Kommentar

Ablenkungsmanöver

Urteile lassen sich widerlegen, Vorurteile nicht. Die gegenwärtige Diskussion um die Finanzierungsprobleme in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liefert erneut ein Beispiel dafür. Diverse Krankenkassen haben, zumeist für das nächste Jahr, Beitragssteigerungen angekündigt. In der Regierungskoalition liegen die Nerven blank. Beitragssteigerungen im Wahljahr - das ist das Letzte! Die Schuldfrage scheint schnell geklärt: Die Arzneimittel sind's - so tönt es in den Publikumsmedien und von vielen Politikern und manchen Kassenfunktionären. Ein geschicktes Ablenkungsmanöver ist das - mehr nicht.

Richtig ist: erstmals seit längerem steigen die Ausgaben für Arzneimittel in diesem Jahr - bislang - überdurchschnittlich. So genannte umstrittene Arzneimitte, meist relativ preiswert, werden immer weniger verordnet. Und angesichts einer Fülle von teuren Innovationen trauen sich - gerade bei Patienten, die sich wehren können - zunehmend weniger Ärzte, den Kurs der stillen oder sogar offenen Rationierung weiter fortzusetzen. Nur: all das erklärt die Finanzierungsprobleme, vor der die GKV in diesem Jahr und erst Recht in den nächsten Jahren steht, nur zu einem winzigen Teil. Es waren - gut gemeinte - politische Entscheidungen der rot-grünen Koalition und auch Gerichtsentscheidungen, durch die der GKV ihre gegenwärtigen Probleme eingebrockt wurden. Ohne diese Entscheidungen hätte die GKV in 2001 rund 5 Mrd. DM mehr in der Kasse, 2002 sogar über 6 Mrd. DM. Damit kämen die Kassen - ohne jede Beitragsanhebung - äußerst komfortabel über die Runden. Die Zahlen stammen - wenig publiziert, ja fast gut versteckt - von der AOK und den Spitzenverbänden der Krankenkassen. Die Ausfälle hängen z. B. mit der Absenkung der Beiträge für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe (1,2 Mrd.) zusammen, mit der Reform der Renten bei Erwerbs- und Berufsunfähigkeit (2001: 0,5 Mrd.; 2002: 1,4 Mrd.), mit der Einbeziehung von Einmalzahlungen in die Krankengeldberechnung (2001: 1,2 Mrd.; 2002: 0,8 Mrd.) ... und, und, und.

Bei diesen Zahlen ist noch nicht einmal voll berücksichtigt, dass der GKV jetzt jährlich fast 2 Mrd. mehr zur Verfügung stünden, wenn die Koalition darauf verzichtet hätte, in einem Akt verschwenderischer Großzügigkeit Seehofers Anhebungen der Selbstbeteiligung (von 3 Mrd. noch 1996 auf 5,4 Mrd. im Jahr 1998) rückgängig zu machen.

Klaus G. Brauer

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