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Arzneimittelsicherheit: Vor Fälschungen wird gewarnt

NÜRNBERG (ral). Arzneimittelfälschungen sind längst nicht mehr nur ein Problem der Entwicklungsländer, auch in Deutschland werden zunehmend Fälle von gefälschten Arzneimitteln bekannt. Der durch sie verursachte wirtschaftliche Schaden wird hierzulande auf über 4 Mrd. DM geschätzt - von der gesundheitlichen Gefährdung der Verbraucher ganz zu schweigen. Es ist also dringend notwendig, geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln, um den Fälschern ihr Tun so schwer wie möglich, wenn nicht unmöglich zu machen. Eine solche Maßnahme könnte beispielsweise die Entwicklung von "fälschungssicheren" Verpackungen sein. Wie eine derartige Verpackung aussehen könnte, war Thema eines von der Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik e. V. (APV) veranstalteten Seminars, das am 27. März 2001 in Nürnberg stattgefunden hat.

"Beim Bundeskriminalamt (BKA) sind in den letzten zwei Jahren mehrere Fälle bekannt geworden, in denen man Originalpräparate in gefälschten Primär- und/oder Sekundärverpackungen auf den deutschen Markt gebracht hat", erläuterte Kriminalkommissar Klaus Gronwald, der das Thema aus Sicht des Bundeskriminalamtes darstellte.

Die Fälschungen lassen sich seiner Aussage nach in fünf Gruppen einteilen: 1. Bei der Fälschung handelt es sich um ein Fertigarzneimittel, das in der Originalverpackung, jedoch mit einem gefälschten Beipackzettel in den Handel gebracht wird. 2. Bei der Fälschung handelt es sich um ein Fertigarzneimittel, das aus der Originalverpackung in eine gefälschte Faltschachtel umverpackt und mit einem ebenfalls gefälschten Beipackzettel ausgestattet wird. 3. Bei der Fälschung handelt es sich um illegal erworbene Ware/Bulkware, die in einer gefälschten Faltschachtel und mit einem gefälschten Beipackzettel vertrieben wird. 4. Bei der Fälschung handelt es sich um illegal erworbene Kapseln oder Tabletten, die in gefälschte Blister und gefälschte Faltschachteln verpackt und mit einem gefälschten Beipackzettel versehen werden. 5. Bei der Ware handelt es sich um gefälschte Wirkstoffe, die in gefälschter Verpackung und mit gefälschten Beipackzetteln vertrieben werden (auf dem Schwarzmarkt, z. B. Anabolika).

Alle diese Fälle stellen nach der Definition der World Health Organization (s. Kasten) Arzneimittelfälschungen dar und sind eine Gefährdung für den Verbraucher - auch wenn nur der Beipackzettel ausgetauscht und das Arzneimittel ansonsten in seinem Originalzustand belassen wurde. "Der Austausch des Beipackzettels mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen", erklärte Gronwald "dennoch deutet er darauf hin, dass das Arzneimittel sich über einen längeren Zeitraum außerhalb des kontrollierten Vertriebswegs befunden hat." Was innerhalb dieser Grauzone mit dem Arzneimittel passiert sei, unter welchen hygienischen Bedingungen der Austausch des Beipackzettels stattgefunden habe und wie es gelagert worden sei, könne später niemand mehr sagen und somit auch nicht garantieren, dass das Arzneimittel sich in einwandfreiem Zustand befindet.

Der Großhandel ist die Schnittstelle

Unterschieden werden muss bei den Fälschungen laut Gronwald generell zwischen solchen, die in die für Arzneimittel vorgesehene Verteilerkette, also in den Großhandel und in Apotheken gelangen und in Fälschungen, die von vornherein für den Schwarzmarkt vorgesehen sind.

Zur Frage, wie ein Arzneimittel aus dem unkontrollierten wieder in den kontrollierten Vertrieb zurückgelangen kann, führte der Kriminalkommissar aus, dass die Schnittstelle wahrscheinlich beim Großhandel liegt. Die in Deutschland bestehende Praxis des Arzneimittelhandels sieht für einen Großhändler mehrere Möglichkeiten der Beschaffung vor:

  • Beim Hersteller,
  • bei anderen (Zwischen-) Händlern oder Importeuren,
  • oder bei Vermittlern von Sonderkontingenten.

Letzteres, das heißt die Praxis des kontingentierten Einkaufs besonders preisgünstiger Ware, hat sich laut Gronwald in den letzten Jahren ausgeweitet. Die Rückverfolgbarkeit der Ware werde damit im Einzelfall, sprich bei Verdachtslagen von Fälschungen, erheblich erschwert. Die Vermutung liege nahe, dass über Sondereinkäufe auch Fälschungen in die Verteilerkette gelangen könnten, zumal die bisher festgestellten Fälschungen der Primär- und Sekundärverpackungen von so guter Qualität gewesen seien, dass selbst Apotheker und auch Mitarbeiter der betroffenen Herstellerfirmen diese nicht auf Anhieb als Fälschungen identifizieren konnten.

Wir stehen erst am Anfang

Die Qualität der Fälschungen deutet nach Ansicht von Gronwald zudem darauf hin, dass sich das Problem der Arzneimittelfälschungen künftig verstärken wird: "Wir stehen am Beginn einer Entwicklung. Die Täter haben im großen Stil investiert. Das macht nur Sinn, wenn sie ihre kriminellen Machenschaften langfristig ausgelegt haben. Wer mit derartigen Fälschungen anfängt, macht auch damit weiter - und er macht auch schnell den Schritt von teilgefälschten Arzneimitteln hin zu Totalfälschungen."

Um der Gefahr sich ausweitender Arzneimittelfälschungen entgegenzuwirken, sollte laut Gronwald zum einen das Arzneimittelgesetz novelliert bzw. ein Fälschungsparagraf zur Regelung des Vorgehens bei Fälschungen aufgenommen werden. Zum anderen sei es notwendig, dass die Industrie sich auf das Problem einstelle und mit entsprechenden Sicherheitsmerkmalen an ihren Produkten kontere. Gronwald appellierte an die Vertreter der Industrie, bei Verdacht auf Fälschungen aktiv mit dem Bundeskriminalamt zusammenzuarbeiten und das Problem nicht unter den Teppich zu kehren.

Es gibt bereits eine Vielzahl von Maßnahmen

Dass die Pharmaindustrie das Problem erkannt hat, betonte Dr. Siegfried Throm vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA) in seinen Ausführungen. Er verwies darauf, dass in Deutschland ein doppeltes Qualitätssicherungssystem zum Vermeidung von Fälschungen und zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität existiere. Dieses System umfasse neben der gesetzlichen/behördlichen Qualiätssicherung auch eine Reihe von Maßnahmen, denen sich die Industrie stelle. So sei die Produktion des Arzneimittels durch Herstell- und Kontrollleiter, Zulassungsabteilungen, Selbstinspektion und spezielle QS-Abteilungen geregelt und abgesichert.

Auch technische Maßnahmen würden bereits zum Schutz gegen Fälschungen eingesetzt. Throm nannte als Beispiele für derartige Maßnahmen das Aufbringen von sichtbaren oder verdeckten Markern an der Arzneimittelverpackung wie optischen, elektromagnetischen, (bio)chemischen Zeichen, Hologrammen, irisierenden Oberflächen, Wasserzeichen, Mikrozeichen, Mikrofasern, Duftstoffen etc.

Maßnahmen müssen firmenindividuell ergriffen werden

Die technischen Möglichkeiten für die Erstellung von fälschungssicheren Arzneimittelverpackungen haben sich laut Throm in den letzten Jahren deutlich verbessert. Dennoch sei es sicher niemals möglich, eine absolut fälschungssichere Verpackung herzustellen. Dies sei schließlich auch bei Geldscheinen bislang nicht gelungen. Und selbst wenn es eine derartige Möglichkeit gebe, müsse sie immer noch dem finanziellen Aufwand für die Firma entgegengestellt werden.

Generell, so Throm, sollte die Frage, ob bzw. welche Maßnahme zur Vermeidung von Arzneimittelfälschungen eingesetzt wird, firmenindividuell und in Abhängigkeit vom Fälschungsrisiko des jeweiligen Produktes beantwortet werden. Zur Evaluierung dieses Risikos wurde von einer Arbeitsgruppe des VFA mittlerweile ein Stufenplan ausgearbeitet, der das Fälschungspotenzial in Abhängigkeit von Ausgangsstoff, Herstellung und Vertrieb bewertet.

Schwachstellenanalysen durchführen

Neben dieser Bewertung sollte eine Pharmafirma laut Throm auch eine so genannte Schwachstellenanalyse für ihre Produkte durchführen. Diese dient der Ermittlung von Fälschungsmöglichkeiten (Schwachstellen), die

  • im Einflussbereich des Herstellers und
  • außerhalb des Einflussbereichs liegen.

Derartige Schwachstellen beim Hersteller können beispielsweise sein

  • Verpackungsabfall
  • Arzneimittel, die als nicht (mehr) verwendbare Ware übrigbleiben
  • Maschinenversuche

Minimieren könnte man diese Schwachstellen z. B. durch Schreddern von Verpackungsabfall, eindeutige Kennzeichnung von Arzneimitteln und Packungen, die für Maschinenversuche eingesetzt werden, Rücklieferung und Mengenbilanz derartiger Packungen, wenn sie extern durchgeführt werden sowie verstärkte Schulung von Mitarbeitern.

Unbegrenzte Möglichkeiten

Einen Überblick über das, was zur Vermeidung von Fälschungen im Bereich der Verpackung technisch machbar ist, gab Helmut F. Schreiner von der Firma Schreiner Etiketten und Selbstklebetechnik GmbH u. Co. KG. Er erklärte, dass sich die Sicherheitsmerkmale an Verpackungen in verschiedene Gruppen einteilen lassen und innerhalb dieser Gruppen in ihrer Komplexität abgestuft sind. Zu den Möglichkeiten für Sicherheitsmerkmale zählen:

  • Drucktechniken: Um eine Fälschung zu erschweren, ist es sinnvoll, möglichst viele unterschiedliche Drucktechniken zu mischen. Erschwert werden kann eine Fälschung auch durch den Einsatz von qualitativ sehr hochwertigen Druckmethoden wie dem Guillochendruck. Weiterhin können Mikroschriften in den Druck eingebaut werden.
  • Farben: Möglich sind z. B. thermoreaktive Farben, sprich Farben, die ihr Aussehen in Abhängigkeit von der Temperatur ändern, wobei der Farbeffekt reversibel oder irreversibel sein kann. Oder Lumineszenzfarben, die im normalen Licht durchsichtig erscheinen und nur in definiertem UV-Licht erkannt werden können. Weiterhin denkbar sind Indikatorfarben, die sich mit einer Prüfflüssigkeit verändern, Coin-Reaktive-Ink-Felder, die sich durch Rubbeln mit einer Münze verfärben etc.
  • Zusatzstoffe in Farben: Innerhalb der Farbflächen können noch mikroskopisch kleine Partikel eingebracht werden (Mikro Tags), die erst ab 40facher Vergrößerung sichtbar werden oder Duftstoffe, die sich durch eine elektronische Nase detektieren lassen.
  • Prägungen: Heißfolienprägungen, sprich Folien, die aus mehreren Schichten aufgebaut sind und bestimmte Effekte vermitteln, Blindprägungen in den Ausführungen Hoch-, Tief- oder Reliefprägung, Stahlstichprägungen und falsche Stahlstichprägungen sind hier zu nennen.
  • Hologramme: Es gibt mittlerweile eine Vielfalt von Hologrammen, angefangen beim einfachen 2D-Hologramm bis hin zum Digital Image oder Mehr-Kanal-Effekten.
  • Stanzungen: Farblose, farbige, lasergeschnittene, Mikrokontur-Stanzungen etc. können auf der Faltschachtel aufgebracht werden und somit Fälschungen erschweren.
  • Nachbehandlung der Packung: Auch wenn die eigentliche Verpackung bereits fertig ist, können noch Sicherheitsmerkmale aufgebracht werden, z. B. in Form von Lasermarkierungen oder als Mikroschrift.
  • Etiketten: In diesen Bereich fallen auch die verschiedenen Etikettenarten, die die Unterscheidung von Original und Fälschung ermöglichen sollen.
  • Code und Markierung: Vervollständigt wird die Palette der Sicherheitsmerkmale von den verschiedenen Codierungsmöglichkeiten und der
  • Transponder-Technik: Die Verpackung enthält dabei einen Mikrochip, der die spätere Personalisierung und Identifizierung jeder einzelnen Packung ermöglicht.

Welche dieser Maßnahmen man wählt, hängt laut Schreiner unter anderem davon ab, wer das Sicherheitsmerkmal identifizieren können soll. Richtet sich das Sicherheitsmerkmal an den Verbraucher, können nur einfachere Methoden verwendet werden. Höherstehende Sicherheitsmerkmale verlangen eine Einweisung und Prüfeinrichtungen. "Sinnvoll", so Schneider "ist die Kombination von einfach festzustellenden Merkmalen mit komplexeren Sicherheitsmerkmalen. Sinnvoll deshalb, weil dem Kundenwunsch entsprochen wird, sich von der Originalität selbst zu überzeugen, und gleichzeitig der Hersteller die Sicherheit hat, dass seine Produkte wirklich gut geschützt sind."

Kastentext: Definition Arzneimittelfälschungen (WHO/IFPMA-Workshop 1992)

Ein gefälschtes Arzneimittel ist ein vorsätzlich und in betrügerischer Absicht hinsichtlich Identität und/oder Herkunft falsch gekennzeichnetes Arzneimittel. Gefälscht werden sowohl Originalprodukte als auch Generika; darunter fallen Arzneimittel mit den richtigen oder falschen Inhaltsstoffen oder völlig ohne Wirkstoff(e), mit zu geringer Wirkstoffmenge oder gefälschter Verpackung.

Kastentext: Das Problem in Zahlen

Nach Angaben der World Health Organization sind schätzungsweise 7 Prozent der weltweit im Handel befindlichen Arzneimittel gefälscht, 70 % davon in den Entwicklungsländern. Der durch Fälschungen verursachte wirtschaftliche Schaden wird auf 500 Mrd. US-Dollar geschätzt. In Deutschland geht man von durch Fälschungen verursachte Verluste von 4,3 Mrd. DM aus.

Arzneimittelfälschungen sind längst nicht mehr nur ein Problem der Entwicklungsländer, auch in Deutschland werden zunehmend Fälle von gefälschten Arzneimitteln bekannt. Es ist also dringend notwendig, geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln, um den Fälschern ihr Handwerk so schwer wie möglich, wenn nicht unmöglich zu machen. Wie derartige Maßnahmen aussehen könnten, war Thema eines von der Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik e. V. (APV) veranstalteten Seminars.

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