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Die Einschläge kommen näher, und sie werden bedrohlicher. Die potenziellen Profiteure eines Systembruchs in der Arzneimittelversorgung kriechen aus der Deckung; sie wittern Morgenluft und neue Chancen. Die einen setzen auf Versandhandel und hoffen, dass Politik und Publikum - immer noch besoffen von der bei Warengeschäften eigentlich schon entzauberten Internet-Euphorie - nicht merken, welche Mogelpackung ihnen da angedreht werden soll.

Andere bauen darauf, durch eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes zukünftig an Apotheken richtig Geld verdienen zu können. Apothekerinnen und Apotheker, die sich weiter als eigenständige Frei- und Heilberufler mit einer engen Bindung an ihre Kunden und Patienten verstehen, stören dabei. Sie stören auch bei der Absicht, durch Änderungen am Apothekengesetz in absehbarer Zukunft die Krankenhausapotheken zu Profitcentern auszubauen, die zum Frommen ihrer Träger oder Shareholder auch im ambulanten Sektor - zum Beispiel in Alten- oder Pflegeheimen - Kasse machen können. Dass die Versorgung dadurch unpersönlicher, bürokratischer, bürgerferner und schlicht schlechter wird und alte Menschen unnötig entmündigt werden - interessiert das nicht?

Wie sind unsere Chancen, die wütenden Angriffe auf die Strukturen unserer Arzneimittelversorgung in Deutschland zu parieren? Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen - das wäre eine sarkastische, ausweichende Antwort. Ohne auszuweichen bliebe eine Antwort in zwei Varianten: die eine optimistisch, die andere eher pessimistisch.

Beginnen wir mit dem pessimistischen Part. Ein Handikap für die Zukunft - es geht mir nicht um Golf! - sind die Strukturen unserer Berufsvertretung. Das letzte Jahr hat gezeigt: so, wie sie sind, sind sie nicht zukunftsfähig. Nicht die Arbeit in den Ländern ist gemeint, sehr wohl aber das Zusammenspiel auf Bundesebene. Und da spielt - für die Außenwirkung - die Musik. Es geht auch nicht um Personen, es geht um Strukturen, denen auch wohlmeinende Persönlichkeiten kaum entrinnen können. Die Hütte brennt, die ABDA pennt - dieses Urteil eines Insiders mag polemisch überspitzt sein. Richtig ist aber: ein viel zu großer Teil der berufspolitischen Energie wurde bei internen Ränkespielen verschlissen. Claims abstecken, Verbündete suchen, die Wahlen am Ende des Jahres vorbereiten - die Innensicht war das beherrschende Thema, wo immer man auch hinhörte.

Wer soll in Zukunft bei DAV, BAK und ABDA das Sagen haben? Das war die Frage der Fragen. Selbst bei der letzten ABDA-Mitgliederversammlung, bei der der Präsident wiedergewählt wurde, dominierten die Petitessen. Die brennenden Sachthemen wurden zur Nebensache. Eitelkeiten wurden und werden gepflegt und Chancen wurden und werden verspielt. Zu allem Überfluss versteigt sich das ABDA-eigene Standesblatt - pünktlich zum gemeinsamen E-Commerce-Symposion von Gesundheitsheitsministerium und ABDA - zu einem oberflächlich-schrägen Lobgesang auf den Internet-Versandhandel in Amerika. Der Zweifel, dass die neue Spitze an all dem etwas ändern kann, ist Teil der pessimistischen Antwort.

Die optimistische Antwort: Wenn man auf die Substanz schaut, auf Rationalität, Argumente und ein bisschen Weitblick baut - dann stehen unsere Chancen auch weiterhin gar nicht so schlecht. Der designierte ABDA-Hauptgeschäftsführer Professor Braun hat bei dem erwähnten Symposion deutlich gemacht, dass der Systembruch hin zum Internet-Versandhandel ökonomisch Probleme lösen würde, die gar nicht existieren. Die Arzneimittelausgaben in Deutschland sind im internationalen Vergleich nicht überhöht; das Gleiche gilt auch für die Distributionskosten. Noch wichtiger ist: Wer das Gleichgewicht von Rechten und Pflichten in der Arzneimittelversorgung durch einseitige Eingriffe aus dem Lot bringt, wirft neue Probleme auf, deren Verästelung, Schärfe, Vielfalt kaum voraussehbar sind.

Derzeit klappt fast alles ohne auffällige Reibungen und unter Beachtung hoher Sicherheitsstandards. Das macht übermütig - mag sein. Die Karten flugs mal auszutauschen und neu zu mischen - neues Spiel, neues Glück - ist aber etwas für Spieler, nicht für Leute, die Verantwortung tragen. Denn niemand überblickt derzeit auch nur ansatzweise, welche gesetzgeberischen Stellschrauben wie nachjustiert oder neu installiert werden müssten, um die Funktionsfähigkeit der flächendeckenden Versorgung mit allen benötigten Arzneimitteln, die Sicherheit der Patienten und der Arzneimittel auf heutigem Niveau zu halten, wenn man die Eckpfeiler des bisherigen Versorgungssystems ansägt. Man mag kaum glauben, dass sich die Politik bei Arzneimitteln leichtfertig Probleme ins Haus holen will, die denen ähneln, die beim BSE-Desaster jetzt für Aufruhr sorgen.

Klaus G. Brauer

... so nicht zukunftsfähig

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