dem Dach der Merckle-Gruppe befinde. Gehe habe sich dagegen von seinen Herstellungsaktivitäten getrennt, z. B. von der Jenapharm.

Systembruch droht

Für eine mögliche Gesundheitsreform im Jahr 2002 sollten keine Parallelen zu den Seehofer-Reformen von 1992 vermutet werden. Diesmal gehe es um einen Systembruch. Die SPD werde bis zur Bundestagswahl keine Gruppe verärgern wollen. Doch statt des Taktierens sei ein klares Bekenntnis zum bestehenden System zu fordern. Denn in der SPD gebe es eine starke Gruppe, die den Krankenkassen-Ideologen folge und sozialistische Gleichmacherei betreibe.

Im Unterschied zu früheren Reformdiskussionen seien diesmal nicht einmal die Apotheker unter sich einig. So versteckten sich die Krankenhausapotheker hinter der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die eine Öffnung der Krankenhausapotheken für den ambulanten Bereich anstrebe. Doch für Krause sind "die öffentlich subventionierten Krankenhausapotheken nicht die 5-Sterne-Betriebe der Zunft". Die Krankenhausapotheker sollten endlich offen für oder gegen das bestehende System eintreten.

Besonders erschreckend sei das Verhalten einiger Krankenkassengeschäftsführer, die offen den Gesetzesbruch propagierten und zum Einkauf bei Internet-Versandapotheken aufforderten. Problematisch seien auch die Angriffe auf die Arzneimittelsicherheit. So setze der deutsche Ärztetag, der die Wiederverwendung von Arzneimitteln aus Haushalten fordere, für eine mögliche Einsparung von 0,1% des Arzneimitteletats der Krankenkassen die Arzneimittelsicherheit aufs Spiel.

Vor diesem Hintergrund müssten die Apotheken besondere pharmazeutische Leistungen erbringen. Hierzu gehöre das Engagement in Beratung, Betreuung und apothekergestützter Selbstmedikation. Für die parmapharm seien diese Ansprüche in zehn Thesen formuliert. Im Mittelpunkt der Arbeit für Kunden und Patienten stehe die Gesundheit in einem ganzheitlichen Sinn.

Schutz- und Trutzbündnis

Doch sei die Situation der parmapharm-Apotheken besser als das beschriebene Szenario erwarten lasse. Denn das "Schutz- und Trutzbündnis gegen Systemveränderungen oder Wirtschaftskrisen im Arzneimittelmarkt" sei auf inzwischen 576 Mitglieder gewachsen. Kein freiwilliger und ökonomisch unabhängiger Wirtschaftsverband von Apotheken außerhalb der ABDA habe eine solche Einkaufskraft.

Ihre Leistungsfähigkeit mache die parmapharm-Apotheken für den Fall eines Systembruches interessant für alle Konzerne, die Ketten aufbauen wollten. Doch sichere die parmapharm die Unabhängigkeit der Mitgliedsapotheken. Mit dem Satz "unsere starke Gemeinschaft ist nicht käuflich," fasste Krause die Strategie zusammen. Er forderte interessierte Apotheker und Industriepartner auf, beizutreten bzw. mit der parmapharm zusammenzuarbeiten, bevor es zu einem Systembruch komme.

Arzneimittelversandhandel und Öffnung des ambulanten Sektors für Krankenhausapotheken sind für ABDA-Vizepräsident Heinz-Günter Wolf die Primärprobleme des deutschen Apothekenwesens. In der Analyse der politischen Lage stimmt er mit der Sichtweise der Apothekenkooperation parmapharm überein, wie sich am Vorabend der Mitgliederversammlung der parmapharm am 9. Juni in Köln ergab. Wolf-Peter Krause, Sprecher des Beirates der parmapharm, befürchtet erhebliche Veränderungen im Gesundheitswesen nach der Bundestagswahl 2002. Doch sehen die parmapharm-Apotheken auch bei einem Systembruch ihre Unabhängigkeit durch die Zusammenarbeit in der Kooperation als gesichert an.

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