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Zur "Misere des Gesundheitswesens" nimmt Hans D. Barbier in einem FAZ-Kommentar "Der Patient muss Kunde sein" vom 6. November Stellung:

Das Gesundheitssystem muss grundlegend geändert werden. Es führt nicht weiter, immer nur über die Qualifikation und das Geschick von Frau Fischer zu klagen. Mit der Reformaufgabe, die zu leisten ist, wäre - jedenfalls im Sinne der politischen Durchsetzung - wahrscheinlich jeder andere Gesundheitsminister auch überfordert. Das ist eine Aufgabe für die ganze Koalition: Sie hat zunächst einmal zu entscheiden, ob sie das Gesundheitswesen von den inneren Widersprüchen befreien will, unter denen es erkennbar leidet. Der erste Widerspruch liegt schon in der Zielformulierung. Soll das Gesundheitssystem wirklich allen Bürgern den jeweils letzten Stand der Medizin zugänglich machen? Oder besteht das Reformziel darin, über stabile Beiträge zur Krankenversicherung die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze zu fördern? Das erste Ziel entspricht der gängigen politischen Rhetorik, ist aber mit der gesetzlichen Krankenversicherung, das heißt in einer Einrichtung ohne Preissteuerung, nur mit explosionsartig steigenden Kosten zu realisieren. Das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze ist aller Ehren wert, gehört aber nicht in den Kontext der Gesundheitspolitik. (...) Aus diesem Gewirr von Widersprüchen ist durch Reparaturnovellen keine Reform zu gewinnen. Eine Reform, die den Namen verdient, kann auf einigen wenigen Grundgedanken basieren. Dazu zählen: Gesundheit ist ein Gut, dessen Markt und Preisbildung in den Rahmen einer Solidaritätsgemeinschaft zu stellen ist. Die Beitrags- und Leistungskalkulation dieser Solidargemeinschaft richtet sich an versicherungstechnischen Grundsätzen aus. (...) Was die Gesellschaft für Gesundheitsleistungen ausgeben will, ergibt sich aus den in der Zahlungsbereitschaft sich artikulierenden Wünschen ihrer Mitglieder, nicht aus den bevormundenden Budgetvorgaben der Politik. Die Kosten der solidarisch zu deckenden Risiken im Bereich der Zwangsversicherung werden durch einen Kerntarif gedeckt. Ein System aus Wahltarifen und Beitragsrückerstattungen kann dann Raum lassen für individuelle Sicherungswünsche und für individuelles Kostenbewusstsein.

Die Süddeutsche Zeitung vom 10. November argewöhnt, dass der Kampf der Apotheker gegen DocMorris eher einem Rückzugsgefecht gleicht:

Tatsächlich kommt der Kampf der Apotheker gegen Internet-Anbieter wie DocMorris eher einem Rückzugsgefecht gleich. Fachleute verweisen fast unisono darauf, dass die virtuelle Apotheke kaum mehr aufzuhalten ist. "Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen", sagt der Vorstand der BKK Post, Ralf Sjuts. Die größte deutsche Betriebskrankenkasse ist für die Öffnung des Versandhandels auch in Deutschland, allerdings unter strengen Auflagen. So müsse es eine besondere Zulassung und Zertifizierung der Anbieter geben, verlangt Sjuts. Die BKK rechnet mit erheblichen Einsparpotenzialen in einer Größenordnung zwischen 15 bis 20 Prozent. Bei Arzneimittelkosten von 40 Milliarden DM pro Jahr macht dies eine erkleckliche Milliardensumme aus - eine Summe, die das größte Interesse von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer auf sich ziehen dürfte. Vorsichtige Formulierungen ("Wir gehen davon aus, dass man sich dem Einsatz des neuen Mediums nicht verschließen kann") zeigen, dass das Ressort der Internet-Versandthematik nicht abgeneigt ist. Am 13. Dezember finden deshalb unter Fischers Leitung Expertengespräche mit Vertretern der Apotheker, Ärzte und Krankenkassen sowie von Verbrauchern und Pharmaunternehmen in Berlin statt.

Alexander Neubacher beschäftigt sich im Spiegel vom 13. November 2000 mit der Position von Gesundheitsministerin Andrea Fischer in der rot-grünen Regierung und ihrer Partei:

Sprengstoff steckt auch in dem Gutachten, das der unabhängige Sachverständigenrat (die "fünf Weisen") an diesem Mittwoch der Regierung vorlegen will. Ausführlich haben sich die Professoren mit dem Gesundheitswesen beschäftigt. Die zunehmende Überalterung der Gesellschaft, so ihre Warnung, drohe das System zu zerstören. Ministerin Fischer warnt davor schon länger. Bereits im Frühjahr hatte sie laut darüber räsoniert, nicht berufstätige Ehepartner bei der Krankenversicherung künftig zur Kasse zu bitten sowie Vermögende oder Risikosportler mit Extraprämien zu belasten. Kanzler Gerhard Schröder persönlich stoppte den schlecht vorbereiteten Denkanstoß der Ministerin, ohne dass grüne Parteifreunde ihr beistanden. Die Aufmerksamkeit, die ihr Ressort in den eigenen Reihen nun plötzlich genießt, erfüllt sie daher auch mit Misstrauen. Allzu deftiger Beistand, so die Befürchtung, könne auch so interpretiert werden: Sie allein kann es nicht. Machttaktiker Kuhn macht jedenfalls deutlich, dass es ihm weniger um Rückendeckung für die geschätzte Ministerin geht und mehr um den Erhalt des grünen Ressorts. "Wenn wir mit der Gesundheitspolitik baden gehen", schwant ihm, "dann geht nicht nur Andrea Fischer baden."

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