Feuilleton

"Nachlese": Die am meisten geschätzte Arzneipflanze

Auf meinen Hinweis zur Bedeutung der besten Arzneipflanze (Vitis vinifera forma franconia) im festlichen Geschehen der Bayerischen Staatsregierung (DAZ Nr. 43, Seite 72) erhielt ich zu meinem Erstaunen bis zum 7. November 16 Anfragen und Anregungen von Lesern der DAZ. Der entfernteste Hinweis kam aus einem Weinanbaugebiet in Süd-Australien. Das spricht zum einen für die Verbreitung und den Bekanntheitsgrad der DAZ, zum anderen aber auch für das Traditionsbewusstsein der Weinfreunde und DAZ-Leser. Denn keine E-Mail und kein Fax war bei den Anfragen dabei. Nur Telefonate und Briefe nach altväterlicher Art erreichten mich.

Der Bocksbeutel bleibt exklusiv fränkisch

Einige Anmerkungen sind der Weitergabe wert. So war meine "Nachlese" schon im Druck, als in der Würzburger Main-Post vom 20. Oktober 2000 zu lesen war, wem, noch besser, welcher Partei wir die Bocksbeutel bei den bayerischen Staatsempfängen zu verdanken haben. Nein, diesmal nicht der CSU. Es sind die Genossen der Münchner SPD, die sich um den Frankenwein verdient gemacht haben. Auf ihren Vorschlag kommt bei Staatsempfängen nur noch Frankenwein ins Glas. Das betonte jedenfalls der agrarpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Gustav Starzmann, anlässlich der Aussage des Bundeslandwirtschaftsministers Karl Heinz Funke (ebenfalls SPD) zum bekanntesten Markenzeichen des bayerischen (und badischen) Frankenweins: "Wir haben von der EU-Kommission in Brüssel die Zusage erhalten, dass der Bocksbeutelschutz wieder in die Verordnung eingearbeitet wird." Die Kommission hatte nämlich ursprünglich in ihrem neuen Entwurf zur EU-Weinmarktverordnung den Markenschutz des Bocksbeutels ersatzlos gestrichen, um die Verordnung zu vereinfachen. Das lässt sich ein Franke natürlich nicht gefallen. So können Franken eine unheimliche Penetranz an den Tag legen, wenn es um lebenswichtige Dinge geht. Und der Bocksbeutel gehört dazu. In dieser Eigenschaft ähneln Franken den Ostpreußen, die ja für ihre charmante Sturheit bekannt sind. Man erinnere sich nur an Hamilkar Schaß, die Kultfigur in Siegfried Lenz' Schelmenroman "So zärtlich war Suleyken".

Herr Müller aus dem Thurgau

Eine häufig gestellte Frage war die nach dem Namensgeber der Rebe Müller-Thurgau. Es war Hermann Müller, der sich bereits in jungen Jahren nach seinem Schweizer Heimatkanton Müller-Thurgau nannte. Er wurde vor fast genau 150 Jahren, am 21. Oktober 1850, in Tägerwilen am Bodensee als Sohn eines Bäckermeisters geboren. Nach seiner Ausbildung zum Realschullehrer und zum Diplom-Fachlehrer für Naturwissenschaften am Zürcher Polytechnikum (heute: ETH) ging er 1872 an das Institut für Botanik der Universität Würzburg. Hier wurde er 1874 unter Leitung von Julius Sachs (1832 bis 1897), dem Begründer der modernen Pflanzenphysiologie, zum Doktor der Philosophie promoviert. Der Titel seiner Dissertation lautete: "Die Sporenvorkeime und Zweigvorkeime der Laubmoose". Nach seiner Promotion arbeitete Müller-Thurgau zunächst im Würzburger Vorort Randersacker bei dem Weinbau-Pionier Sebastian Englerth. Er hatte eine Weinbauschule eröffnet, deren Mitarbeiter sich vor allem mit der Züchtung neuer Rebsorten beschäftigten. Aber bereits 1876 wurde Müller-Thurgau die Leitung der 1875 gegründeten Pflanzenphysiologischen Versuchsstation der seit 1872 bestehenden Preußischen Lehr- und Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Geisenheim übertragen. Hier führte er Kreuzungen mit verschiedenen Rebsorten durch und prüfte die Eigenschaften dieser Hybriden. Eine der 1882 gelungenen Kreuzungen erhielt später den Namen ihres Züchters. Ab 1891 übernahm Müller-Thurgau die Leitung der Eidgenössischen Weinbau-Versuchsanstalt in Wädenswil. Hier wurden u.a. 150 "Geisenheimer Kreuzungen" aus Riesling und Silvaner (wie man lange Zeit annahm) weiter kultiviert. Sämling Nr. 58 erwies sich in seinen Eigenschaften für den Anbau unter nicht immer optimalen Kulturbedingungen als der beste. Ab 1913 wurden etwa 100 Abkömmlinge dieser Rebe mit der Sortenbezeichnung "Müller-Thurgau" nach Deutschland rückgeführt und seither in verschiedenen Weinbaugebieten angebaut. Müller-Thurgau wirkte in Wädenswil fast bis zu seinem Lebensende am 18. Januar 1927 als erfolgreicher Lehrer und Forscher. Was er geleistet hatte, war tatsächlich praxisorientierte Grundlagenforschung.

Überraschung beim "Vaterschaftsnachweis"

Ein Wort zur Müller-Thurgau-Rebe: Lange Zeit galt sie als Kreuzungsprodukt von Riesling x Silvaner (in der Schweiz ist das sogar ihre amtliche Bezeichnung). Inzwischen sind an dieser Elternschaft Zweifel aufgekommen. Neuere molekularbiologische Forschungen (Erika Dettweiler et al.: Vitis 39, 63-65, 2000) machen es sehr wahrscheinlich, dass die Müller-Thurgau-Rebe Riesling und Madeleine Royale (syn. Königliche Magdalenentraube) als Eltern hat. Vielleicht ist man seinerzeit bei der Buchführung der Züchtungsversuche etwas schlampig gewesen. Aber was soll's! Die Frage der Elternschaft ist wie so oft - man denke nur an römische Grabinschriften: MATER CERTA PATER INCERTUS - auch hier sekundärer Natur. Hauptsache das Vereinigungsprodukt ist gut geraten. Und das kann man vom "Müller-Thurgau" wirklich sagen. So lautet auch die Beurteilung dieser in Franken 1999 auf 40,6% der Rebfläche (= 2444 ha) angebauten Rebe durch die Bayerische Landesanstalt in Veitshöchheim bei Würzburg: "Die Trauben liefern süffige, leichte, elegante Qualitätsweine mit angenehmem Muskatton und milder Säure. Je nach Standort ist der Wein mehr oder weniger blumig. In sehr warmen Jahren z.T. mit zu geringer Säure, mit breitem und wuchtigem Ausdruck." Kann es ein besseres Phytopharmakon geben?

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