Arzneimittel und Therapie

Erkältungskrankheiten: Neue Waffen gegen Schnupfenviren

Sie ist die häufigste Infektionskrankheit schlechthin, wird jedoch von den meisten Menschen wie ein unvermeidliches Übel angesehen: die Erkältung, auch grippaler Infekt genannt. In der kalten Jahreszeit ist zeitweise ein Drittel der Bevölkerung betroffen.

Durchschnittlich zwei bis drei Erkältungen machen Erwachsene in unseren Breiten pro Jahr durch, Kinder sechs bis zehn. So regelmäßig das Auf und Ab von Erkältungswellen ist, so stereotyp ist auch der Verlauf der Erkrankung beim Individuum.

Lästige Symptome

Nach landläufiger Meinung bilden ein Paar kalte Füße den Ausgangspunkt der Erkältung. Wissenschaftlich betrachtet ist es ein in die Luft geprustetes Niesen eines bereits infizierten Menschen. Zehn bis zwölf Stunden später fängt es an, im Hals zu kratzen, Niesreiz stellt sich ein, und die Augen beginnen an zu tränen. Zwei Tage später dröhnt der Kopf, ist das Konzentrationsvermögen sichtlich eingeschränkt, schmerzen die Glieder und scheint die Nase vor Flüssigkeit quasi überzulaufen – die Erkältung hat ihren Höhepunkt erreicht. Dann dauert es im Durchschnitt weitere fünf Tage, bis alle Krankheitszeichen verschwunden sind – und manchmal nur ein paar Wochen, und die Geschichte beginnt von vorne.

"Das Erkältungsvirus" gibt es nicht

Unzählige Hausmittel, rezeptfreie und rezeptpflichtige Medikamente sollen die Erkältung kurieren helfen. Doch ob pflanzliche Hausmittel oder chemische Wirkstoffe wirklich den Verlauf eines grippalen Infekts signifikant verkürzen, ist wissenschaftlich mehr als fraglich. Nun haben amerikanische Wissenschaftler erstmalig zwei Substanzen entwickelt, die nicht nur die mit einer Erkältung einhergehenden Beschwerden lindern, sondern die verantwortlichen Erreger direkt an ihrer Achillesferse packen.

Warum es so schwierig war, gegen eine so banale Infektionskrankheit wie die Erkältung ein Patentrezept zu finden, hängt damit zusammen, dass es "das Erkältungsvirus" nicht gibt. Mindestens 100 verschiedene – vielleicht auch mehr – Erreger aus der großen Gruppe der Picornaviren führen bei jeder Erkältung unser Immunsystem im wahrsten Sinne des Wortes an der Nase herum. Bei der Vielzahl der immunologischen "Gesichter" der zahlreichen Virustypen sind die Abwehrkräfte erst einmal machtlos und brauchen in der Regel eine Woche, um die Oberhand zu gewinnen und die Vermehrung der Viren zu unterbinden.

Entero- und Rhinoviren

Zwei Virusfamilien aus der Gruppe der Picornaviren sind als besonders notorische Erkältungserreger bekannt: die Entero- und die Rhinoviren. Zum heterogenen "Clan" der Enteroviren gehören so gefährliche Erreger wie das Poliomyelitisvirus und diverse Coxsackieviren. Eine andere Gruppe der Enteroviren hat sich auf die Atemwege "spezialisiert" und verursacht unter anderem den grippalen Infekt. Zehn bis 30 Erreger in winzigen Wassertröpfchen in der Luft schwebend reichen bereits aus, um eine Erkältung in Gang zu setzen. Auch Personen, die augenscheinlich gegen Erkältungen resistent sind, machen regelmäßig Infektionen mit Entero- oder Rhinoviren durch. Welche immunologischen Mechanismen sie gegen die lästigen Krankheitssymptome schützen, ist weitgehend unbekannt. Rund 25 Prozent aller Infektionen mit Erkältungsviren laufen inapparent.

Bindung an ICAM-1-Rezeptoren

Damit sich die Entero- oder die Rhinoviren in der Nase festsetzen können, müssen sie sich an die so genannten ICAM-1-Rezeptoren binden, die aus der Oberfläche der Schleimhautzellen wie eine Art Korkenzieher herausragen. Den passenden "Korken" zum ICAM-1-Rezeptor trägt jedes Virus in zigfacher Kopie auf seiner Oberfläche. Der ICAM-1-Rezeptor ist normalerweise die Bindungsstelle für sehr unterschiedliche Moleküle, die verschiedene Typen von Immunzellen auf ihrer Oberfläche tragen (zum Beispiel CD 11A / CD 18 oder LFA-1).

Die Aktivierung des ICAM-1-Rezeptors führt zu einer ganzen Reihe von Abwehrreaktionen, z. B. der Einwanderung neutrophiler Granulozyten vom Blut in das Gewebe oder der Induktion zellvermittelter Abwehrmechanismen beispielsweise durch die natürlichen Killerzellen. Picornaviren nutzen den auf allen Schleimhautzellen vorkommenden ICAM-1-Rezeptor als "Sesam-öffne-Dich", um in die Zellen einzudringen.

Tremacamra – löslicher ICAM-1-Rezeptor

Hier interferiert eine Substanz namens Tremacamra, eine gentechnisch hergestellte und in Lösung gebrachte Kopie des ICAM-1-Rezeptors. Träufelt man das synthetische "Konkurrenzprodukt" maximal zwölf Stunden nach einer Infektion mit Rhinoviren alle vier Stunden in die Nase – so haben Studien an Freiwilligen gezeigt –, dann lässt sich zwar der grippale Infekt nicht völlig vermeiden, die Beschwerden werden aber deutlich abgeschwächt.

Auch die molekulare Grundlage der Wirkung von Tremacamra ist mittlerweile bekannt. Bindet das Virus an das künstliche ICAM-1, so beginnt die virale RNA sich zu entfalten – ganz so als wäre der Erreger in eine Zelle eingedrungen – und bietet damit diversen Enzymen einen Angriffspunkt, die RNA aufzuspalten.

Pleconaril gegen Picornaviren

Noch einen Schritt raffinierter – und auch ein bereits weiter in Richtung auf ein zulassungsfähiges Arzneimittel getestet – wirkt eine Substanz namens Pleconaril, die Forscher der amerikanischen Arzneimittelfirma ViroPharma in Exton, Pennsylvania, entwickelt haben. Pleconaril interferiert mit fundamentalen Lebensvorgängen der Picornaviren und blockiert so ihren natürlichen Vermehrungszyklus.

Wenn vom biochemischen Syntheseapparat von einer Schleimhautzelle unfreiwillig neue Viruspartikel zusammengebaut werden, wird die virale Erbsubstanz mit einer Art aus zahlreichen Flicken bestehendem Schutzmantel, dem Viruskapsid, umhüllt. Bei nahezu allen Picornaviren besteht das Kapsid aus jeweils 60 Kopien VP1, VP2, VP3 und VP4 genannter Eiweiße, die die RNA wie ein kugelförmig vernähter Flickenteppich einhüllen. Sozusagen beim Zusammennähen des Mantels zwängt sich Pleconaril in hydrophobe Taschen des VP1-Proteins und stört dadurch die komplexe nach außen schauende Molekülstruktur des Kapsids. Die Folge: die Erreger können nicht mehr an einer Schleimhautzelle andocken, ihre Vermehrung kommt zum Stillstand, und die Krankheit bricht nicht aus.

Erkältungsdauer wird abgekürzt

Nachdem in Laborstudien die Wirksamkeit dieses Prinzips bei mehr als 200 Isolaten von Enteround Rhinoviren belegt werden konnte, zeigten auch Tierversuche an Inzuchtmäusen, für die normalerweise jede Infektion mit bestimmten Coxsackieviren (einer Untergruppe der Enteroviren) tödlich verläuft, dass Pleconaril die Tiere wirksam schützt.

Mittlerweile wurde die Substanz auch bereits in mehreren klinischen Studien überprüft. So fanden Wissenschaftler unter der Leitung von Professor G. Hayden von der medizinischen Fakultät der Universität Virginia, USA, in einer plazebokontrollierten Studie, dass unter Pleconaril-Behandlung eine Erkältung durchschnittlich dreieinhalb Tage kürzer war und dass sich die mit dem Kapsid-Inhibitor behandelten Patienten nur halb so häufig die Nase putzen mussten wie ihre Leidensgenossen, die das Scheinmedikament erhalten hatten. In Bezug auf die überschießende Schleimproduktion ließ sich die Wirkung von Pleconaril sogar quantitativ nachweisen: Während unbehandelte Patienten pro Tag zehn Gramm Nasenschleim produzierten, war es bei den Patienten mit Pleconaril nur ein Gramm. Auch unter dem Aspekt der Erregerübertragung war Pleconaril erfolgreich. Die Ausscheidung von Viren über die Nase – und damit das Risiko der Übertragung auf andere Personen – nahm durch die Behandlung signifikant ab.

Zwei weitere Argumente sprechen für die praktische Verwendbarkeit von Pleconaril. Wird das Medikament als Tablette eingenommen, so wird ein optimaler Wirkspiegel bereits nach 1,5 Stunden erreicht und bleibt dann über 24 Stunden erhalten. Die Befürchtung, dass der systematische Einsatz einer antiviralen, die Picornaviren in evolutionären "Zugzwang" bringenden Substanz über kurz oder lang Mutationen besonders gefährlicher Erreger induzieren könnte, konnte durch entsprechende Experimente zwar nicht beseitigt, zumindest jedoch entkräftet werden.

Gegen Pleconaril resistente Coxsackieviren, so berichteten kürzlich James M. Groarke und Daniel C. Peavar in der Fachzeitschrift Journal of Infectious Diseases, sind im Tiermodell deutlich weniger virulent als Pleconaril-empfindliche Varianten. Die Einnahme von Pleconaril hat sich in einem Einzelfall sogar bereits als lebensrettende Maßnahme bewährt. Zwei frühgeborene Zwillinge, die an einer durch das Enterovirus bedingten Gehirnhautentzündung erkrankt waren, konnten nach wenigen Behandlungstagen mit einer hohen Dosis von Pleconaril geheilt werden.

In Anbetracht der erfolgreichen klinischen Studien will die Firma ViroPharma möglichst rasch die Zulassung von Pleconaril bei der amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA beantragen, allerdings zuerst nur für durch Enteroviren bedingte Gehirn- und Gehirnhautentzündungen.

Kastentext: Erkältung – warum wird man krank?

Über Tröpfcheninfektion – oder über verunreinigte Finger – gelangen Erkältungsviren in den vorderen Teil der Nase. Von dort werden die Erreger aktiv in Richtung Nasen-Rachen-Raum und zu den Rachenmandeln transportiert. Dort verschaffen sich die Viren über den ICAM-1-Rezeptor Einlass in die Schleimhaut- und Drüsenzellen und benötigen 8 bis 12 Stunden, bis vom zelleigenen Syntheseapparat Hunderte neuer Kopien hergestellt worden sind, die dann ihre Wirtszelle verlassen.

In diesem Moment beginnen auch die ersten Krankheitszeichen. Das lokale Immunsystem setzt massenhaft Entzündungsmediatoren frei. Dazu gehören Histamin, verschiedene Kinine, Interleukine und Prostaglandine. Die Entzündungsmediatoren führen zur Erweiterung der kleinen Blutgefäße und zum Austritt von Flüssigkeit in das Gewebe. Gleichzeitig wird auch die Schleimproduktion "hochgefahren". Die Nase schwillt zu, und die überschießende Sekretproduktion bringt die Nase zum "Überlaufen". Andere Entzündungsmediatoren aktivieren den Nies- und den Hustenreflex und stimulieren die feinen Verästelungen der Schmerznerven. Jedes Schniefen ist dann schmerzhaft.

Die bisher eingesetzten Medikamente wirken im Wesentlichen als Antagonisten der verschiedenen Entzündungsmediatoren. Antihistaminika und alpha- adrenerge Agonisten verengen die Blutgefäße und machen dadurch die Nase wieder frei. Nichtsteroidale Entzündungshemmer wie Ibuprofen und Naproxen blockieren die Wirkung der Prostaglandine. Anticholinerge Substanzen heben die verstärkte Aktivierung des parasympathischen Nervensystems auf, was seinerseits die Schleimbildung reduziert.

Kastentext: Enteroviren

Enteroviren können nahezu alle Körperorgane befallen. Sie sind die häufigste Ursache einer viral bedingten Gehirnhautentzündung. Allein in den USA schätzt man 600000 Fälle von durch Enteroviren bedingte Gehirnhautentzündungen pro Jahr. Auch Gehirnentzündungen durch Enteroviren sind keine Seltenheit. Außerdem sind Enteroviren für Entzündungen der Augenbindehaut, des Herzbeutels, des Rückenmarks und gelegentlich sogar für die Entwicklung eines Diabetes verantwortlich.

Neugeborene und kleine Kinder sind besonders empfänglich für sehr schwer verlaufende Enterovirusinfektionen, außerdem Menschen, die angeborene Defekte des Immunsystems haben, wie ein Antikörpermangelsyndrom. Bislang gibt es keine wirksames Medikament gegen Enteroviren.

Kastentext: Arzneimittel gegen Erkältungen – ein weltweiter Markt

Enterovirus-Infektionen sind nicht nur die häufigste Ursache von Viruserkrankungen weltweit (allein in den USA werden 15 Millionen Krankheitsfälle pro Jahr geschätzt), sie verursachen auch gigantische Kosten. Nach Angaben des Nationalen Amts für Statistik treten in den USA jährlich rund eine Milliarde Erkältungen auf – also erkrankt im Durchschnitt jeder Bürger der USA fast vier Mal pro Jahr.

66 Millionen Erkältungen waren so ausgeprägt, dass sie ärztlich behandelt werden mussten oder zu Bettlägerigkeit führten. In Deutschland dürfte die Verhältnisse ähnlich sein. Deshalb sind für die Pharmaindustrie Mittel gegen Erkältung ein äußerst lukrativer Markt. Ein Medikament, das jede Erkältung zu einer Lappalie macht, ließe sich weltweit verkaufen und würde rasch zu einem "Blockbuster" für die Firma.

Literatur J. Am. Med. Assoc. 281, 1797–1804 (1999). J. Infect. Dis. 179, 1538–1541 (1999). Antimicrobial Agents and Chemotherapy 43, 2109– 2115 (1999). J. Infect. Dis. 181, 20–26 (2000). J. Clin. Pharmacol. 39, 613–618 (1999). Antiviral Chemotherapy 5, 55–67 (1999). Adv. Exp. Med. Biol. 458, 69–76 (1999).

Durchschnittlich zwei bis drei Erkältungen machen Erwachsene in unseren Breiten pro Jahr durch, Kinder sechs bis zehn. Unzählige Hausmittel, rezeptfreie und rezeptpflichtige Medikamente sollen die Erkältung kurieren helfen. Doch ob pflanzliche Hausmittel oder chemische Wirkstoffe wirklich den Verlauf eines grippalen Infekts signifikant verkürzen, ist wissenschaftlich mehr als fraglich. Nun haben amerikanische Wissenschaftler erstmalig zwei Substanzen entwickelt, die nicht nur die mit einer Erkältung einhergehenden Beschwerden lindern, sondern die verantwortlichen Erreger direkt an ihrer Achillesferse packen.

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