Berichte

Fortbildungswochenende in Alexisbad

Wenn alljährlich nach der Walpurgisnacht im Harz die Hexen und Teufel vertrieben sind und der Frühling begrüßt wird, erobern am ersten Maiwochenende die Apotheker Sachsen-Anhalts das Harzstädtchen Alexisbad. Bereits zum 7. Mal lud die Apothekerkammer am 5. und 6. Mai ihre Mitglieder dorthin zum traditionellen Fortbildungswochenende ein. Der Fortbildungsausschuss hatte das Rahmenthema "Der ältere Patient in der Apotheke" gewählt. Ältere Menschen bedürfen wegen ihrer oft chronischen Erkrankungen und der damit verbundenen Polypharmazie der besonderen Aufmerksamkeit und Betreuung. Entsprechend groß war auch das Interesse der Apotheker an den angebotenen Vorträgen und Seminaren.

Arzneitherapie im höheren Lebensalter

Die Arzneimitteltherapie beim älteren Menschen ist durch Multimorbidität und Mehrfachtherapie gekennzeichnet. Mit dieser Feststellung begann Prof. Dr. med. Hasso Scholz, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, seinen Vortrag. Häufige Folge sind Arzneimittelwechselwirkungen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), oft verursacht durch eingeschränkte renale Elimination, aber auch durch Nicht- oder Falscheinnahme von Arzneimitteln.

Änderungen der Pharmakodynamik sind nur selten vom Lebensalter abhängig und deshalb für die Wirkung des Arzneimittels kaum relevant. Dagegen ist die Berücksichtigung der pharmakokinetischen Daten einer Reihe von Arzneimitteln bei der Dosisfestlegung unbedingt erforderlich. Die bekannten Veränderungen im Verhältnis von Körperfett und Körperwasser haben zwar Einfluss auf die Verteilung des Arzneistoffes in den Kompartimenten, spielen wegen der meist chronischen Therapie aber eine untergeordnete Rolle.

Bei Arzneimittelverordnungen für ältere Patienten darf nie vergessen werden, dass die renale Elimination - schon etwa vom 40. Lebensjahr an - jährlich abnimmt. Als Beispiele für notwendige Dosisanpassungen wurden Aminoglykosidantibiotika, Digoxin und Lithium genannt.

Schlussfolgernd formulierte Scholz folgende Grundsätze: 1. Individuelle Therapie. Das bedeutet einschleichende Therapie zur Findung der optimalen Dosis (Richtwert: ab dem 65. Lebensjahr Reduzierung der Normdosis um etwa 1% pro Lebensjahr). 2. Besondere Abwägung von Nutzen und Risiko. Das gilt insbesondere für Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite (z.B. Herzglykoside, Lithium), mit langer Halbwertzeit (z.B. Digitoxin, Diazepam) oder mit hauptsächlich renaler Elimination (z.B. Kaliumsalze, Atenolol, Penicillin, Aminoglykoside). Im Bedarfsfall sind Therapiealternativen zu suchen. 3. Vereinfachung der Therapie. Zur Verbesserung der Compliance wäre es wünschenswert, nicht mehr als drei Arzneimittel pro Tag zu verordnen. Sicher leichter realisierbar ist die Forderung nach "einfacher Dosierung", sprich nach verstärktem Einsatz von Retardformen. Auch an eine "altersgerechte Konfektionierung" (erinnert wurde an Durchdrückpackungen, kindergesicherte Verschlüsse) muss gedacht werden. 4. Gespräch mit dem Patienten. Hier wandte sich der Referent ganz besonders an die Zuhörer und forderte sie auf, im Konsens mit dem Arzt, dem oft die Zeit für ein ausführliches Gespräch fehlt, die Arzneimittel und deren Dosierung in verständlicher Form zu erläutern und zusätzlich aufzuschreiben. Außerdem ist auf mögliche unerwünschte Wirkungen in geeigneter Form aufmerksam zu machen und ein fast immer vorhandenes Misstrauen (z.B. nach Lesen des Beipackzettels) abzubauen.

Die Beachtung dieser Grundsätze sichert eine optimale Arzneimitteltherapie im Alter. Im zweiten Teil seiner Ausführungen ging Scholz auf einige wichtige, im Alter besonders häufig verordnete Arzneimittelgruppen im Rahmen der Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein. So erinnerte er daran, dass Herzglykoside nach wie vor häufig verordnet werden, und begründete die Bevorzugung des Digitoxin gegenüber dem Digoxin an Hand ausgewählter pharmakokinetischer Daten.

Bei der Therapie mit Diuretika z.B. bei Hypertonikern warnte er eindringlich vor einer Dehydratation. Außerdem ist die engmaschige Kontrolle des Kaliumhaushaltes notwendig, um Herzrhythmusstörungen als unbeabsichtigte Folge einer Hypokaliämie zu verhindern. Betablocker sind nach Ansicht des Referenten nicht Mittel der ersten Wahl, für Calcium-Antagonisten und ACE-Hemmer gebe es keine prinzipiellen Einschränkungen. Abschließend wies der Referent nochmals darauf hin, dass die Polytherapie für den älteren Patienten ein Problem, für den Apotheker eine Herausforderung ist. Er kann durch Hinwendung zum Patienten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Compliance zu verbessern und mögliche UAW zu erkennen.

Osteoporose

Mit einem Vortrag über Ursachen, Diagnostik und Therapie der Osteoporose fesselte Prof. Dr. Dieter Felsenberg, Zentrum für Muskel- und Knochenforschung am Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin-Steglitz, das Auditorium. Er ging zunächst kurz auf die Vorgänge des Knochenaufbaus (Modelling) und der Erneuerung und Reparatur (Remodelling) ein. Neben die Risikofaktoren wie Sexualhormonmangel, Glucocorticoidtherapie, Immobilisation stellte er den Sturz als einen oft unbeachteten "Risikofaktor". Er führt meist zur Immobilisation des Patienten, diese wiederum zum weiteren Knochenabbau.

Vitamin-D-Mangelzustände bedingen Muskelschmerzen und Krafteinschränkungen bis hin zu extremer Muskelschwäche. Reduzierte Muskelkraft ist eine der Ursachen für Frakturen im höheren Lebensalter. Unter Vitamin-D-Substitution nimmt die Muskelkraft deutlich zu. Felsenberg appellierte an die Zuhörer, dass gerade in der Apotheke hier viel getan werden kann, osteoporosegefährdeten Patienten eine Prophylaxe zu empfehlen, ggf. auch Betroffene zusätzlich zu ärztlich verordneten Maßnahmen zu unterstützen.

An Hand elektronenmikroskopischer Aufnahmen wurde deutlich, dass Osteoporose nicht einfach "Knochenschwund" bedeutet. Neben einer Abnahme der Knochensubstanz kommt es im Vorfeld einer manifesten Osteoporose zunächst zum Umbau in der Knochenstruktur, indem die vertikalen Trabekel eine Tendenz zur Verdickung zeigen, während die Dicke der horizontalen Trabekel reduziert wird. Damit leitete Felsenberg zur Diagnostik der Osteoporose über. "Osteoporose-Diagnostik ist nicht nur Knochendichtemessung", stellte er fest, bevor er sich kritisch mit den geläufigen Methoden der Knochendichtemessung auseinandersetzte.

Röntgenaufnahmen sind gute Dokumente für erkennbare Verformungen, jedoch ist eine Frühdiagnostik nur eingeschränkt möglich. Während er die QCT (Quer-Computer-Tomographie) und auch die DXA-Untersuchung (Dual X-ray Absorptiometry) als ausgezeichnete Möglichkeit der Knochendichtemessung beschrieb, wertete er die derzeit in Arztpraxen und Apotheken durchgeführten Quantitativen Ultraschallmessungen (QUS) als noch nicht geeignet. Sicher ist, dass die Messung Knochenveränderungen anzeigt, jedoch lassen sich wegen fehlender Vergleichsmöglichkeiten (sprich "Normalwerte") daraus keine Schlussfolgerungen auf den Grad der Osteopenie bzw. Osteoporose ziehen. Entschieden verurteilte er die meist mit dem Gerät firmenseitig vorgegebene Auswertung mit den "Vergleichswerten" aus der DXA-Messung. Dies ist nicht auf die QUS zu übertragen und wissenschaftlich falsch.

Für die Arzneimitteltherapie forderte der Referent eine evidence based medicine. Als Kriterium für Arzneimittel bewertete er die Reduzierung von Frakturen. Danach ist die Osteoporosetherapie mit Calcium allein nicht ausreichend. Die Kombination Calcium + Vitamin D kann Frakturen reduzieren, die Gabe ist jedoch nur sinnvoll, wenn ein Vitamin-D-Mangel vorliegt. Calcitonin mit seiner engen Indikation und Fluoride mit ihrem ungünstigen Einfluss auf die Knochenstruktur haben ihre Berechtigung, der Einsatz ist jedoch begrenzt.

Die Therapie mit Östrogenen beurteilte der Referent skeptisch. Die Senkung des Frakturrisikos ist bisher nicht untersucht worden. Im übrigen gibt es heute sehr potente Produkte, womit er auf die Arzneimittelgruppe der Bisphosphonate überging. Er nannte Alendronat als den bisher am besten untersuchten Arzneistoff der Gruppe. Die Bisphosphonate lagern sich auf der Knochenoberfläche an. Die entscheidenden Veränderungen finden im 1. Jahr statt, die Wirkung hält bis zu 3 Jahre an, weshalb Therapiepausen möglich sind. Unter Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze der Therapie beim älteren Menschen wies er auf die Möglichkeit der einmal wöchentlichen Alendronateinnahme hin, was bei der üblichen morgendlichen Einnahmeprozedur von Bisphosphonaten der Compliance durchaus förderlich ist.

Strukturierte Pharmazeutische Betreuung

Von ihren Erfahrungen aus der Teilnahme an der OMA-Studie im Bereich der Apothekerkammer Westfalen-Lippe berichtete Apothekerin Gabriele Beck-Overwiening, Reken. Es sei ein steiniger, aber letztlich erfolgreicher Weg, ältere, multimorbide Patienten pharmazeutisch zu betreuen und gleichzeitig auch die Ärzte von den Vorteilen zu überzeugen. Ziel ist in jedem Fall die Verbesserung von Wohlbefinden und Lebensqualität. Bei den in der Praxis auftretenden Problemen konnte sie nahtlos an die von Prof. Scholz erhobenen Forderungen anknüpfen.

Unter dem Begriff "Arzneimittel-bezogene Probleme" (ABP) lassen sich in den Apotheken täglich viele Situationen zusammenfassen, die das Handeln des Apothekers erfordern. Bei älteren Patienten ist schwerpunktmäßig auf die Herz und Kreislauf beeinflussenden Arzneimittel zu achten. ABP werden selten bei der einmaligen Arzneimittelabgabe erkannt, als wichtiges Hilfsmittel dienen Medikationsprofile.

Die Referentin stellte die Arbeitsschritte einer strukturierten pharmazeutischen Betreuung vor: Nach Identifizierung eines Problems ist der Apotheker gefordert, sich über das Ziel seiner Intervention (Beratung) Gedanken zu machen, um dann planmäßig - meist unter Einschaltung des Arztes - Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Am Ende steht die Analyse, mit der der Erfolg der Intervention geprüft wird.

Die Frau im Klimakterium

Die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Lebenserwartung bedeutet gleichzeitig einen längeren postmenopausalen Lebensabschnitt der Frau, sodass auf die Erhaltung der Lebensqualität in diesem Zeitraum besonderer Wert zu legen ist. Eine wichtige Patientengruppe in der Apotheke stellen Frauen im Klimakterium dar, die mit ihren hormonell bedingten Befindlichkeitsstörungen einer intensiveren Beratung und Betreuung dringend bedürfen, betonte Apotheker Frank Hommel, Havelberg. Ausführlich stellte er die Symptome klimakterischer Beschwerden und deren Ursachen vor. Nicht vergessen werden dürfen dabei die durch den fehlenden Hormonschutz verstärkt auftretenden Erkrankungen, z.B. Fettstoffwechselstörungen.

Eine gute Möglichkeit, die Beschwerden der Betroffenen zu lindern und gleichzeitig Späterkrankungen (z.B. Osteoporose) zu vermeiden, ist die Hormonsubstitution. Kritisch beleuchtete der Referent deren Vor- und Nachteile, wobei auch die Auseinandersetzung mit dem häufig diskutierten Krebsrisiko nicht fehlte. Er wies darauf hin, dass Patientinnen unter Hormontherapie einer besonderen Betreuung bedürfen, die auf jeden Fall in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt erfolgen sollte. Aber auch für Patientinnen ohne Hormonsubstitution hat der Apotheker ein Arzneimittelsortiment zur Verfügung, um klimakterische Beschwerden abzumildern. Hommel wies darauf hin, dass im Rahmen einer Studie derzeit untersucht wird, wie die strukturierte pharmazeutische Betreuung für diese Patientengruppe durchzuführen ist.

Altershaut und Haarausfall

Viele Beratungsmöglichkeiten sah Oberarzt Dr. med. Johannes Wohlrab, Klinik für Dermatologie und Venerologie der Universität Halle-Wittenberg, für den Apotheker zum Thema Altershaut. Hautalterung ist zum einen genetisch bedingt, zum anderen durch externe Faktoren (z.B. Licht, Temperatur, chemische Einflüsse) beeinflusst. Richtige Hautpflege ist deshalb immer ein Beratungsthema.

Der Referent ging zunächst auf den Lichtschutz ein, der auch im Alter einer besonderen Beachtung bedarf. Unter Hinweis auf die enormen Reparaturmechanismen der Haut wies er eindringlich darauf hin, dass diese Mechanismen mit zunehmendem Alter nachlassen und die Gefahr von Tumoren steigt. Deshalb ist auch in der Apotheke jeder Gesprächshinweis auf Hautveränderungen ernst zu nehmen und der Rat zu geben, einen Hautarzt zu konsultieren. Ganz praktische Tipps gab es für die Zuhörer z.B. zum UV-Schutz.

Beim Thema Pigmentstörungen, insbesondere Altersflecken, empfahl der Dermatologe in erster Linie Camouflage-Systeme. Auch eine (allerdings irreversible) Bleichung der Haut mit Hydrochinon ist möglich. Von der Verwendung von Make-up riet er wegen der Austrocknung der Haut ab. Natürlich wurde auch das Thema Haarausfall angesprochen. Während bei Männern heute mit Finasterid und mit Minoxidil gute Ergebnisse erzielbar sind, gelangen bei Frauen meist Minoxidil und Steroide zum Einsatz. Neben Rezepturempfehlungen zu den besprochenen Problemen hatte er auch Empfehlungen zur Pflege brüchiger Nägel, zur Hautpflege bei bestimmten Hauterkrankungen und speziell zum Einsatz von Harnstoff für die Zuhörer parat.

Kammerjubiläum mit Verleihung der Wilhelm-Meissner-Medaille

In jedem Jahr ist ein berufspolitisches Forum fester Bestandteil des Fortbildungswochenendes. In diesem Jahr allerdings war alles etwas anders: Am 22. Februar 1991 wurde der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt vom zuständigen Ministerium der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt, verbunden mit der Auflage, eine neue Kammerversammlung zu wählen.

Der Vorstand hatte sich dafür entschieden, dieses kleine Jubliäum gemeinsam mit den Kammerangehörigen in Alexisbad zu begehen und auf das Erreichte zurückzuschauen, nicht ohne den Blick nach vorn zu vergessen. Dies betonte auch Präsident Gerd Haese, der an die mehr oder weniger geradlinigen Anfänge erinnerte und insbesondere den vielen Helfern beim Aufbau der neuen Strukturen dankte.

Als Festredner hatte die Kammer Dr. Johannes Pieck eingeladen, der sich in seinem Vortrag mit dem Beginn der Wende im Apothekenwesen in den neuen Bundesländern befasste und im weiteren auf die Frage "Brauchen wir Kammern?" einging, die er beispielsweise so beantwortete, dass Kammern die Verkörperung von weniger Staat, nicht von mehr Staat sind. Das Ehrenamt, das er als den Kitt, ohne den die Kammern nicht funktionsfähig wären, bezeichnete, hob er besonders hervor und rief die Anwesenden auf, sich ehrenamtlich zu engagieren. Als Höhepunkt der kleinen Feierstunde überreichte Präsident Haese Dr. Pieck die zum ersten Mal verliehene Wilhelm-Meissner-Medaille (s. DAZ 19, S. 88).

Eine kleine Chronik, die an die schwierige Startphase und wichtige Stationen im Verlauf dieser zehn Jahre erinnert, erschien rechtzeitig zum Jubiläum.

Zu jedem Fortbildungswochenende gehört das kollegiale Gespräch in entspannter Atmosphäre. Gelegenheit dazu gab es reichlich, sowohl in den Pausen zwischen den Vorträgen als auch beim gemeinsamen Abendessen. Traditionell gehören eine kleine kulturelle Darbietung, die die Lachmuskeln strapaziert, und Tanzmusik (ebenfalls zum Muskeltraining) zum Samstagabend in Alexisbad.

Nach den Hexen die Apotheker, nach dem Spuk die wissenschaftliche, praxisorientierte Fortbildung - diese Reihenfolge stimmt, und der Rahmen passt auch. So kann es weitergehen.

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