Feuilleton

Ausstellung: Traditionelle chinesische Heilkunde

Der Parc de la Villette in Paris, Europas größtes Ausstellungs- gelände für Wissenschaft und Technologie, wird ab dem 18. April für zehn Wochen Schauplatz der bislang größten Ausstellung zur Geschichte und Gegenwart der chinesischen Medizin sein. Auf etwa 1000 m2 werden im Pavillon Paul Delouvrier Konzepte der chinesischen Heilkunde, historische Entwicklungsstadien und die gegenwärtige Problematik der Integration in westliche Gesundheitssysteme angesprochen.

Vielfalt der Heilverfahren

Die von dem Münchner Pharmazeuten und Medizinhistoriker Prof. Dr. Paul U. Unschuld konzipierte Ausstellung bringt schon im Titel "Medecines Chinoises" (Mehrzahl) zum Ausdruck, dass es "die" chinesische Medizin, die heutzutage in unzähligen Schriften für ein westliches Publikum beschrieben wird, historisch nie gegeben hat.

Erst seit den 1950er-Jahren ließ die VR China von Kommissionen eine Grundlagentheorie "Chinesische Medizin" erarbeiten, um einerseits Hunderttausenden Heilkundigen ihren Beruf zu erhalten und andererseits Einfluss auf deren Praxis zu nehmen. Daher zeigt die Ausstellung sowohl die zweitausendjährige Entwicklungsgeschichte der chinesischen "Medizinen" als auch ihre Umformung in den letzten Jahrzehnten. Sie gibt eine Vorstellung von dem reichen Erfahrungsschatz, der sich in einer stetig anwachsenden Literatur ansammelte, und zeigt, wie das Wissen der Vergangenheit in den Rahmen der "neuen Chinesischen Medizin" eingefügt wurde.

Pharmazie im Mittelpunkt

Unter den traditionellen chinesischen Heilverfahren wird z.B. die Akupunktur ausführlich dargestellt. Die Nadeltherapie war in China seit jeher umstritten. Im Jahr 1822 wurde sie sogar verboten und existierte seitdem nur noch in Nischen fort.

Ganz anders die traditionelle chinesische Arzneitherapie bzw. Pharmazie. Bei der Ausstellung in Paris nimmt sie den Mittelpunkt ein. Sie ist der Teil der chinesischen Medizin, der mehr als zwei Jahrtausende lang die Hauptverantwortung für die Therapie akuter Leiden trug.

Schon die ältesten erhaltenen Texte, die Mawangdui-Schriften aus einem Grab von 168 v. Chr., zeugen von einer überaus reichen Arzneikunde. Mehrere hundert Substanzen, gesammelt, aufbereitet und nach subtilen Methoden zu unterschiedlichen Arzneiformen weiterverarbeitet, sind in diesen Texten verzeichnet. Fortan fügte jedes Jahrhundert seine Kenntnisse hinzu, mit einem Höhepunkt im 16. Jahrhundert, als der Arzt Li Shizhen (1518–1593) seine pharmazeutisch-naturhistorische Enzyklopädie Bencao Gang Mu in 54 Bänden niederschrieb – ein Werk, das noch in keiner westlichen Sprache zugänglich ist und doch zum Weltkulturerbe gehört.

Apotheke als Blickfang

Eine vollständig nachgebaute Apotheke des frühen 19. Jahrhunderts wird den zentralen Blickfang der Ausstellung bilden. Handverkaufstisch, Regale und Schubladenschränke, ein Raum mit allen Groß- und Kleingeräten der Arzneidrogenverarbeitung weisen auf den geschäftlichen sowie auf den handwerklichen Charakter der Pharmazie hin.

Der Arzt, der in China seit dem 12. Jahrhundert in der Regel als Angestellter der Apotheker in der Offizin Patienten untersuchte und die Rezepte dann direkt an den Apotheker weiterreichte, ist durch einen Tisch angedeutet, auf dem der Rezeptblock und die wichtigsten Bücher liegen.

Ein großes Sortiment chinesischer Rohdrogen pflanzlicher, tierischer und mineralischer Herkunft zeigt den Beginn des Wegs zum Fertigarzneimittel auf. Die Abgabegefäße vermitteln ein eindrucksvolles Bild von der Ästhetik und von den Marketingstrategien vergangener Zeiten: Viele Gefäße wurden so entworfen, dass sie, wenn ihr Inhalt aufgebraucht war, als Blumenvasen oder Teebüchsen weiter verwendet werden konnten.

Aktuelle Probleme

In der Gegenwart bringt die Verwendung chinesischer Arzneidrogen auch Probleme mit sich. Nicht selten beeinträchtigen der übermäßige Gebrauch von Herbiziden, Pestiziden und Fungiziden, die Trocknung auf heißem Asphalt oder die Belastung mit Schwermetallen deren Qualität. Zudem stammen einige Drogen von bedrohten Tier- und Pflanzenarten.

Bekannte Beispiele sind Nashörner und Tigerknochen. Im Sinne des Artenschutzes wird daher teils die Verwendung von Substituten angeregt, teils versucht man die Tiere zu züchten bzw. die Pflanzen anzubauen. Auch dieser Aspekt wird in der Ausstellung angesprochen.

Pharmakologische Modelle

Moderne Lehrwerke der chinesischen Pharmazie nennen 17 Wirkweisen, die mit einer Rezeptur erzielt werden können. So gibt es "Pflanzen, die das Äußere öffnen" und auf diese Weise in den Körper eingedrungene Umwelteinflüsse wie Wind, Kälte, Hitze, Feuchtigkeit zu vertreiben vermögen. Andere "leiten nach unten ab" und vermögen den Magen-Darm-Trakt für den Stuhlgang anzuregen. Wieder andere "leiten Flüssigkeit ab", was sich auf reale Flüssigkeiten, etwa im Falle von Ödemen, oder auf "Feuchtigkeit und Hitze" im Falle von Harnverhalten, Eitergeschwüren und Gelbsucht beziehen kann.

Andere Funktionen sind für den europäischen Betrachter nicht so leicht nachvollziehbar, z.B. "Pflanzen, die das Qi regulieren". Unter Qi versteht die chinesische Heilkunde einen den Körper durchfließenden feinstmateriellen Atem. Stagnationen oder der Fluss in die "falsche" Richtung bedingen Leiden. So äußert sich "stagnierendes Milz- und Magen-Qi" in Aufstoßen, Meteorismus, Übelkeit und anderen Beschwerden; "stagnierendes Leber-Qi" bewirkt ein Gefühl der Enge in der Brust, Schmerzen in den Seiten, mangelnden Appetit und Niedergeschlagenheit.

Letztlich ist es gleichgültig, welchen konzeptuellen Hintergrund eine Heilkunde hat, die sich vor allem den funktionalen Beschwerden widmet. In Frankreich, wo die chinesische Medizin seit 300 Jahren kontinuierlich praktiziert wurde, vertreten mehr als 50 Fachgesellschaften ihre jeweilige Variante dieser Lehre; in Deutschland ist die Zahl der Schulen geringer, weil noch nicht so viele Jahre vergangen sind, in denen sich persönliche Auslegungen entwickeln konnten. Allen Gruppierungen ist gemeinsam, dass sie auf viele zufriedene Patienten und somit auch Ärzte verweisen können. cae

Kastentext: Ausstellungsdaten

18. April bis 8. Juli 2001 Parc de la Villette Pavillon Paul Delouvrier 211, av. Jean Jaures F-75019 Paris

Auskunft: Prof. Dr. Paul U. Unschuld Institut für Geschichte der Medizin Lessingstr. 2, 80336 München E-Mail: unschuld@lrz.uni-muenchen.de Internet: www.la-villette.com/manif/html/308.htm

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