Arzneimittel und Therapie

Krankheitsbild Sepsis: Weithin unterschätzt und häufig zu spät erkannt

Verlaufsformen und Folgen der Sepsis sind verwirrend vielfältig. Gemeinsamer Nenner ist die Infektion, die häufig einer Sepsis vorausgeht. Jeden Tag sterben weltweit mehr als 1400 Menschen an einer Sepsis, wie Lilly mitteilte.

30 Prozent der Sepsis-Patienten versterben innerhalb der ersten Monate, 50 Prozent innerhalb von sechs Monaten. Bei Todesfällen nach schweren Verletzungen ist in 80 Prozent der Fälle eine Sepsis die Ursache. Auch Krebs-, AIDS- oder Pneumonie-Patienten sterben häufig nicht an ihrer Grunderkrankung, sondern an einer Sepsis, die sich aufgrund der mangelnden Immunkompetenz entwickeln kann. Faktisch ist Sepsis eine der häufigsten Todesursachen bei Menschen, die auf Intensivstationen sterben.

Richtige Symptom-Zuordnung ist schwierig

Die Sepsis ist schwer zu diagnostizieren, weil viele ihrer Symptome wie Fieber, Untertemperatur, Pulsanstieg, Atemfrequenzanstieg und Leukozytenanstieg auch anderen Erkrankungen zugeordnet werden können. Die möglichen Fehldiagnosen führen zu inadäquaten Therapien und häufig zu zusätzlichen Komplikationen für den Patienten. Die Symptome Fieber und Tachykardie haben in diesem Zusammenhang keinen diagnostischen Wert, wohl aber die Symptome Tachypnö, Unterkühlung und Leukopenie. Das Fehlen einer erkennbaren Infektion schließt eine Sepsis nicht aus. Auf der Intensivstation muss bei Fieber gleich an die fünf "großen Sepsis-Orte" gedacht werden: Lunge, Abdomen, Nieren, Wunden, Katheter.

Inzwischen gilt als gesichert, dass Sepsis die überschießende systemische Reaktion auf Infektion oder Trauma ist in Form von systemischen Entzündungen, mikrovaskulären Thrombosen und veränderter Fibrinolyse, häufig mit der Folge von Organdysfunktion und hoher Sterblichkeit.

Die Sepsis verläuft dreiphasig. Zunächst tritt nach einer Verletzung oder Infektion eine Entzündung auf. In der Folge werden Immunmodulatoren freigesetzt, darunter auch proinflammatorische und thrombogene sowie Zytokine, die zu Endothelverletzungen führen. Dadurch kommt es zu einer Erhöhung des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors Typ 1 (PAI-1), der die Fibrinolyse blockiert und die Gerinnung verstärkt.

Schwere Sepsis und septischer Schock sind häufig letal

Danach stellt die Bildung von Blutgerinnseln einen der komplexesten Abschnitte der Kaskade von Ereignissen im Körper des Patienten dar. Die Entzündung induziert die Ausschüttung von Tissue Factor, der die Thrombinbildung fördert. Thrombin führt zur Bildung von Fibrin aus Fibrinogen. Bei einer Sepsis verläuft dieser Mechanismus überschießend, und PAI-1 wird aktiviert. Entwickelt sich die Sepsis zu einer schweren Sepsis oder gar zum septischen Schock, ist häufig der Tod des Patienten die Folge.

Normalerweise beherrscht der menschliche Körper eine Entzündung und Koagulation über eine Serie ausgewogener biochemischer Mechanismen. Bevor Blutgerinnsel gefährlich werden können, werden sie über die Fibrinolyse abgebaut. Bei fortgeschrittener Sepsis ist die Fibrinolyse jedoch unterdrückt. Als Folge lagern sich Blutgerinnsel in lebenswichtigen Organen an, verhindern den Blutfluss und führen so Gewebsschäden herbei. Meist kommen mehrere biochemische Faktoren zusammen: erhöhte PAI-1-Spiegel, erhöhte Spiegel des Thrombin Activatable Fibrinolysis Inhibitor TAFIa, herabgesetzte Spiegel des Proteins C, das in seiner aktivierten Form die PAI-1-Spiegel wesentlich senkt.

Schematisiert sieht die Sepsis-Progredienz in diesem Stadium so aus: Schneller Verbrauch von Protein C führt zum Defizit an Aktiviertem Protein C, das wiederum führt zu einer überschießenden Koagulation, die zu mikrovaskulären Thromben führt und zum Untergang von Gewebe mit Organdysfunktion, zum Ausfall mehrerer Organe und schließlich zum Tod des Patienten.

Lange Forschungsgeschichte

Mindestens 20 Wirkstoffe wurden in den vergangenen 15 Jahren untersucht, und keiner hat die Erwartungen erfüllt. Versuche, die Immunreaktion auf bakterielle Endotoxine zu verhindern oder das körpereigene Immunsystem zu stärken, waren ebenso erfolglos wie der Weg über antiinflammatorische Agenzien und TNF-Gegenspieler. Deshalb konzentriert sich die Entwicklungsarbeit derzeit auf neue Wege, die Sepsis-Kaskade zu durchbrechen.

Ein neuer Ansatz scheint mit dem Aktivierten Protein C in Sicht. Dieses körpereigene Protein kontrolliert die Koagulation und erhöht die Fibrinolyse. Außerdem wirkt es direkt antiinflammatorisch, indem es die Produktion von Zytokinen unterdrückt. Das Unternehmen Lilly hat ein rekombinantes humanes Aktiviertes Protein C, Drotrecogin alfa (activated), entwickelt, das gerade in einer Phase-III-Studie bei Patienten mit schwerer Sepsis eine signifikante Senkung der 28-Tage-Mortalität im Vergleich zu Plazebo gezeigt hat – die Ergebnisse sind nachzulesen unter www.nejm.org.

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