Feuilleton

U. SchulteGanzkörpertransplantation – oder me

Der Chirurg Robert White will Köpfe abschneiden und wieder annähen. Im Hirzel Verlag Stuttgart erschien über ihn das Buch "Meinen Kopf auf deinen Hals" von Christian Jungblut. In Mannheim läuft vom 5.April bis 21.Oktober 2001 die Sonderausstellung im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim "Kosmos im Kopf. Gehirn und Denken", die zusammen mit der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden präsentiert wird.

"Mit dem Kopf auf dem Kissen liegen und Mozart hören ist schöner als vorzeitig zu sterben." Mit solchen deutlichen Worten verteidigt Robert White, der Chirurg aus Cleveland in Ohio, USA, seine Bemühungen, gesunde Körper gegen kranke auszutauschen. Der freundliche alte Herr sitzt in der originalgetreu gestalteten Proletarierkneipe im Museum für Technik und Arbeit in Mannheim und plaudert über seine nun dreißig Jahre währenden Bemühungen, gesunde Gehirne von vollständig paralysierten Menschen wieder mit gesunden Körpern zusammenzubringen und damit das Leben des Kopfes und Gehirnes zu verlängern. Denn die Körper von Gelähmten verfallen unter Umständen sehr schnell.

Gehirn – das einzige Körperteil, das zählt

1961 verließ er die Mayo-Klinik in Minnesota, um am MetroHealth Medical Center in Cleveland Gehirnchirurgie zu betreiben. Die üppige Ausstattung des Krankenhauses am Eriesee erlaubte es ihm, Gehirnforschung an Rhesusaffen zu betreiben. Das Gehirn ist für White im Grunde das einzige Körperteil, das zählt. "Das Gehirn ist alles", sagt er. Er begann damit den Affen die Gehirne herauszuoperieren, mit dem Ziel, sie zu verpflanzen. Zwar ist es ihm gelungen, einem Affen ein zweites Gehirn am Hals unter die Haut zu platzieren. "Affen lieben Gehirne", kommentierte er diese Tat, "manchmal auch zwei."

Aber diese Arbeiten endeten im Grunde in einer Sackgasse. Zu was sollte diese Forschung gut sein, fragte er sich. Er hatte Gewebeabstoßungsreaktionen und allergische Reaktionen der Rhesusaffen untersucht, kam aber nicht weiter. Denn ein isoliertes Gehirn von einem Schädel in einen anderen zu bringen hielt er schon damals für unmöglich.

Deshalb änderte er den Ansatz: "Das Gehirn muss als intaktes Ganzes, mit Schädel, Haut und allen Sinnesorganen, transplantiert werden." Nur so an den Reaktionen der Gesichtssinne kann er nachweisen, dass das Nervenzentrum die ungewöhnliche Behandlung gut überstanden hat und funktioniert; dass das Gehirn "wach" ist, wie er das ausdrückt.

White ist überzeugt: man kann es schaffen

Der mittlerweile sechsundsiebzig Jahre alte Herr ist kein Spinner und er erscheint auch nicht als ein Scharlatan oder Blender. Er sieht die Sache nüchtern: "Natürlich stand sofort die Frage im Raum: Geht das auch beim Menschen?" – "Kann man das menschliche Gehirn mitsamt der Hülle verpflanzen?" Der fleißige Arbeiter, der in seiner aktiven Zeit zwölf Stunden im Labor stand, war aber von Beginn an vom Erfolg seines Vorhabens überzeugt. "Dass man das schaffen könne, davon war ich überzeugt", sagt er heute. Die entscheidende Frage sei aber doch die, ob man es auch tun solle. White sagt entschieden Ja dazu. Denn was den Menschen ausmache, sei das Gehirn, sonst nichts. Es am Leben zu halten, sei doch richtig.

Etwa 12000 Operationen hat der Wissenschaftler und Arzt am Gehirn durchgeführt. Der energiegeladene Mann liest angeblich jeden Tag ein Buch, hält Vorträge und Festreden und spricht gerne über die Freude, ein Katholik zu sein. Vier Stunden Schlaf reichen ihm. In seiner aktiven Zeit blieb ihm nach einem halben Tag im Operationssaal noch genügend Energie, um Vorlesungen zu halten und Kolumnen für Tageszeitungen zu schreiben.

An Affen erfolgreich erprobt

In Cleveland könnte es im Grunde schon losgehen. Das Krankenhaus besitzt fünf Hubschrauber, mit denen klinisch tote Unfallopfer, häufig mit "Morbus Kawasaki" eingelieferte Motorradfahrer, sehr schnell ins Krankenhaus geschafft werden. Das geschehe heute schon, wenn auch aus anderen Gründen. An 30 Rhesusaffen habe er die Operation erfolgreich erprobt. Für Experimente mit Schimpansen oder Gorillas sei leider kein Geld da gewesen. Aber am Menschen sollte die Operation wesentlich leichter durchzuführen sein. Denn der Hals sei ja viel größer als beim kleinen Rhesusaffen.

Eigentlich "keine große Sache"

Das Verfahren erscheint recht simpel. Ein Mensch mit gesunden Kopf und vor allem mit vollständigem Denkvermögen, aber einem zunehmend verfallenden Körper liegt im Operationssaal direkt neben dem klinisch toten Unfallopfer mit gesundem Körper und starkem Herzen. Die eingespielte chirurgische Mannschaft schneidet gleichzeitig und in zügigem Tempo dem Körperempfänger und dem Körperspender die Hälse auf und durchtrennt die Wirbelsäule, bis Kopf und Rumpf nur noch über die sechs wichtigsten Schlagadern und Venen verbunden sind. Nach und nach werden dann die Versorgungsleitungen des Spenderkörpers mit dem Kopf des Empfängers verbunden. Für einige Minuten fließt eigenes und fremdes Blut durch Kopf und Hirn. Ist diese Prozedur abgeschlossen, werden der alte Körper und der defekte Kopf entsorgt. Zum Schluss müssen dann die restlichen Adern und die Speise- und die Luftröhre vernäht und das Halsgewebe verbunden werden.

Es gebe in den USA 50 bis 60 Menschen, die an einer solchen Operation interessiert seien. Doch bis ein solcher "Eingriff" am Menschen routinemäßig vorgenommen werden könne, müssten 20 Millionen DM aufgewendet werden. "Es ist keine große Sache", lacht der weltbekannte Chirurg. Dennoch müsse natürlich große Sorgfalt herrschen.

Nur das Rückenmark macht Probleme

Bei Diskussionen über dieses Thema werde er immer wieder auf das Schicksal des Schauspielers Christopher Reeves hingewiesen, der seit einem Reitunfall vollständig gelähmt ist. Reeves sei aber nicht interessiert. Er sammle Geld für einen Eingriff, der eines Tages die Nervenfasern seines Rückenmarks wieder verbinden solle. Er wolle wieder laufen können. Doch White sieht auf absehbare Zeit keine Möglichkeit, das Rückenmark wiederherzustellen.

Von seiner eigenen Vision ist er zwar überzeugt, sie sei aber verboten. Er hofft deshalb, eventuell einmal in Kiew, Moskau oder Peking eine Ganzkörpertransplantation durchführen zu können. Dort herrschten gute medizinische Bedingungen. Und die Mediziner hätten auch kein Problem damit. "Die brauchen alle Geld", kommentiert er die Situation.

Gespräche mit dem Papst

White operiert zwar nicht mehr selbst, verfügt aber über einen gut ausgebildeten Mitarbeiterstab. Der weltweit anerkannte Gehirnchirurg hat 800 Arbeiten in den Gebieten Klinische Neurochirurgie, Gehirnforschung und Medizinethik publiziert. Er ist nicht nur Mitglied der Russischen und der Ukrainischen Neurologischen Akademien, sondern gibt auch zahlreiche Fachzeitschriften heraus.

Der quicklebendige Arzt reist heute um die Welt und hält Vorträge und Vorlesungen, um für seine Sache zu werben. Er sitzt vielen medizinischen Organisationen der USA vor und ist Initiator der Bioethischen Kommission des Vatikans. Mit Papst PaulVI. hat er mehrere Gespräche über seine klinischen und experimentellen Arbeiten geführt. Seit 1994 ist er Mitglied der exklusiven Päpstlichen Akademie der Wissenschaften.

Der gläubige Christ ist Vater von zehn Kindern. Vehement vertritt er den katholischen Glauben. Er rechnet vor, dass von 280 Millionen Einwohnern der USA immerhin 60 Millionen katholisch seien. Doch in der Wissenschaft sehe man sie kaum. Das bedauert er zutiefst. Er könne es ohne Stirnrunzeln mit seiner christlichen Überzeugung vereinbaren, einen lebenden Kopf ausschließlich an eine Maschine anzuschließen, um ihm das Überleben zu sichern. Vehement wehrt er sich gegen den Science-Fiction-Vorwurf vom "Kopf in der Petrischale". Weshalb solle der menschliche Geist nicht auf diese Weise weiterleben, wenn alle anderen Hilfsmittel versagten. "Das Gehirn ist das entscheidende."

Querschnittgelähmt – aber mit Persönlichkeit

Deshalb stört es ihn überhaupt nicht, dass ein von ihm zusammengenähter Mensch noch genauso querschnittgelähmt sein wird wie vorher. Er wird keinen Arm heben, noch mit dem Bein zappeln, ja nicht einmal alleine atmen wird die Doppelhälfte können. Aber "er kann sehen, hören, schmecken, riechen, sprechen und denken. Seine Persönlichkeit ist da. Alle Kenntnisse, die dieser Mensch vorher hatte, sind weiterhin präsent." Diese Sätze diktierte er Christian Jungblut in die Feder. Der engagierte Autor wollte ursprünglich nur ein Interview mit Robert White führen. Aus einem ersten Treffen ist ein intensives Zwiegespräch geworden, eine Konversation über Leib und Seele und die Unbestimmtheiten des Todes. Den wochenlangen Disput, der morgens begann und abends noch nicht beendet war, hat Jungblut nun aufgeschrieben. In packendem Stil zeichnet er die innere und äußere, die medizinische und die geistige Welt des Chirurgen und fragt nach den weiteren Plänen des Dr. Frankenstein alias Robert White.

Eine der besten Ausstellungen

Doch White ficht auch die fundierte Kritik nicht an. Das Buch von Mary Shelley habe ihn begeistert. Er sei aber nach Mannheim zur Eröffnung der Ausstellung "Gehirn und Denken – Kosmos im Kopf" gekommen und bedauere zutiefst, nicht mehr Zeit mitgebracht zu haben. Die Ausstellung über das Hirn sei das Beste, was es bisher zu diesem Thema weltweit gegeben habe. "Es ist eine herausragende Zusammenschau des Wissens über dieses alles entscheidende Organ des Menschen", begeistert sich White und wendet sich anderen Fragestellern zu.

Bei dieser Einschätzung wird er sicher kaum Widerspruch erhalten. Denn den Veranstaltern ist eine ganz besonders beeindruckende Sonderschau gelungen. Die Ausstellung kommt aus dem Dresdner Hygienemuseum. Hier wie dort wurden die wissenschaftlichen Inhalte von dem bildenden Künstler Via Lewandowsky und dem Lyriker Durs Grünbein eingerichtet und poetisch betitelt. Das Oberstübchen des Menschen erschließt sich dem Besucher in 17 sinnlich erfahrbaren Unterstübchen, die wie in einem Haus mit weißen Zimmertüren und Fluren voneinander getrennt sind.

Die 17 Stübchen thematisieren die moderne neurobiologische Forschung ebenso wie die Chronobiologie und die Traumdeutung. Die Exponate sind mit viel Liebe zum Detail und einem genauen Blick für die Raumaufteilung präsentiert. Kognitive Fähigkeiten lassen sich dabei ebenso praktisch erfahren, wie es das Kokainbesteck der Kaiserin Sissi zu bestaunen gilt. Spongiforme Enzephalopathien sind zu bewundern und Kinder mit zwei Köpfen. Sehr gelungen ist auch das Stübchen, das den Übergang zum Tod versinnbildlicht. In einem Ballettsaal wird gezeigt, wie das Gehirn dem Menschen erlaubt, sich im Raum zu orientieren und zu bewegen. Die spannende Frage der Kopftransplantationen wird ebenfalls behandelt, natürlich im Gewächshaus der Ausstellung. Es ist eine Ausstellung, die man am besten alleine durchwandert. Denn etwas Zeit sollte man für den kleinen aber feinen Kosmos des Gehirns mitbringen. Hat man alle Zimmer durchlebt, kann man sich vielleicht auch einen Eingriff nach Art des Herrn White vorstellen.

Quellen: –Interview des Autors mit Robert White. –Christian Jungblut: Meinen Kopf auf deinen Hals – Die neuen Pläne des Dr.Frankenstein alias Robert White. Hirzel-Verlag 2001, 189 Seiten, 13 Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, 48,– DM. –Deutsches Hygienemuseum (Hrsg.): Gehirn und Denken – Kosmos im Kopf. Hatje Cantz-Verlag 2001. Ausstellungskatalog, 224 Seiten.

Der Chirurg Robert White alias Dr. Frankenstein will Köpfe abschneiden und wieder annähen. Im Hirzel Verlag Stuttgart erschien über ihn das Buch "Meinen Kopf auf deinen Hals" von Christian Jungblut. In Mannheim läuft vom 5. April bis 21. Oktober 2001 die Sonderausstellung im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim "Kosmos im Kopf. Gehirn und Denken", die zusammen mit der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden präsentiert wird. Die DAZ sprach mit Robert White.

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