Arzneimittel und Therapie

Seltene Krankheiten: Waisenkinder der Medizin

"Volkskrankheiten" wie Bluthochdruck und Diabetes sind heute jedem ein Begriff. Daneben gibt es jedoch Krankheiten, die aufgrund ihres sehr seltenen Auftretens nur wenig Beachtung finden. Die Rede ist von den so genannten "Orphan-Krankheiten", an denen weniger als 0,05% der Bevölkerung leiden.

Die Bezeichnung Orphan - englisch für Waise - beschreibt die Vernachlässigung, die diese seltenen Krankheiten erfahren, da die Vermarktung von entsprechenden Arzneimitteln für große Pharmaunternehmen wirtschaftlich uninteressant ist. Aber nur eine Beendigung des Schattendaseins der Orphan-Krankheiten führt zu einer frühen Diagnose und zu einer Behandlung, die den - oftmals noch sehr jungen - Patienten und Patientinnen ein (fast) "normales" Leben ermöglicht. Wie wichtig es ist, Orphan-Krankheiten ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, hat auch die Europäische Union erkannt. Sie engagiert sich für die Waisenkinder der Medizin und fördert die Entwicklung von Orphan-Arzneimitteln.

Wirtschaftlich uninteressant

"Sie sind wie Kinder, die keine Eltern haben, die einer speziellen Betreuung und Entwicklung bedürfen", beschreibt das US-Kongressmitglied Henry Waxman die Situation der Orphan-Krankheiten treffend. Denn wie die Bezeichnung Orphan schon sagt: um diese Erkrankungen kümmert sich (fast) niemand. Grund ist das seltene Auftreten, das die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung von entsprechenden Arzneimitteln, so genannten Orphan-Drugs, für große Pharmaunternehmen wirtschaftlich uninteressant macht.

Selten, noch seltener, ganz selten

In Europa hat eine Erkrankung dann den Orphan-Status, wenn sie bei weniger als 0,05% der Bevölkerung auftritt, also nur 5 von 10000 Menschen betroffen sind. Von den heute bekannten 30000 Krankheiten treten etwa 5000 sehr selten auf. Dazu gehören beispielsweise Stoffwechselstörungen, bestimmte Krebsformen, Infektionskrankheiten oder neurologische Erkrankungen. 80% dieser - meist sehr schweren - Erkrankungen sind genetisch bedingt.

Europäische Union fördert Forschungsvorhaben

Um die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Orphan-Krankheiten zu fördern, hat die Europäische Union die Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden erlassen, die im Januar 2000 in Kraft getreten ist. Demnach können dem Pharmaunternehmen beispielsweise die Gebühren für die Zulassung des Arzneimittels ganz oder teilweise erlassen werden.

Einen besonderen Anreiz stellt das Alleinvertriebsrecht dar. Dadurch ist das Unternehmen, das ein neues Medikament entwickelt und/oder vertreibt, zehn Jahre lang vor Konkurrenz geschützt. Außerdem nahm im April der Orphan-Drugs-Ausschuss (Committee for Orphan Medicinal Products, COMP), der aus Experten der einzelnen EU-Länder sowie Vertretern von Patientenorganisationen besteht, seine Arbeit auf. Er soll die Durchführung der Verordnung unterstützen, Zulassungsanträge bearbeiten und die Zulassungsbestimmungen von unnötigem Ballast befreien.

Kleine Unternehmen profitieren

Davon profitieren vor allem kleine Unternehmen wie Orphan Europe. Der Spezialist für Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen ist bereits seit zehn Jahren in dieser Marktnische aktiv. Sein Engagement gilt besonders extrem seltenen Erkrankungen, die beispielsweise nur bei vier von einer Millionen Menschen (!) auftreten.

Dabei zeigt sich immer wieder, wie (lebens-)wichtig die frühzeitige Diagnose und Behandlung der genetisch bedingten Krankheiten ist. Eine Diagnose schon vor oder direkt nach der Geburt und ein sofortiger Beginn der Behandlung mit Orphan-Arzneimitteln kann krankheitsbedingte körperliche und geistige Schäden stark begrenzen, eine Verschlimmerung der Symptome verhindern oder sogar ein beschwerdefreies Leben ermöglichen.

Akademie schult Mediziner

Anlässlich des 10-jährigen Bestehens setzt sich das Unternehmen Orphan Europe besonders für die Verbesserung von Diagnose und Therapie von Orphan-Krankheiten ein. Mit der Einrichtung der Orphan Europe Academy bietet es Medizinern Weiterbildungs- und Austauschmöglichkeiten zum Thema Seltene Erkrankungen an. Das Bewusstsein der Ärzte soll geschärft werden, mit dem Ziel der optimalen Therapie für die oftmals noch sehr jungen Betroffenen.

Die zweimal jährlich stattfindenden Schulungen werden in Zusammenarbeit mit Universitätskliniken oder privaten Institutionen, die in Forschung, Diagnose und Behandlung von Patienten mit seltenen Erkrankungen erfahren sind, erfolgen.

Sachliche Kommunikation und Information notwendig

Ebenfalls anlässlich des zehnten Geburtstages hat Orphan Europe einen Journalistenpreis ausgeschrieben. Ziel ist die Förderung der qualifizierten und sachlichen Information über seltene Erkrankungen. Zudem sind Internet, Elterninitiativen, Arbeitskreise und nicht zuletzt spezialisierte Mediziner die einzigen Quellen, bei denen sich Ärzte, Betroffene, deren Angehörige und Freunde oder andere Interessierte Informationen beschaffen konnten.

Zur Zeit sind übrigens Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts in Stuttgart in Kooperation mit Patientenorganisationen und Kliniken mit dem Aufbau einer Datenbank zum Thema "Seltene Erkrankungen" beschäftigt.

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