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Niedergelassene Ärzte: Tabus beim Vertrieb angehen

BERLIN (im). Die niedergelassenen Ärzte fordern neue Rahmenbedingungen zur Steuerung der Arzneimittelausgaben. In diesem Zusammenhang plädieren sie für Einsparungen auch im Apothekensektor, da sich ihrer Meinung nach die Arzneipreise auf dem Weg vom Hersteller bis zur Abgabe in der Apotheke verdoppelten. Die Ablösung der Arzneibudgets etwa durch Richtgrößen gelinge nicht kostenneutral, meinen sie darüber hinaus.

Wer bei der Arzneimittelversorgung sparen wolle, der müsse auch Tabuthemen wie die Distributionskosten aufgreifen, vertritt Dr. Manfred Richter-Reichhelm, erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Es gehe nicht an, dass sich der Preis eines Medikaments vom Hersteller bis zur Apotheke verdoppele, so der KBV-Chef, der am 12. März vor Journalisten in Berlin damit seine Unkenntnis der Arzneimittelpreisverordnung verriet. Für den Vertreter der 110 000 niedergelassenen Mediziner "liegt es auf der Hand", dass Änderungen beim Vertrieb kommen sollten. Er beobachte darüber hinaus, wie sich die Bundesgesundheitsministerin zum E-Commerce stellt. Neben den Spannen von Apothekern und pharmazeutischem Großhandel nannte Richter-Reichhelm die Absenkung der Mehrwertsteuer auf europäisches Niveau, aber auch die Preisbildung bei den patentgeschützten Präparaten als mögliche Einsparpotenziale.

Zu viele Befreiungen

Der Arzt, der am 17. März an die Spitze der Ärzteorganisation wiedergewählt werden möchte, kritisierte besonders die Höhe, die die Befreiungen zu den Arzneizuzahlungen unterdessen erreicht habe. Die Härtefallregelung zu Gunsten von chronisch Kranken und sozial Bedürftigen, die als Ausnahme konzipiert worden sei, werde angesichts von mehr als 50 Prozent "zuzahlungsbefreiten" Verordnungen schon fast zur Regel. Es gebe sogar Hinweise auf möglichen Missbrauch durch Krankenkassen, die abwanderungswilligen Mitgliedern anböten, bei Verbleib in der Kasse auf die Zuzahlung zu Medikamenten zu verzichten. Auf Nachfrage sagte Richter-Reichhelm, schriftliche Beweise fehlten, die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein habe jedoch entsprechende Hinweise. Ein Anteil von einem Drittel Befreiungen an den Verschreibungen wäre adäquat und in etwa der Wert der Vergangenheit, der Anstieg der letzten Jahre sei jedenfalls ungewöhnlich.

Rahmenbedingungen

Zur Steuerung der Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch Ärzte müssten die Rahmenbedingungen geändert werden. So müssten die Festbeträge und die Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen rechtlich abgesichert werden sowie eine neue Negativliste, welche eindeutige Verordnungsausschlüsse für einzelne Präparate aufführe, kommen.

Jetzt Budgets ersetzen

Richter-Reichhelm machte deutlich, dass die Ärzte nach der Ankündigung der Bundesgesundheitsministerin, den Regress bei Überschreiten der Budgets aufzuheben, Taten von Ulla Schmidt sehen wollen. "Einlullen lassen wir uns nicht", sagte er wörtlich. Er begrüßte, dass die Politik eingesehen habe, dass die Budgets zur Steuerung der Ausgaben ungeeignet seien. Diese Ausgabentöpfe verschlechterten die Versorgung. Das Konzept der KBV sehe Orientierungsgrößen für die Ausgabenentwicklung mit den Krankenkassen vor. Diese sollten Grundlage für arztgruppenbezogen berechnete, aber individuell wirkende Richtgrößen sein. Dann trage ein Arzt zwar die Verantwortung für die Einhaltung der Richtgröße, er solle aber die Möglichkeit der Rechtfertigung haben, beispielsweise auf viele HIV- oder Krebskranke hinweisen können.

Mehr Mittel

Voraussetzung seien jedoch zeitnah gelieferte Daten. Auf eine weitere Schwierigkeit machte der KBV-Chef aufmerksam: Einen Ausgabenanstieg von rund vier Prozent aufgrund von Innovationen bei den Arzneimitteln und aufgrund intensivierterer Behandlungen pro Jahr könnten die Vertragsärzte allein nicht auffangen. Sie könnten durch die vermehrte Verordnung von Generika und der zurückhaltenden Verschreibung von "Me-too-Präparaten" zwar sparen, nicht jedoch den Ausgabenanstieg bei teuren Innovationen, auf deren Preise sie keinen Einfluss hätten, beeinflussen. Nach Angaben des KBV-Arzneiexperten Dr. Jürgen Bausch beläuft sich der jährliche Ausgabenanstieg wegen der Innovationen auf 4 Prozent, 4,9 Prozent betrug nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums der tatsächliche Ausgabenzuwachs für das Jahr 2000 (siehe AZ Nr. 11 vom 12. 3.).

Nach Ansicht von Richter-Reichhelm ist der Wechsel an der Spitze eines Ministeriums nicht mit einem Politikwechsel identisch. Er zeigte sich jedoch davon überzeugt, dass die SPD der Gesundheitspolitik deutlicher als bisher ihren Stempel aufdrücken wolle.

Gegen zentrale Datensammlung

Wegen der Schieflagen, die durch den Wechsel der Krankenkassen entstünden, fordert die Ärzteorganisation die Umstellung der bisherigen Kopf- auf Versichertenpauschalen. Die KBV macht sich nach wie vor für die Entwicklung eines Morbiditätsindexes stark. Sie will nicht hinnehmen, dass Krankenkassen den Medizinern ständig medizinisch nicht begründete Mengenausweitungen vorwerfen. Zum noch in dieser Legislaturperiode anstehenden Gesetz zur Datentransparenz sagte Richter-Reichhelm, er sei gegen zentrale Datensammelstellen.

Die Ärzte benötigten im übrigen die gleichen Zugriffsmöglichkeiten wie die Krankenkassen. Akzeptiert werde die Geheimhaltung versichertenbezogener Daten, wobei Stichproben der Vorzug vor bürokratischer Totalerfassung gegeben werde.

Kastentext: Forderung der Ärzte: Neue Rahmenbedingungen

  • Anstelle der bisherigen Festbetragsregelung sollte dem Versicherten ein Festzuschuss in Höhe des unteren Preisdrittels des Marktes eingeräumt werden. Dies beseitigt auch die rechtlichen Schwierigkeiten der jetzigen Festbetragsregelung.
  • Rechtlich eindeutig ausgeschlossene Arzneimittel dürfen von Krankenkassen gegenüber den Apotheken nicht vergütet werden. Darüber hinaus muss ein eindeutiger Ausschluss auch von so genannten Bagatellarzneimitteln (nach § 34 Absatz 1 Sozialgesetzbuch V) erfolgen
  • Eindeutige Rechtsgrundlagen für die Definition der Leistungspflicht in den Arzneimittel-Richtlinien und für die darauf basierende Pharmakotherapieberatung sind zu schaffen.
  • Die Härtefallregelung bei den Zuzahlungen und deren Anwendung durch die Krankenkassen ist zu überprüfen, da mittlerweile mehr als 50 Prozent der Versicherten von der Zuzahlung befreit sind.
  • Die Distributionskosten im Rahmen der Arzneimittelpreisbildung sind zu überprüfen.
  • Die Mehrwertsteuer ist auf europäisches Niveau abzusenken
  • Neuzulassungen von Medikamenten sind von deren therapeutischem Zusatznutzen abhängig zu machen
  • Die Preisbildung patentgeschützter Medikamente ist den Finanzierungsmöglichkeiten der Krankenkassen anzupassen.

Quelle: KBV

Die niedergelassenen Ärzte fordern neue Rahmenbedingungen zur Steuerung der Arzneimittelausgaben. In diesem Zusammenhang plädieren sie für Einsparungen auch im Apothekensektor, da sich ihrer Meinung nach die Arzneipreise auf dem Weg vom Hersteller bis zur Abgabe in der Apotheke verdoppelten. Die Ablösung der Arzneibudgets etwa durch Richtgrößen gelinge nicht kostenneutral, meinen sie darüber hinaus.

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