DAZ aktuell

Re- und Parallelimporte: Bayer AG muss EU-Bußgeld nicht bezahlen

STUTTGART (hst). Die Bayer AG in Leverkusen muss ein von der EU-Kommission verhängtes Bußgeld in Höhe von 3 Mio. ECU nicht bezahlen. Dies hat der Europäische Gerichtshof in der vergangenen Woche entschieden. Die EU-Kommission war der Auffassung, Bayer habe mit der Begrenzung von Lieferungen des Präparates Adalat an Arzneimittelgroßhändler in Spanien und Frankreich gegen EU-Recht verstoßen. Dies sah der Europäische Gerichtshof jetzt anders (Aktenzeichen T-48/96).

Hintergrund des Verfahrens ist der Versuch der Bayer AG, Verluste der britischen Tochtergesellschaft infolge von Re- oder Parallelimporten innerhalb der Europäischen Union zumindest zu begrenzen. Bekanntlich werden die Preise der Arzneimittel in den meisten Mitgliedstaaten direkt oder indirekt von Regierungsstellen der Mitgliedstaaten, den zuständigen nationalen Behörden oder Kostenträgern festgesetzt. Diese Praxis führt zu erheblichen Preisunterschieden bei identischen Produkten in den EU-Mitgliedstaaten. Die Preisunterschiede wiederum machen die Re- und Parallelimporte zwischen den Staaten zu einem wirklich lukrativen Geschäft für Exporteure und Importeure.

Ertragsverluste durch Importe

Von 1989 bis 1993 lagen die Preise für Adalat in Frankreich und Spanien weit unter den Preisen in Großbritannien. Diese Preisunterschiede von etwa 40 % veranlassten Arzneimittelgroßhändler in Spanien (ab 1989) und in Frankreich (ab 1991), große Mengen von Adalat nach Großbritannien auszuführen. Aufgrund dieser Parallelimporte halbierte sich der Adalat-Absatz von Bayer in Großbritannien von 1989 bis 1993 nahezu. Dem Unternehmen entstand bei der britischen Tochtergesellschaft ein Umsatzverlust von 230 Millionen DM. Der Ertragsverlust für Bayer belief sich auf 100 Mio. DM. Der Bayer-Konzern änderte daraufhin seine Lieferpolitik und erfüllte die Bestellungen der spanischen und französischen Arzneimittelgroßhändler nur noch in Höhe ihres herkömmlichen inländischen Bedarfs. Die betroffenen Arzneimittelgroßhändler hatten teilweise ein Mehrfaches des Bedarfs aus den vergangenen Jahren bestellt.

Nach Beschwerden betroffener Arzneimittelgroßhändler erließ die Kommission am 10. Januar 1996 eine Entscheidung, in der sie Bayer aufforderte, diese gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft verstoßende Praxis zu ändern, und verhängte gegen das Unternehmen eine Geldbuße in Höhe von 3 Millionen ECU. Bayer sollte den Arzneimittelgroßhändlern ausdrücklich erlauben, Adalat nach Großbritannien zu exportieren.

EuGH erklärt Entscheidungen für nichtig

Auf Klage von Bayer erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Entscheidung in der vergangenen Woche für nichtig. Nach Ansicht des Gerichtshofes hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass Bayer und die spanischen und französischen Arzneimittelgroßhändler eine Vereinbarung über die Begrenzung der Parallelimporte von Adalat nach Großbritannien getroffen haben. Genau dies hatte die Kommission unterstellt und zur zentralen Grundlage ihrer Entscheidung gemacht. Nach Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob eine unzulässige Absprache zwischen Bayer und den Großhändlern bestand oder nicht.

Die Bestandteile einer Vereinbarung zwischen Unternehmen seien, so das Gericht in seiner Begründung, weder dem Verhalten des Bayer-Konzerns noch der Haltung der Arzneimittelgroßhändler zu entnehmen. Keine der von der Kommission vorgelegten Unterlagen enthalte einen Anhaltspunkt für Bestrebungen von Bayer, die Ausfuhren der Großhändler zu unterbinden oder das Einverständnis der Arzneimittelgroßhändler zu der neuen, auf die Begrenzung der Parallelexporte abzielenden Lieferpolitik von Bayer zu erlangen.

Die Kommission habe auch nicht dargelegt, dass sich die Arzneimittelgroßhändler dieser Politik angeschlossen hätten; ihre Reaktion lasse vielmehr auf eine ablehnende Haltung schließen. Die Kommission habe somit nicht nachgewiesen, dass die Arzneimittelgroßhändler dem Verhalten des Herstellers ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hätten.

Schließlich reiche die Feststellung der Kommission, dass die Parteien ihre Geschäftsbeziehungen beibehielten, zum Beweis für die Existenz einer Vereinbarung nicht aus, denn der Begriff der Vereinbarung beruhe auf einer Willensübereinstimmung zwischen den Wirtschaftsteilnehmern.

Führen Parallelimporte zur Preisharmonisierung?

Der Gerichtshof rüttelt aber auch an einigen Fundamenten der bisherigen Harmonisierungspolitik der EU-Kommission im Arzneimittelbereich: Die Kommission könne sich, so der Gerichtshof, zur Stützung ihrer These (einer verbotenen Absprache zwischen Bayer und den Arzneimittelgroßhändlern) nicht auf ihre - im übrigen durch nichts gedeckte - Überzeugung berufen, dass die Parallelimporte langfristig zur Harmonisierung der Arzneimittelpreise führen würden. Gleiches gilt nach Auffassung des Gerichts für die Äußerung der Kommission, es sei nicht akzeptabel, dass Parallelimporte behindert werden sollen, damit Pharmaunternehmen in Ländern, in denen keine Preiskontrolle besteht, weit überhöhte Preise verlangen können, um geringere Gewinne in Mitgliedstaaten, die in die Preise stärker eingreifen, auszugleichen.

Gegen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes kann innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.

Die Entscheidung des Gerichtshofes war vor allem bei den international operierenden Arzneimittelherstellern, die innerhalb der Europäischen Union wie Bayer erheblich von Parallelimporten betroffen sind und unter Umsatzeinbußen zu leiden haben, mit großem Interesse erwartet worden. Dem Urteil wird nach vorläufiger Sichtung grundsätzliche Bedeutung für die weitere Entwicklung des Parallelhandels mit Arzneimitteln innerhalb der Europäischen Union beigemessen.

Abgestimmtes Verhalten nicht zulässig

Eine einseitige Willenserklärung eines Arzneimittelherstellers, Bestellungen nicht unbegrenzt anzunehmen, stellt nach dieser Entscheidung nicht automatisch einen Verstoß gegen den EG-Vertrag dar. Freilich nicht zulässig ist ein zwischen Herstellern und Großhändlern abgestimmtes Vorgehen. Auch kann der Hersteller den Großhändlern den Export nicht untersagen oder eine Kontrolle des Endbestimmungslandes vornehmen. Er kann aber das Volumen der angenommenen Bestellungen und damit die gelieferten Mengen begrenzen, wenn er sich dabei an dem inländischen Bedarf und dessen Veränderungen orientiert.

Der Gerichtshof setzt sich insgesamt sehr ausführlich mit den von der Kommission vorgetragenen Argumenten auseinander und bewertet diese. Arzneimittelhersteller und Großhändler können an den Ausführungen des Gerichts ablesen, was der EG-Vertrag zulässt und was nicht. Einige Beobachter meinen sogar, dass der Gerichtshof dem Parallelhandel nicht zuletzt wegen der Wertung als untaugliches Mittel zur Vollendung des Binnenmarktes de facto den Todesstoß versetzt habe. Ob dies stimmt oder ob es neue Hürden geben wird, hängt zum einen von der vollständigen juristischen Auswertung der Entscheidung und zum anderen vom künftigen Verhalten der Kommission ab.

Es gilt als unwahrscheinlich, dass sich damit Re- und Parallelimporte gänzlich unterbinden lassen. Die in Europa für den Parallelhandel verfügbaren Produktmengen könnten jedoch deutlich kleiner werden. Möglicherweise lösen sich damit auch die Probleme, die sich aus der Wiederaufnahme der Importförderklausel in § 129 SGB V ergeben, von selbst, weil die entsprechenden Mengen nicht verfügbar sind.

Die Bayer AG in Leverkusen muss ein von der EU-Kommission verhängtes Bußgeld in Höhe von 3 Mio. ECU nicht bezahlen. Dies hat der Europäische Gerichtshof in der vergangenen Woche entschieden. Die EU-Kommission war der Auffassung, Bayer habe mit der Begrenzung von Lieferungen des Präparates Adalat an Arzneimittelgroßhändler in Spanien und Frankreich gegen EU-Recht verstoßen. Dies sah der Europäische Gerichtshof jetzt anders. 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.