Feuilleton

Ausstellung: Das Ding am Gürtel

Behältnisse für kleine Gegenstände des täglichen Bedarfs befestigte der Japaner früher mit Hilfe einer Schnur und eines Knebels an seinem Gürtel. Die "Netsuke" genannten Knebel waren oft kleine Schmuckstücke und werden heute von Kennern gesammelt. Eine der größten Privatsammlungen zeigt das Linden-Museum in Stuttgart bis zum 19. November 2000 in der Ausstellung "Netsuke - Gürtelschmuck aus Japan".

Kleidung ohne Taschen

Die traditionelle japanische Kleidung hat keine Taschen. Am Kimono, der von Männern wie von Frauen getragen wurde, waren Taschen schlicht überflüssig, denn die Japaner hatten eine andere Lösung gefunden, um die diversen Kleinigkeiten, die man zu Hause und erst recht unterwegs benötigt, immer bei sich zu haben: Sie trugen sie am Gürtel ihres Kimono.

Was früher in Europa die Pillendose war, das war in Japan das Inro, ursprünglich ein Behältnis für Siegel und Siegelpaste, später dann auch für feste Arzneiformen. Auch für die europäische Schnupftabaksdose oder die Geldbörse gibt es japanische Pendants. Alle diese Gegenstände besitzen eine Stelle, durch die man eine Schnur hindurchziehen kann. Die beiden Enden der Schnur zog man dann ein Stück weit unter dem Gürtel hindurch, sodass das Inro, der Tabaksbeutel und was man sonst noch bei sich hatte, am Körper baumelte.

Wurzelanhefter

Damit die Schnur nicht von allein unter dem Gürtel hindurchrutschte und sich wieder von ihm löste, zog man ihre Enden durch einen zweiten Gegenstand, den man im Deutschen bezüglich seiner Funktion mit dem in dieser Bedeutung kaum noch bekannten Wort "Knebel" bezeichnet. Ursprünglich hatten die Japaner vermutlich kleine Wurzeln als Knebel verwendet, jedenfalls bedeutet das japanische Wort "ne-tsuke" in wörtlicher Übersetzung "Wurzelanhefter".

Entsprechend dem kostbaren Inhalt wurden die Inro im Laufe der Zeit immer aufwendiger und künstlerisch hochwertiger gestaltet - auch hier liegt der Vergleich mit den Pillendosen auf der Hand. Eine Wurzel, ein Bambussplitter oder sonstige natürlichen Gegenstände passten nicht mehr zu diesen Kleinkunstwerken, und so kam es, dass auch die Netsuke von spezialisierten Kunsthandwerkern angefertigt wurden. Da die Gestaltungsmöglichkeiten bei den Netsuke viel größer waren als bei den Inro, zeichnen sie sich oft durch eine unwahrscheinliche Originalität aus.

Kleinkunst aus Holz und Elfenbein

Insgesamt 848 Netsuke sind in der Ausstellung zu sehen. Die meisten sind aus Elfenbein und harten Hölzern wie Buchsbaum hergestellt, aber auch sonstige Tierzähne, Hirschhorn, Schildpatt, Koralle, Perlmutt, Bernstein, als Material verwendet. Als Motive waren Glücksgötter, Fabelwesen, Gestalten aus Geschichte und Legenden sowie von Theaterstücken und nicht zuletzt Pflanzen und Tiere beliebt.

Beeindruckend ist bei vielen Netsuke die naturgetreue und zugleich ausdrucksvolle Darstellung in Anbetracht der kleinen Größe. Bisweilen ist eine im Detail realistische, aber im Gesamtbild völlig unnatürliche Darstellung, wie sie das abgebildete grasende Pferd zeigt, beabsichtigt, um beim Betrachter einen Überraschungseffekt auszulösen.

Glück in der Liebe und ein langes Leben

Besonders gern haben sich die Japaner Glücksgötter an ihren Gürtel gehängt. Von den sieben Glücksgöttern, die sich alle durch eine sehr individuelle Physiognomie auszeichnen, ist Fukurokuju besonders populär. Er besitzt einen hohen Schädel, der im Fall des abgebildeten Netsuke nochmals auf groteske Weise verlängert worden ist. Zusammen mit dem Tuch, das oben um den Kopf gebunden ist, wird hier unverkennbar auf die männliche Potenz angespielt. Die auf dem Kopf sitzende Schildkröte ist ein Symbol für ein extrem langes Leben (im Volksmund sagt man "10000 Jahre"). Dieser Teil ist abschraubbar und enthielt eine Pillendose, vermutlich für Aphrodisiaka. Eine Dame auf dem Rücken des Glücksgottes blickt erwartungsvoll zur Schildkröte empor.

Ein anderer Glücksgott ist Fukusuke, ein Zwerg mit den entsprechenden Körperproportionen. Die abgebildete Figur ist aus Elfenbein, das die Japaner aus Südostasien importieren mussten. Sie ist etwa 200 Jahre alt und weist die für das Material typischen Alterungserscheinungen auf, durch es nur noch wertvoller wirkt.

Die Ausstellung im Stuttgarter Linden-Museum zeigt die große Meisterschaft in den kleinen Dingen. Wer bei den Exponaten genau hinschaut und auf die Feinheiten achtet, wird durch manche Entdeckungen belohnt. Unbedingt empfehlenswert sind die sehr sorgfältig gearbeiteten und hervorragend illustrierten Kataloge.

Ort: Linden-Museum, Hegelplatz 1, 70174 Stuttgart, Tel. (0711) 20223, www.lindenmuseum.de Geöffnet: Dienstag, Donnerstag, Samstag, Sonntag 10 bis 17 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, Freitag 10 bis 13 Uhr. Kataloge: Auswahl von 112 Meisterwerken, 288 S., 85 DM; Bestandskatalog mit insgesamt 848 Netsuke, 148 DM; beide Bände 198 DM.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.