Feuilleton

Geschichte: Das Rätsel der Maya

Untergegangene Hochkulturen gibt es einige. Doch kaum eine fasziniert nach wie vor so sehr wie die der Maya, die schon vor mehr als tausend Jahren, also lange vor Kolumbus, verfiel.

Seltsamer Zufall

Am 22. April 1519 gingen spanische Eroberer auf der Yucatan vorgelagerten Insel Cozumel an Land. Da Karfreitag war, trugen sie schwarze Feiertagsmäntel.

Exakt für diesen Tag war den Maya in uralten Überlieferungen die Wiederkehr des hellhäutigen Kulturstifters Kukulkan aus dem Osten prophezeit, der sie ehedem in Astronomie und Architektur, in der Bilderschrift, der Weberei und vielem anderen unterrichtet haben soll. Von einem "von hellen Flügeln bewegten Turm" sollte Kukulkan am "Neunten Wind des Jahres Rohr" wiederkommen. Die Maya hielten folglich den auf einem Schiff herangesegelten Eroberer Hernando Cortez für den "Weißen Gott" Kukulkan.

Nubier und Chinesen?

Das Kernland der Maya erstreckte sich von der Halbinsel Yucatan bis nach Guatemala und Honduras auf einer Fläche von 250000 km2. Um 5000 v. Chr. gelang es den dortigen Bewohnern, den Mais zu domestizieren. Auch Bohnen, Chilipfeffer, Teufelsbirnen, Baumwolle und Kürbisse bauten sie an. Um 2000 v. Chr. begannen sie, feste Siedlungen anzulegen und zu töpfern. Damit begann die "Präklassik" oder "Formative Periode" der Maya-Kultur. Es entstanden selbstständige hierarchisch strukturierte Dorfgemeinschaften, die von den Oberhäuptern wichtiger Familien geführt wurden.

Nach einer verwegenen These aus dem Umfeld des "black movement" in den USA stammen die Olmeken, die als Vorfahren der Maya gelten, von den Nubiern ab, die 700 v. Chr. im Golf von Mexiko gelandet sein sollen. Es könnten auch Zusammenhänge mit der chinesischen Shang-Kultur (1600 bis 1100 v. Chr.) bestehen. Artefakte der Olmeken aus Jade, Ton und Stein ähneln denen der chinesischen Kultur, und die Symbole für Landwirtschaft, Astronomie, Regen, Sonne, Baum, Wasser und Himmel sind nahezu identisch.

Aufstieg und Fall

In der späten Präklassik (400 v. Chr. bis 250 n. Chr.) wuchsen große Städte empor. Die führenden Familien standen in regem Austausch. Wirtschaft und Architektur, Kunst und Hieroglyphenschrift entwickelten sich. Die einzelnen Maya-Zentren wuchsen zu einer homogenen Kultur zusammen.

Neben dem traditionellen Brandrodungsfeldbau wurden nun Terrassen und Hochäcker angelegt, die über Kanäle künstlich bewässert wurden. Süßkartoffel und Yuccawurzel kamen als Feldfrüchte hinzu. Händler sorgten für den regen Austausch von Salz, Muscheln, Tabak, Kakao oder Basaltstein zwischen Hochland, Tiefebene und Küsten. Die Struktur der Städte wurde komplexer und monumentaler. Bis zu 70 m hohe Pyramiden zur Beobachtung des Himmels, Paläste und riesige Kultplätze entstanden.

Doch plötzlich wurden Mauern und Gräben zum Schutz gegen Überfälle gebaut. In einigen Städten sank die Einwohnerzahl um mehr als die Hälfte, andere wurden ganz aufgegeben. Noch immer rätselhafte politische Umwälzungen müssen abgelaufen sein.

Das Veröden einiger Zentren gab anderen die Chance zur Expansion. Große Territorien entstanden, die klassische Periode der Maya-Kultur konnte beginnen.

Raubbau an der Natur

Im 8. Jahrhundert, dem goldenen Zeitalter der Maya, war das Land dicht besiedelt. In manchen Städten lebten über 1000 Menschen auf einem Quadratkilometer, auf dem Land immer noch mehr als 200 Maisfelder erstreckten sich bis zum Horizont. Die Städte wetteiferten um die prächtigsten Bauwerke und Skulpturen. Den Bewohnern ging es gut. Sogar die Arbeiter hatten Jadefüllungen in den Zähnen.

Doch in diesem Wohlstand gruben sich die Maya ihr eigenes Grab. Da sie ihre riesigen Gebäude mit unvorstellbaren Mengen an Stuckgips überzogen, brauchten sie gigantische Mengen Holz zum Brennen des Gipsgesteins. Zudem stellten sie die Paläste und Kultplätze auf das fruchtbare Ackerland. Zum Ersatz wurden Berghänge gerodet, die durch Erosion wieder unfruchtbar wurden. Der Nahrungsüberschuss, die wichtigste Grundlage von Macht und Wohlstand, begann zu schrumpfen.

Sturz des Gottkönigs

Um 680 gab es nur noch die beiden Supermächte Tikal und Calakmul, die zahlreiche sich permanent bekriegende Vasallen um sich scharten. Als Tikal den großen Gegner eroberte und 695 sogar dessen Gottkönig (k'ul ahaw) Jaguartatze gefangen nahm, geriet das Gleichgewicht vollends aus den Fugen.

Der letzte k'ul ahaw verschwand von den Skulpturen. Statt seiner zeigen die Reliefs und Wandbilder der Zeit mehrere Personen offensichtlich gleich hohen Ranges, die sich Macht und Titel zu teilen schienen.

Machtkämpfe untergruben die Autorität der neuen Führung. Jeder bekriegte jeden, die Infrastruktur brach zusammen, die sensible Hochleistungslandwirtschaft kollabierte, ein schmarotzender Adel schikanierte die Bauern, es kam zu Bürgerkriegen. Möglicherweise sind in einigen Jahrzehnten Millionen von Menschen verhungert. 810 wird in Calakmul das letzte Datum in Stein gehauen, Tikal folgte schon 869 nach.

Vom Sinn der Blutopfer

Die Spanier trafen im 16.Jahrhundert auf eine Kultur, die so gar nicht mit christlichen Vorstellungen harmonieren wollte. Zwar war die großartige Architektur zu dieser Zeit bereits vom Urwald verschlungen, und die Maya hatten ihre herausragenden astronomischen, kalendarischen und architektonischen Kenntnisse ebenso vergessen wie ihre Schrift. Doch viele Gebräuche, insbesondere die Blutopferrituale, waren noch lebendig.

Für die Maya war Blut die Speise der Götter. Damit sie es regnen und den Mais wachsen ließen, musste zu allen Feiern und Riten Blut regelrecht verschüttet werden. Die Maya opferten Menschen oder ließen sich selbst zur Ader. Auch der k'ul ahaw als Garant der Sicherheit des Volkes hatte bei jedem Anlass Blut geopfert, um die Götter anzurufen und die Welt in Bewegung zu halten.

Vor allem die Leiste, Wangen, Unterlippe, Zunge und Ohrläppchen wurden angezapft. Die Männer perforierten sich sogar den Penis, zogen Rochenstacheln oder Papierstreifen hindurch und tanzten sich unter Drogen in Trance. Der Balche-Baum (Lonchocarpus violaceus, Fabaceae) war dabei die wichtigste halluzinogene Pflanze. Noch heute bereiten die Maya daraus einen stimulierenden Trunk. Das Mazerat der Rinde wird mit Honig der einheimischen stachellosen Biene vergoren und dann getrunken oder klistiert. Der Trunk wirkt durch die enthaltenen Longistyline stark stimulierend und aggressionsabbauend.

Apathischer Stillstand

Die Spanier wollten die Maya "zivilisieren", d.h. vom Heidentum zum Christentum bekehren. Doch dazu verbrannten sie gleich das komplette Wissen der Maya. Alle Dokumente der Verwaltung, des politischen Ränkespiels und der Literatur sind unwiederbringlich verloren. Nur vier "Codices" der Maya haben sich erhalten, von denen der schönste im Dresdner Buchmuseum liegt.

Die Unterdrückung der Maya hält bis heute an. Vor allem in Guatemala wurden sie von 1961 bis 1990 mit einem Unterdrückungskrieg überzogen; dies, obwohl sie dort mit acht Millionen die Bevölkerungsmehrheit stellen. An einer Regierungsinitiative zur Stärkung ihrer politischen Stellung haben sie sich danach nicht beteiligt. Die große Kultur ist untergegangen, die Nachkommen verharren in Stillstand.

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