Rechtsprechung aktuell

Kammer darf nur Mitgliederinteressen vertreten

Eine Kammer nach dem Heilberufsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (hier: Ärztekammer) überschreitet durch die Mitgliedschaft in einem Verein, der nach seiner Satzung die Interessen aller freien Berufe und tatsächlich auch die Interessen einzelner anderer freier Berufe vertritt, die ihr nach dem Heilberufsgesetz NRW gesetzten Grenzen ihrer Tätigkeit. Ein Mitglied dieser Kammer kann daher verlangen, dass die Kammer ihren Austritt aus jenem Verein erklärt. Dies hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen am 9. Dezember 1999 (Az.: 8 A 395/97) entschieden.

Der Kläger ist Mitglied einer Ärztekammer. Er wandte sich mit seiner Klage gegen die Mitgliedschaft seiner Kammer im "Verband freier Berufe e.V.", dessen Zweck es ist, alle berufsübergreifenden Bestrebungen der Angehörigen der Freien Berufe in einem allgemeinen Sinn zu verfolgen und für die Erhaltung und den Ausbau des Freien Berufes einzutreten.

Die Wahrnehmung der Interessen für die Angehörigen eines bestimmten Freien Berufs ist nach der Satzung des Vereins ausgeschlossen, soweit damit nicht auch berufsübergreifende Bestrebungen für die Gesamtheit der Freien Berufe unauflösbar verbunden sind.

Nach dem rechtskräftigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist die Ärztekammer verpflichtet, aus dem Verband auszutreten. Die mitgliedschaftliche Betätigung der Kammer in dem Verband sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, weshalb er den Austritt verlangen könne. Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz) schütze vor einer Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die nicht durch legitime Aufgaben gerechtfertigt sei. Die Einrichtung eines solchen Zwangsverbandes, wie es auch die Ärztekammer (und auch die Apothekerkammer) ist, sei danach nur zur Verwirklichung von Aufgaben zulässig, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft bestehe, die aber weder im Wege der privaten Initiative wirksam wahrgenommen werden könnten noch zu den im engeren Sinne staatlichen Aufgaben zählten, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen müsse. Aber nicht nur die Zwangsmitgliedschaft in einem unnötigen Verband sei geschützt, sondern darüber hinaus auch die nachfolgende Tätigkeit des Zwangsverbandes, und zwar jedenfalls dann, wenn die Tätigkeit des Verbandes dazu geeignet sei, über die Zwangsbeitragspflicht hinaus in eigene Rechte der Mitglieder einzugreifen. Die entfaltete Tätigkeit des Verbandes müsse daher innerhalb des der berufsständischen Kammer gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereichs liegen, sowie erforderlich und angemessen sein, um die zugewiesenen Aufgaben zu fördern und zu wahren. Weiter gehende Kompetenzen dürfe sich die Kammer nicht anmaßen, was durch den Beitritt zum Verband freier Berufe indessen geschehen sei.

Denn die Ärztekammer sei, was aus § 6 Abs. 1 Heilberufsgesetz NRW folge, auf eine Interessenvertretung beschränkt, die die Belange ihrer Mitglieder, nicht aber die fremder Berufsgruppen zum Gegenstand habe. Hiermit sei der Aufgabenbereich dieser Kammer abschließend und umfassend beschrieben. Berufsübergreifende Bestrebungen ließen sich allenfalls dann mit den Aufgaben in Einklang bringen, wenn sie in einem allgemeinen Sinne für den Erhalt und den Ausbau des freien Berufs einträten. Das Oberverwaltungsgericht folgt damit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welcher die Mitgliedschaft der Patentanwaltskammer im Bundesverband der Freien Berufe als rechtmäßig beurteilt hatte. Während der Bundesgerichtshof den Funktionsbereich einer Kammer auf den Wirkungsbereich erstreckt, der der Körperschaft im Hinblick auf den Zweck des mitgliedschaftlichen Zusammenschlusses erkennbar zugedacht ist, sieht das Oberverwaltungsgericht den Aufgabenbereich auf die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben als beschränkt an. Es sei nicht die Aufgabe einer Ärztekammer, auch die Interessen anderer Berufsgruppen zu verfolgen, was auch dann gelte, wenn dies durch die Mitgliedschaft in privaten Vereinen erfolge. Der Verband Freier Berufe beschränke sich aber nicht auf die Wahrnehmung gruppenspezifischer Interessen der Angehörigen der Ärztekammer, sondern sei zugleich auf die Förderung der Belange anderer Berufsgruppen ausgerichtet. Als Beispiele nannte das Gericht u.a. das Engagement des Verbandes im Zusammenhang mit dem "Öko-Audit" und mit der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen und der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Auch das allgemeinpolitische Engagement des Vereins, beispielsweise durch die Einladung des Dalai Lama unter dem Motto "Freiheit für Tibet" weise keinen Bezug zum Aufgabenbereich der Ärztekammer auf.

Der Kläger werde durch die mitgliedschaftliche Betätigung der Kammer in diesem Verband in eigenen Rechten verletzt und könne daher die Beendigung der Mitgliedschaft verlangen. Durch die Beteiligung beim Verband erhalte seine Mitgliedschaft eine neue Qualität, indem er durch seine Mitgliedschaft nicht nur das Eintreten das gruppenspezifische Interesse der Ärzte mittrage. Dadurch werde der Kläger stärker in Anspruch genommen, als dies vor der Aufgabenüberschreitung der Kammer der Fall gewesen sei. Das Gericht hielt die Verurteilung der Kammer zum Austritt aus dem Verband auch insbesondere deshalb nicht für unverhältnismäßig, weil sie nur ca. 5,- DM des Jahreskammerbeitrags des Klägers für die beanstandete Mitgliedschaft verwende. Dem Kläger stehe vielmehr ohne Rücksicht auf den Umfang der Beeinträchtigung seiner Handlungsfreiheit ein Unterlassungsanspruch gegen den Verband zu.

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