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Arzneimittelspenden – hilfreich oder problematisch?

STUTTGART (la). Fast täglich werden "Altmedikamente" von Kunden in der Apotheke abgegeben. Meist sind darunter auch Packungen, die noch nicht einmal geöffnet wurden oder noch fast vollständig und über ein Jahr haltbar sind. Gerne würde so mancher Apotheker seine "gesammelten Werke" in Katastrophengebiete oder Entwicklungsländer schicken, um dort Hilfe zu leisten. Doch solche Arzneimittelspenden sind für den Empfänger meist keine Hilfe, sondern verursachen eher Probleme. Bereits im Mai 1996 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeinsam mit den wichtigsten humanitären Dachorganisationen "Leitlinien für Arzneimittelspenden" veröffentlicht, um Spendern eine Orientierungshilfe anzubieten.

Jeder, der mit Arzneimittelspenden zu tun hat, sollte sich gründlich mit diesen Leitlinien beschäftigen und prüfen, ob seine Spendenpraxis damit vereinbar ist. Angesprochen sind nicht nur Angestellte in Apotheken, sondern auch Privatpersonen und Organisationen, die sich für Gesundheitsprojekte einsetzen, und pharmazeutische Firmen, die nicht verkaufte Überschüsse als Spende liefern möchten. Die Leitlinien machen deutlich, dass Arzneimittelhilfe dieser Art höchste Sorgfalt erfordert, und dass bestimmte Mindestanforderungen eingehalten werden müssen, wenn sie den Betroffenen wirklich nützen soll. Das frühere Jugoslawien wurde beispielsweise reichlich mit Arzneimittelspenden bedacht. Von den 1994 erhaltenen Medikamenten waren aber 15% überhaupt nicht zu gebrauchen und 30% entsprachen nicht dem dortigen Bedarf. Bis Ende 1995 hatten sich in Mostar 340 Tonnen unbrauchbare und verfallene Arzneimittel angesammelt. Die meisten davon stammten aus Deutschland und Italien.

Nachfolgend veröffentlichen wir die zwölf wichtigsten Kernsätze der von der WHO herausgegebenen Leitlinien. Sie sollen eine Orientierungshilfe geben, wie mit Arzneimittelspenden umzugehen ist, damit sie den gewünschten Zweck erfüllen.

1. Bedarfsgerechte Arzneimittel

Arzneimittel sollen nur aufgrund eines ausdrücklich festgelegten Bedarfs gespendet werden. Die Arzneimittel müssen für die Behandlung der Krankheiten, die im Bestimmungsland vorherrschen, geeignet sein. Sie sollten nicht ohne vorherige Zustimmung des Empfängers verschickt werden.

Dort, wo Spenden gebraucht werden – sei es aufgrund von Armut, Katastrophen oder anderen Notlagen - herrschen ganz andere Krankheiten vor als bei uns. Demzufolge ist auch ein Großteil der bei uns gängigen Arzneimittel für den Gebrauch im Empfängerland ungeeignet. Dr. J. Jagwe vom Gesundheitsministerium in Uganda schlägt vor, sich an den zehn häufigsten Krankheits- und Todesursachen im Empfängerland zu orientieren.

2. Nationale Arzneimittelliste respektieren

Alle Arzneimittel und Generika, die gespendet werden, müssen im Empfängerland zugelassen und in der nationalen Liste essenzieller Arzneimittel des betreffenden Landes enthalten sein. Falls es keine nationale Arzneimittelliste gibt, sollten sie in der Modelliste unentbehrlicher Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) enthalten sein, es sei denn, der Empfänger hätte ausdrücklich und begründet um andere Arzneimittel gebeten. Es handelt sich hier in der Regel um bewährte Präparate, die für die Behandlung der Krankheiten in dem jeweiligen Land wichtig sind, und zu deren Wirkung und Nebenwirkung ausreichende Erfahrungen vorliegen.

3. Gleichbleibende Zusammensetzung

Gespendete Arzneimittel sollten in Darreichungsform, Stärke und Zusammensetzung den Arzneimitteln möglichst ähnlich sein, die üblicherweise im Bestimmungsland verwendet werden. Das auf den verschiedenen Ebenen der Gesundheitsversorgung arbeitende Personal ist in der Anwendung einer begrenzten Zahl von Arzneimitteln bestimmter Stärke ausgebildet worden. Bei Präparaten unterschiedlicher Stärke müsste die Dosierung entsprechend angepasst werden. Derartige Berechnungen sind zeitaufwendig und das lokale Personal hat oft nicht die notwendige Ausbildung dafür.

4. Qualitätsnachweis

Alle Arzneimittelspenden müssen aus einer zuverlässigen Quelle stammen und sowohl den Qualitätsanforderungen des Empfänger- als auch des Geberlandes entsprechen. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die Anwendung des WHO-Zertifikationssystems.

5. Entsorgung – wo?

Medikamente, die schon einmal an Patienten abgegeben und dann an Apotheken oder andere Sammelstellen zurückgegeben wurden, dürfen nicht als Arzneimittelspenden verwendet werden. Das gleiche gilt für Ärztemuster. Für die Entsorgung von Medikamenten gibt es in Deutschland noch keine bundeseinheitliche Regelung. Nicht gebrauchte Medikamente eines Patienten dürfen aber nicht an andere Patienten weitergegeben werden, auch wenn sie überhaupt noch nicht angebrochen sind. Oft werden sie zur ordnungsgemäßen Entsorgung an Apotheken zurückgegeben. zurückgegeben. Auch große Mengen von Ärztemustern fallen zur Entsorgung an. Verständlicherweise sträubt sich jeder dagegen, komplette Packungen einfach zu vernichten. Das Wissen um den Mangel in anderen Ländern führt dann schnell zu Sammelaktionen mit dem Ergebnis, dass ein buntes Sammelsurium verschiedener Präparate auf den Weg geschickt wird.

6. Ein Jahr Haltbarkeit

Nach Eintreffen im Empfängerland sollten gespendete Arzneimittel noch eine Laufzeit von mindestens einem Jahr haben.

7. Internationaler (generischer) Name

Arzneimittel müssen in einer Sprache beschriftet sein, die dem Gesundheitspersonal im Empfängerland geläufig ist; jeder Behälter sollte ein Etikett mit den folgenden Informationen tragen: Internationaler Freiname (INN, oder generischer Name), Chargennummer, Darreichungsform, Stärke, Name des Herstellers, Mengenangabe, Lagerungsvorschriften und Verfalldatum. Von der Ausbildung her ist das Gesundheitspersonal in jedem Land mit den international verständlichen, generischen Namen vertraut. Vielfalt stiftet Verwirrung - eine Arzneimittelspende darf nicht aus vielen Einzelpräparaten mit unterschiedlichen Handelsnamen bestehen.

8. Großpackungen

Arzneimittelspenden sollten möglichst aus Großpackungen und Anstaltspackungen bestehen. Großpackungen sind preisgünstiger. Es ist einfach, sie in ein übersichtliches Lagersystem einzuordnen. Die für den jeweiligen Patienten benötigte Menge kann genau entnommen werden. Der Transport ist einfacher und billiger.

9. Genaue Packlisten

Alle Arzneimittelspenden sollten gemäß internationaler Versandbestimmungen verpackt sein. Es muss eine ausführliche Packliste beigefügt sein, die genaue Angaben enthält zum Inhalt jedes durchnummerierten Kartons: Internationaler Freiname (INN), Darreichungsform, Menge, Chargennummer, Verfalldatum, Volumen, Gewicht und gegebenenfalls besondere Lagerungsvorschriften. Ein einzelnes Packstück sollte nicht mehr als 50 kg wiegen. Arzneimittel dürfen nicht zusammen mit anderen Waren im gleichen Karton verpackt werden. Diese Auflistung ist unabdingbar, was folgendes Beispiel zeigt: 1988 wurden 5 000 Tonnen Arzneimittel und medizinische Hilfsgüter für die Erdbebenopfer in Armenien gespendet. 50 Personen benötigten insgesamt sechs Monate, um herauszufinden, worum es sich bei den Spenden handelte. Die meisten Medikamente waren nur mit dem Handelsnamen beschriftet, und 8% waren schon bei der Ankunft verfallen. Nur etwa 30% konnten ohne Mühe identifiziert werden.

10. Empfänger benachrichtigen

Die Empfänger müssen über alle Arzneimittelspenden unterrichtet werden, die geplant, bereits zusammengestellt oder schon unterwegs sind. Dadurch können die Empfänger die Spende in ihre Planung miteinbeziehen, etwa um Doppellieferungen zu vermeiden. Der Transport kann im voraus organisiert werden. Auch Einfuhrbestimmungen können vorab geklärt werden.

11. Realistische Wertangabe

Für die Wertangabe einer Ar zneimittelspende sollte im Empfängerland der dortige Großhandelspreis des entsprechenden Generikums zugrunde gelegt werden. Wenn diese Information nicht verfügbar ist, dann sollte der Großhandels-Weltmarktpreis des entsprechenden Generikums zugrunde gelegt werden. Bei der Einfuhr ins Empfängerland kann es zu unnötig hohen Einfuhrkosten kommen, wenn den Medikamenten Verkaufspreise in einem westlichen Industrieland zugrunde gelegt werden.

12. Transportkosten

Für Transportkosten (international wie lokal), für die Kosten der Zollabfertigung und einer angemessenen Lagerung sollte die Geberorganisation aufkommen, es sei denn, es sind vorher anderweitige Absprachen mit dem Empfänger getroffen worden.

Alternativen

Diese hier geschilderten Probleme mit Arzneimittelspenden sollen nicht dazu führen, sich nicht mehr zu engagieren. Vielmehr verdeutlichen sie, dass solche Spenden äußerst sorgfältig geplant werden müssen, und dass außer gutem Willen auch fachliche Kenntnisse und die richtige Einschätzung der Situation im Empfängerland wichtig sind. Als sinnvolle Alternative bietet sich an, finanzielle Hilfe für den Kauf von Medikamenten zu leisten oder die lokale Industrie zu unterstützen, um die Produktion vor Ort wieder in Gang zu bringen. Dies hat den Vorteil, dass organisatorische Aufgaben weitgehend in den Händen des lokalen Personals bleiben.

Kastentext: Die Leitlinien

Das Originaldokument der Leitlinien für Arzneimittelspenden "Guidelines for Drug Donations" in der aktuellen 2. Ausgabe vom März 1999 kann unter folgender Adresse angefordert werden: DIFÄM-Arzneimittelhilfe e.V., Paul-Lechler-Str. 24, 72076 Tübingen Telefon (0 70 71) 20 65 31 Fax (0 70 71) 2 71 25 E-Mail: AMH@cityinfonetz.de Zusätzlich werden angeboten: Literaturlisten, Adressenlisten von Niedrigpreisanbietern, Vortragsveranstaltungen, Schautafeln zu Arzneimittelspenden, eine Sammlung der Nationalen Arzneimittellisten von Hauptempfängerländern in deutscher Sprache ist im Aufbau.

Kastentext: Die Leitlinien für Arzneimittelspenden im Internet

Das Deutsche Institut für Ärztliche Mission e.V. (DIFÄM) bietet seit kurzem auch im Internet ausführliche Informationen zum Thema "Unentbehrliche Arzneimittel", "Arzneimittelspenden" und "Gerätespenden" in sieben verschiedenen Sprachen an, die unter folgender Adresse abgerufen werden können: www.drugdonations.org. Die deutschsprachigen Texte direkt unter: www.drugdonations.org/de/index.html.

Ist es sinnvoll, in der Apotheke gesammelte Altarzneimittel in Katastrophengebiete oder Entwicklungsländer als Arzneimittelspenden zu schicken? Die Weltgesundheitsorganisation und die Arzneimittelstelle des Deutschen Instituts für ärztliche Mission sagen nein. Solche Spenden verursachen eher Probleme. Deswegen entwickelte man Leitlinien für Arzneimittelspenden, um eine Orientierungshilfe anzubieten.

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