Kommentar

GKV - Arzneimittelausgaben erstmals höher als Kosten der ärztlichen Versorgung

Das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen im ersten Halbjahr 2001 beläuft sich abzüglich der Überzahlungen im Risikostrukturausgleich auf 4,9 Milliarden Mark. Die Arzneimittelausgaben sind im Vergleich zum ersten Halbjahr 2000 um elf Prozent angestiegen.

„Ich kann nicht verhindern, dass einzelne Kassen ihre Beiträge erhöhen“ erklärte Schmidt vergangenen Mittwoch bei der Bekanntgabe dieser Zahlen. „Ich werde jedoch alles tun, um die Ausgabenentwicklung zu steuern – soweit es in meiner Macht steht“. Auch die Gewinnspannen der Apotheker sollen auf den Prüfstand gestellt werden.

Durchschnittlicher Beitragssatz auf gleichem Niveau wie 1998

Der durchschnittliche Beitragssatz lag zum 1. Juli 2001 bundesweit bei 13,6 Prozent. Schmidt betonte, dass der gegenwärtige Durchschnittsatz damit auf dem gleichen Niveau liege wie im Jahre 1998. „Der Druck auf die Beitragssätze ist also nicht allein in diesem Jahr entstanden und schon gar nicht allein durch die Arzneimittelausgaben in diesem Jahr“ unterstrich die Ministerin. Für das gesamte Jahr 2001 rechnet man im Ministerium mit einem Fehlbetrag von „weniger als vier Milliarden Mark“. Erfahrungsgemäß entspanne sich die Lage im zweiten Halbjahr aufgrund von Einmal-Zahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Handlungsbedarf im Arzneimittelbereich

Auch wenn Schmidt die drohenden Beitragserhöhungen nicht allein auf die Arzneimittel schieben will: In diesem Bereich sieht sie Handlungsbedarf. Erstmals überstiegen die Kosten für Medikamente (21,6 Milliarden Mark) die Ausgaben für die ärztliche Versorgung (21,5 Milliarden Mark). Auch bei den Heilmitteln ist ein Anstieg von 6,2 Prozent zu verzeichnen. Die Ministerin will daher weiterhin Gespräche mit allen am Arzneimittelmarkt Beteiligten führen. Es soll ein genauer Blick auf sämtliche Handelsspannen vom Hersteller bis zur Apotheke geworfen werden. Auch Fragen des „aut idem“ und der Distribution werden Thema sein, ebenso die Arzneimittelpreisverordnung. Letztere fällt in den Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftministerium. Schmidt befindet sich diesbezüglich bereits in Gesprächen mit Wirtschaftminister Werner Müller. An der Zuzahlungsregelung will die Ministerin dieses Jahr nichts ändern. Für die Zukunft schließt sie eine andere Gestaltung aber nicht aus.

Innovationen als Kostentreiber

Die Ausgabenentwicklung im Arzneimittelbereich sei auch auf wichtige Innovationen in der Aids- und Krebs-Therapie zurückzuführen, die hier kräftig zu Buche schlagen. Einigen Arzneimittel-Innovationen steht Schmidt jedoch skeptisch gegenüber. Hier will sie sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis noch genauer anschauen. Der Arzneimittelmarkt im ersten Halbjahr 2001 wird zur Zeit im Detail analysiert. Zu diesem Thema wird der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen noch diesen Herbst ein Sondergutachten vorlegen.

Einsparpotenzial durch Festbeträge

Schmidt zeigt sich zuversichtlich, dass sich die Ausgaben verringern werden, sobald die neuen Festbeträge ihre Wirkung zeigen können. Hier sieht sie ein Einsparpotenzial von 750 Millionen Mark. Auch die Vereinbarungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen zur Steuerung der Arzneimittelausgaben auf regionaler Ebene müssen erst noch umgesetzt werden, um sich in der Statistik bemerkbar zu machen.

Schmidt: „Wir machen bereits eine große Gesundheitsreform“

Trotz des Milliarden-Defizits sieht sich Schmidt mit ihrer Politik auf dem richtigen Weg. Sie betonte, die Finanzentwicklung sei auch Folge langjähriger Fehlsteuerungen und erheblicher Strukturmängel. „Diese Entwicklung kann nur durch unsere Politik der gezielten Umsteuerung und der abgestimmten Schritte zur Neuorientierung gestoppt und korrigiert werden“. Die Rufe nach einer umfassenden und raschen Reform im Gesundheitswesen wehrt sie ab und weist auf die bereits beschlossenen Maßnahmen hin: „Das, was wir hier haben, ist eine große Gesundheitsreform“. Schmidt betonte nochmals, dass die Probleme der Krankenkassen nicht durch ein kurzfristige Finanzspritze aus Steuermittel gelöst werden könnten. Diese Forderung stellten in den vergangenen Wochen Union, Sozialverbände und Krankenkassen. Sie wird von Schmidt nicht zuletzt deshalb abgelehnt, weil sie befürchtet, dass so der Druck zur Erschließung vorhandener Wirtschaftlichkeitsreserven im Arzneimittelbereich verloren ginge.

Koalition sucht nach Ersatz für Mindestbeitragssatz

Nach einer Alternative für den gekippten Mindestbeitragssatz wird derzeit in Gesprächen der Koalitionsfraktionen gesucht. Angesichts der angekündigten Beitragserhöhungen bei den Betriebskrankenkassen schließt Schmidt allerdings nicht aus, dass sich dieses Thema bald von selbst erledigt haben wird.

Union wirft Schmidt Untätigkeit vor

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Lohmann, warf der Ministerin Untätigkeit vor. Er forderte jene Sofortmaßnahmen, die Schmidt strikt ablehnt: die Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel und die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen aus Steuermitteln. Zudem müsse die Regierung noch vor der Wahl ein umfassendes Reformprogramm vorlegen. Von ihrem Ziel der Senkung der Lohnnebenkosten sei die rot-grüne Bundesregierung „Lichtjahre entfernt“.

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