Berichte

Chronische Herzinsuffizienz: Paradigmenwechsel in der Therapie

Auf einer Veranstaltung der Pharmazeutischen Gesellschaft Württemberg e.V. am 23. November 2000 im Katharinenhospital Stuttgart hielt Prof. Dr. Dr.Ernst Mutschler einen Vortrag mit dem Thema "Therapie der chronischen Herzinsuffizienz - Beispiel eines Paradigmenwechsels". Mit diesem Vortrag, für den sich das Auditorium mit standing ovations bedankte, verabschiedete er sich als Vortragender von dieser Regionalgruppe der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft.

Die Herzinsuffizienz ist nicht nur die häufigste Einweisungsdiagnose zur stationären Behandlung älterer Patienten, sondern auch eine der bedeutsamsten Todesursachen. In den letzten Jahren haben sich die Vorstellungen zur Pathophysiologie der chronischen Herzinsuffizienz grundlegend geändert. Dementsprechend wurden auch die Therapie und Behandlungsstrategien den neuen Erkenntnissen angepasst. Nach der Definition der WHO versteht man unter Herzinsuffizienz die eingeschränkte körperliche Belastbarkeit aufgrund einer nachweisbaren kardialen Funktionsstörung. Je nachdem, welche Teile des Herzens oder des Funktionsablaufs betroffen sind, wird zwischen einer Rechts-, Links-, Global-, diastolischen oder systolischen Insuffizienz unterschieden. Ursache für eine chronische Herzinsuffizienz ist meist ein Myokardschaden infolge einer KHK oder eines Bluthochdrucks. Sie tritt aber auch auf, bei vermehrter Volumenbelastung wie z.B. infolge einer Klappeninsuffizienz, bei Herzrhythmusstörungen und bei extrakardialen Störungen, wie z.B. einer Anämie.

NYHA-Klassifikation

Je nach klinischer Symptomatik wird die Herzinsuffizienz entsprechend den Empfehlungen der New York Heart Association (NYHA) klassifiziert. Das StadiumI verursacht keine Beschwerden. Die Diagnosestellung erfolgt mittels Ultraschallmessung der Ejektionsfraktion. Sie ist bei herzinsuffizienten Patienten vermindert. Beim Gesunden liegt sie bei 75%, d.h. in der Systole werden 75% des im Ventrikel befindlichen Blutes aus dem Herzen gepumpt. Auch wenn sie dem Patienten keine Beschwerden bereitet, erfordert die Erkrankung in diesem Stadium auf jeden Fall eine Therapie.

Dahingegen treten Beschwerden bei NYHA II bei mäßiger und bei NYHA III schon bei normaler körperlicher Belastung auf. Bei der schwersten Form NYHA IV hat der Patient Beschwerden auch ohne körperliche Aktivitäten. Die Prognose ist bei den schweren Formen sehr schlecht. So liegt die Überlebenszeit bei NYHA III unter drei Jahren und bei NYHA IV sogar unter einem Jahr.

Paradigmenwechsel

In den früheren Therapieempfehlungen gehörten Herzglykoside zu den Mitteln der ersten Wahl. Beta-Blocker und Spironolacton galten als kontraindiziert. Folgende Erkenntnisse aus wegweisenden wissenschaftlichen Studien in den letzten Jahren haben nun dazu geführt, das Therapieregime beinahe grundlegend zu ändern: 1. Es ist falsch, das chronisch insuffiziente Herz zusätzlich medikamentös zu stimulieren, vielmehr muss es entlastet werden. Dies geschieht durch Senkung der Vor- und der Nachlast des Herzens. Medikamentös ist dies möglich mit: Nitraten, Diuretika, ACE-Hemmern und Angiotensin-II-Rezeptorblockern. 2. Das chronisch insuffiziente Herz darf nicht alleine betrachtet werden, sondern als Teil des gesamten Herz-Kreislauf-Systems. Dazu gehören das Herz, die Gefäße, das Blut, das autonome Nervensystem, das RAAS (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) und das Endothel. Die zur Behandlung geeigneten Arzneistoffe greifen nicht nur am Herzen an, sondern wirken auch an den anderen Stellen des Herz-Kreislauf-Systems. 3. Bei der chronischen Herzinsuffizienz ist entscheidend, die auf Dauer schädlichen Kompensationsmechanismen auszuschalten, denn infolge der andauernden Überlastung des Herzens kommt es zu nachhaltigen strukturellen Veränderungen und weiteren Funktionsstörungen. Dies erfolgt in erster Linie durch Dämpfung des erhöhten Sympathikustonus, des aktivierten RAAS und des stimulierten Adiuretinsystems sowie durch die Regulation der gestörten Endothelfunktion. 4. Oberstes Ziel ist eine Verbesserung der Prognose durch Beeinflussung des Remodeling des Herzgewebes und der Apoptose der Kardiomyozyten, um so das unablässige Fortschreiten des Krankheitsprozesses aufzuhalten.

Neues Therapieregime

Bei der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz sind folgende Ziele anzustreben:

  • die Reduzierung der kardiovaskulären Mortalität,
  • die Reduzierung der Gesamtmortalität,
  • die Verringerung der Anzahl und der Dauer von Krankenhausaufenthalten und
  • die Verbesserung der Lebensqualität.

Hierzu werden die folgenden Arzneistoffe entsprechend dem empfohlenen Stufenschema eingesetzt:

  • NYHA I: ACE-Hemmer,
  • NYHA II: ACE-Hemmer + Diuretikum (+ Beta-Blocker),
  • NYHA III: ACE-Hemmer + Diuretikum + Herzglykoside + Beta-Blocker,
  • NYHA IV: ACE-Hemmer + Diuretikum + Herzglykoside + Beta-Blocker + Aldosteron-Rezeptor-Antagonist.

Den Empfehlungen des Stufenschemas liegen die nachfolgenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den einzelnen Arzneistoffgruppen zugrunde:

  • ACE-Hemmer senken nicht nur den peripheren Widerstand, sondern vermindern auch die Noradrenalin- und Aldosteronfreisetzung. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass sie die Prognose verbessern. Sie gehören nach wie vor zu den Basistherapeutika bei der chronischen Herzinsuffizienz.
  • Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten (Sartane) senken den peripheren Widerstand und sind offensichtlich ähnlich wirksam wie die ACE-Hemmer (ELITE I und II). Bislang konnten aber in keiner Studie Anhaltspunkte für eine therapeutische Überlegenheit der Sartane gegenüber den ACE-Hemmern gefunden werden, weshalb die ACE-Hemmer weiterhin die Mittel der Wahl bei der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz sind. Dennoch sind die Sartane eine wertvolle Alternative, wenn etwa Kontraindikationen gegen ACE-Hemmer vorliegen oder während der Therapie Unverträglichkeiten auftreten. Gegenwärtig werden weitere Studien durchgeführt, in denen der Stellenwert der Sartane überprüft wird (z.B. ValHeFt-Studie mit Valsartan).
  • Beta-Blocker schützen das Herz vor den schädlichen Einwirkungen der Catecholamine. Bislang konnte nur von Carvedilol, Bisoprolol und Metoprolol in Studien mit NYHA-IV-Patienten eine Reduktion der Mortalität um bis zu 40% gezeigt werden. Ferner ist der Nutzen für die NYHA-KlassenII und III erwiesen. Für Patienten mit NYHAI stehen die Ergebnisse aus Studien noch aus, sodass bislang keine offiziellen Empfehlungen für diese Patientengruppe gegeben werden können.
  • Diuretika vom Thiazid-Typ wirken vor- und nachlastsenkend und sind die Mittel der Wahl. Schleifendiuretika werden bei akuter Verschlechterung eingesetzt. Eine besondere Wertschätzung erfährt zur Zeit der Aldosteron-Rezeptor-Antagonist (ARA) Spironolacton, da er, wie in der RALES-Studie gefunden, einen günstigen Einfluss auf das Remodeling des Herzens und somit auf die Progression der Erkrankung hat. Mit der Neuentwicklung Eplerenon steht demnächst auch ein selektiver ARA zur Verfügung, der nicht mehr antiandrogen und progestagen wirkt.
  • Herzglykoside: In allen bisher durchgeführten Studien konnte gezeigt werden, dass durch Herzglykoside kein Tag Leben dazu gewonnen wird. Sie werden aber noch bei NYHA-KlasseIII und IV eingesetzt, da sie den Parasympathikus stimulieren und somit die Herzfrequenz senken.
  • Nitrate wie ISDN, ISMN und GTN wirken hauptsächlich vorlastsenkend (initial auch nachlastsenkend) und werden bei uns vorwiegend bei der Behandlung der KHK eingesetzt. In den USA werden sie hingegen auch bei der chronischen Herzinsuffizienz verschrieben.
  • Phytopharmaka: Zur Zeit liegen Studien vor, in denen eine Wirksamkeit von Phytopharmaka bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz gezeigt werden konnte. Gegenwärtig wird eine klinische Endpunktstudie bei Patienten im NYHA-III-Stadium mit Crataegusextrakt und der üblichen Standardtherapie durchgeführt (SPICE-Studie). Sollen Patienten mit NYHAI und II, trotz fehlender Studiendaten, derzeit mit Crataegusextrakt behandelt werden, so wird eine Dosierung von 900 mg/Tag empfohlen.
  • Calciumantagonisten sind bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz kontraindiziert, da sie in allen bisher durchgeführten Studien die Prognose verschlechtert haben.

Ausblick

  • Apoptoseinhibitoren: Bei der Apoptose wird in der Zelle eine Reihe von Proteinen aktiviert, die den programmierten Zelltod steuern und gewährleisten. Dazu gehören Caspasen. Diese sind cysteinhaltige Proteasen, die nach ihrer Aktivierung Proteine (z.B. der Kernmembran, des Zytoskeletts, der Adhäsionsmoleküle) nach einem Aspartatrest spalten und so an der Degradation der Zelle beteiligt sind. Durch die Entwicklung herzspezifischer Effektor-Caspasen-Hemmer will man die Apoptose der Myozyten stoppen.
  • Vasopeptidaseinhibitoren (VPI) hemmen simultan zwei wichtige an der Zelloberfläche lokalisierte Schlüsselenzyme der Blutdruckregulation, und zwar das ACE und Endopeptidasen. Letztere spalten natriuretische Peptide (ANP, BNP und CNP), die vasodilatierend und natriuretisch wirken. Ferner scheinen sie auch die Proliferation von vaskulären glatten Muskelzellen (SMC) zu hemmen. Bei den VPI handelt es sich folglich um ACE-Hemmer mit einem diuretischen Effekt und zusätzlicher Vasodilatation. Der am besten untersuchte VPI Omapatrilat hat in zahlreichen Studien seine Wirksamkeit gezeigt und wird demnächst zur Hochdrucktherapie zugelassen.

Weitere Studien und die Erfahrungen in und aus der Praxis werden zeigen, wie sich die neuen Therapieempfehlungen der chronischen Herzinsuffizienz bewähren und wo sie verbessert werden können. Wie werden wohl die Empfehlungen in fünf Jahren lauten?

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