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Gibt es ein BSE-bedingtes Risiko für Arzneimittel? (DPhG-Stellungnahme)

Nachfolgend veröffentlichen wir eine Stellungnahme der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) zur Sicherheit von Arzneimitteln in Deutschland unter dem Aspekt der aktuellen Problematik von Rindern, die an einer bovinen spongiformen Encephalitis (BSE) erkrankt sind.

Ähnlich wie vor knapp fünf Jahren ist die Bevölkerung angesichts der jüngsten Entwicklungen um die BSE-Problematik verständlicherweise wieder stark verunsichert und beunruhigt. Deutschland scheint seit einigen Wochen in puncto BSE seine "Unschuld" verloren zu haben. Erstmals wurde ein in Deutschland geborenes Rind als "BSE-infiziert" positiv diagnostiziert. Die Medien haben ein Katastrophenbild gezeichnet. Politiker haben nach wüsten gegenseitigen Schuldzuweisungen einhellig Versäumnisse eingeräumt und eine Effizienz demonstriert, die man bisher nicht für möglich gehalten hatte. War dies in der Sachen vertrauensbildend? Sicherlich nicht!

Eine richtige Entscheidung

Da im Zusammenhang mit der BSE-Problematik immer wieder auch die Sicherheit von Medikamenten in Frage gestellt wird, sieht sich die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) als wissenschaftlicher Dachverband aller pharmazeutischen Disziplinen veranlasst, die neue Situation sachlich zu analysieren und diesbezüglich eine klärende Stellungnahme zu formulieren.

Was ist passiert? Ein Rind auf einem Gut in Schleswig-Holstein wurde bei einer Routineuntersuchung als "BSE-infiziert" diagnostiziert. Allerdings steht auch nach dieser positiven Diagnose nicht sicher fest, dass es sich bei dem BSE-Fall tatsächlich um eine Infektion gehandelt hat. Dies erscheint jetzt sogar als unwahrscheinlich, da kein zweites Rind aus der Herde positiv getestet wurde. Im nachhinein war es eine richtige Entscheidung, die ganze Herde zu untersuchen (und damit leider auch zu töten), um genau diesen Schluss ziehen zu können. Spongiforme Encephalopathien treten auch spontan auf. Beim Menschen liegt die Rate an spontanen Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen in einer Größenordnung von 1 : 1 000 000. Eine solche spontane Erkrankung kann natürlich auch bei Rindern auftreten, und es spricht vieles dafür, dass das bei dem diagnostizierten Fall auch so war.

BSE-bedingtes Risiko mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen

Nach Ansicht der DPhG kann ein BSE-bedingtes Risiko für Medikamente, die in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen sind, auch nach diesem deutschen BSE-Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Diese Einschätzung basiert auf einem nahezu einmaligen Evaluierungssystem, das erstmals 1994 (BAnz. vom 16. 2. 1994, S. 1815) und dann in leicht modifizierter Form Ende 1995 (BAnz. vom 9. 11. 1995, S. 11604) im Bundesanzeiger publiziert wurde und seit November 1995 für alle in Deutschland zugelassenen Arzneimittel und Homöopathika verbindlich gilt. Dieses System wurde in der letzten Woche an die neue Situation in Deutschland angepasst. Man hat also schnell, sachlich und angemessen reagiert. Da solche Reaktionen für die Laienpresse eher uninteressant sind, wurde darüber auch kaum berichtet. Nach Meinung der DPhG sollten allerdings die Fachleute - und das sind alle Apothekerinnen und Apotheker - die Grundzüge dieser Sicherheitsmaßnahmen kennen.

Grundzüge der Sicherheitsmaßnahmen

In der "Sicherheitsanforderung an Arzneimittel aus Körperbestandteilen von Rind, Schaf oder Ziege zur Vermeidung des Risikos einer Übertragung von BSE bzw. Scrapie" wurden folgende sechs sicherheitsrelevanten Bereiche definiert:

  • die Herkunft und Haltung der Tiere (Land, Herde, Fütterung),
  • die Art des verwendeten Ausgangsmaterials (Organ, Gewebe, Körperflüssigkeit),
  • die durchgeführten Verfahren zur Abreicherung oder Inaktivierung potenziell vorhandener BSE-Erreger,
  • die Menge des zur Herstellung einer Tagesdosis eingesetzten Ausgangsmaterials,
  • die Anzahl der Tagesdosen,
  • die Applikationsart.

Diese sicherheitsrelevanten Bereiche wurden wiederum unterteilt, und es wurden Kategorien definiert, die je nach Risiko auf der Basis experimentell erarbeiteter Daten - und damit nachvollziehbar -gewichtet und mit Faktoren von 0 bis 8 belegt wurden. Ist das Risiko innerhalb eines sicherheitsrelevanten Bereichs gering, ist dies an einem großen Faktor zu erkennen. Ist das Risiko innerhalb eines sicherheitsrelevanten Bereichs hingegen hoch, wird ein kleiner Faktor vergeben.

Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Kann für einen Wirkstoff, der aus einem Rind, einem Schaf oder einer Ziege gewonnen wird, das Herkunftsland des Tieres nicht nachprüfbar belegt werden, wird für den sicherheitsrelevanten Bereich "Herkunft und Haltung der Tiere (Land, Herde, Fütterung)" der (kleine) Faktor 1 vergeben. Kann dagegen nachprüfbar belegt werden, dass die Tiere beispielsweise aus einem Land stammen, in dem entweder bisher noch nie oder nur bei einzelnen nachweislich aus dem UK importierten Rindern BSE bekannt geworden ist und spätestens seit Juli 1990 ein Importverbot für Zuchtrinder aus dem UK besteht, werden für den gleichen Bereich sechs Punkte (der Faktor 6) vergeben. So wurden bisher Rinder bewertet, die aus Deutschland stammten.

Die neue Situation erfordert eine Neubewertung in diesem Punkt. Danach können für Rinder aus Deutschland nur noch fünf Punkte vergeben werden, da zwar die Prävalenz BSE-infizierter Rinder sicher unter 10-5 liegt, nun jedoch "ein oder mehrere Einzelfälle von BSE-Erkrankungen bekannt geworden sind".

Mit einem zweiten Beispiel soll das Prinzip weiter verdeutlicht werden. Wird der Wirkstoff aus einem hochinfektiösen Gewebe wie dem Hirn eines Tieres isoliert, so wird für den sicherheitsrelevanten Bereich "Art des verwendeten Ausgangsmaterials (Organ, Gewebe, Körperflüssigkeit)" der Faktor 0 eingesetzt. Wird dagegen - wie beispielsweise im Falle des Insulins - der Wirkstoff aus einem gering infektiösen Gewebe (der Bauchspeicheldrüse) isoliert, werden 5 Punkte (Faktor 5) angerechnet.

Aufgrund theoretischer Überlegungen fordert heute die Zulassungsbehörde, dass die Summe der für die sechs sicherheitsrelevanten Bereiche zugeteilten Faktoren bei jedem Medikament und bei jedem Hilfsstoff mindestens 20 betragen muss. Unter diesen Bedingungen ist das Risiko, sich durch Einnahme eines Arzneimittels mit einer BSE-ähnlichen Krankheit zu infizieren, kleiner als das Risiko, natürlicherweise an der Creuzfeldt-Jakob-Krankheit - der beim Menschen am häufigsten vorkommenden BSE-ähnlichen Erkrankung - zu erkranken.

Dokumentation für alle zugelassenen Arzneimittel

Für alle in Deutschland zugelassenen Medikament musste in den letzten Jahren eine Dokumentation erarbeitet und bei der Zulassungsbehörde eingereicht werden, in dem die einzelnen sicherheitsrelevanten Bereiche mit konkreten und überprüfbaren Zahlen belegt wurden. Allen Medikamenten, für die bis zum November 1995 ein derartiges Dossier nicht vorlag, wurde mit sofortiger Wirkung die Zulassung entzogen. Mit anderen Worten: Die für die Zulassung von Medikamenten beauftragte Aufsichtsbehörde in der Bundesrepublik Deutschland hat durch ein einmaliges Sicherheitssystem dafür gesorgt, dass in Deutschland zugelassene Medikamente sicher und Bedenken unbegründet sind, von einer Medikamenteinnahme könne ein BSE-bedingtes Risiko ausgehen. Dies gilt auch, nachdem in Deutschland erstmals eine BSE-Infektion bei einem Rind diagnostiziert wurde, das in Deutschland geboren wurde. Unbeschadet dieser beruhigenden Einschätzung fordert die DPhG, statt überzogener und panisch ausgesprochener Verbote eine regelmäßigere und umfassendere Kontrolle der verhängten Verbote sicherzustellen. Dazu gehören neben BSE-Schnelltests bei Risikotieren auch regelmäßige Analysen vor Ort auf Tiermehlbeimischungen in Futter für Wiederkäuer. Das erforderliche analytische Repertoire steht zur Verfügung. Hiervon würden Arznei- und Lebensmittel gleichermaßen profitieren.

Ähnlich wie vor knapp fünf Jahren ist die Bevölkerung angesichts der jüngsten Entwicklungen um die BSE-Problematik wieder stark verunsichert und beunruhigt. Erstmals wurde ein in Deutschland geborenes Rind als "BSE-infiziert" positiv diagnostiziert. Die Medien haben ein Katastrophenbild gezeichnet. Politiker haben nach wüsten gegenseitigen Schuldzuweisungen einhellig Versäumnisse eingeräumt. Das Bundesinstitut für Verbraucherschutz teilt mit, dass es keine absolute Sicherheit für Verbraucher gibt. Aus einer Stellungnahme der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) zur Sicherheit von Arzneimitteln in Deutschland geht hervor, dass von Arzneimitteln keine BSE-Gefahr ausgeht. Auch Impfstoffe gelten als sicher, wie das Paul-Ehrlich-Institut mitteilt.

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