Arzneimittel und Therapie

Ischämische Erkrankungen: Gefäßneubildung anregen

Die therapeutische Angiogenese Ų die Gefäßneubildung durch Gabe von Wachstumsfaktoren oder deren Genen Ų könnte der nächste große Fortschritt in der Behandlung der ischämischen Herzkrankheit sein. Auch bei peripherer Gefäßkrankheit erzielte die therapeutische Angiogenese erste klinische Erfolge.

Als Angiogenese bezeichnet man das Wachsen neuer Gefäße aus vorhandenen Blutgefäßen. Bei der therapeutischen Angiogenese werden gefäßbildende (angiogene) Wachstumsfaktoren oder Gene, die diese Wachstumsfaktoren kodieren, angewendet. Hiermit soll das Wachstum von Umgehungsgefäßen (Kollateralgefäßen) in blutleeren (ischämischen) Geweben stimuliert werden.

Verschiedene Einsatzmöglichkeiten

Die therapeutische Angiogenese kommt bei Herzmuskel-Ischämien in Frage, die nicht für klassische Revaskularisationsmaßnahmen (Bypass-Operation oder PTCA) zugänglich sind oder nicht ausreichend darauf ansprechen. Des weiteren eignet sich die therapeutische Angiogenese für periphere Gefäßkrankheiten, insbesondere für die kritische Gliedmaßen-Ischämie. Weitere mögliche Indikationsgebiete für die therapeutische Angiogenese sind Stauungsinsuffizienz bei Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie und die diffuse beschleunigte Atherosklerose bei Empfängern von Herztransplantaten.

Kollateralkreislauf zu den Herzkranzgefäßen

Ausgelöst durch eine schwere und dauerhafte Ischämie, durch Scher- Beanspruchung der Arterienwände oder durch eine Entzündung, bildet der Körper auch ohne exogene Zufuhr von Wachstumsfaktoren einen Kollateralkreislauf zu den Herzkranzgefäßen aus. Dieser besteht aus einem komplexen Netz miteinander verbundener Gefäße, deren Durchmesser meist unter 200 µm liegt. Beim akuten Herzinfarkt verringert ein koronarer Kollateralkreislauf die Infarktgröße und verbessert die Überlebenschancen. Unter Ruhebedingungen kann er die Koronardurchblutung aufrechterhalten. Unter Belastung genügt der Kollateralkreislauf jedoch in der Regel nicht für einen normalen koronaren Blutfluss.

Gefäßbildende Wachstumsfaktoren

Die Möglichkeit einer therapeutischen Angiogenese ist in greifbare Nähe gerückt. Mittlerweile wurden zahlreiche gefäßbildende Wachstumsfaktoren identifiziert, aber die meisten frühen klinischen Studien fanden mit Gefäßendothel-Wachstumsfaktor (vascular endothelial growth factor, VEGF) und Fibroblasten-Wachstumsfaktor (fibroblast growth factor, FGF) statt. VEGF gibt es in vier Isoformen (121, 165, 189 oder 206 Aminosäuren). Indem VEGF an Rezeptoren auf Endothelzellen bindet, führt es zu Wachstum, Proliferation und Wanderung dieser Zellen. Der Wachstumsfaktor führt außerdem zu erhöhter Gefäßdurchlässigkeit und NO-induzierter Gefäßerweiterung. Da bei Sauerstoffmangel und Ischämie die Bildung des Wachstumsfaktors und seines Rezeptors heraufreguliert ist, kann die therapeutische Angiogenese gezielt stattfinden, und die Gefahr einer krankhaften Gefäßneubildung ist gering.

FGF ist eine Familie von Polypeptiden, die die Gefäßneubildung stimulieren. Sie wirken nicht spezifisch auf Endothelzellen, sondern beeinflussen unter anderem auch Fibroblasten und glatte Gefäßmuskelzellen. FGF wirkt kardioprotektiv beim frischen Herzinfarkt, hat aber auch weitere zellschützende Wirkungen und spielt eine Rolle in der Wundheilung. Die angiogenen Wachstumsfaktoren (bzw. die sie kodierenden Gene) können bei koronarer Ischämie in die Koronararterie, in den Herzmuskel, in den Herzbeutel oder in die Vene appliziert werden. Bei peripherer Ischämie kommt die Injektion in die Arterie oder in den Muskel in Frage.

Klinische Studien

In einer Studie an neun Patienten mit kritischer Gliedmaßen-Ischämie wurde nackte Plasmid-DNA (DNA ohne Vektor) für VEGF165 intramuskulär injiziert. Neben dem kollateralen Blutfluss wurden mehrere klinische Parameter, wie Ruheschmerz und Amputationsrate, verbessert. In einer randomisierten Doppelblindstudie bekamen 13 Patienten mit Claudicatio FGF-2. Vorläufigen Ergebnissen zufolge wurden Verbesserungen des Blutflusses in der Wade und eine Abnahme des Hinkens unter der Höchstdosis festgestellt.

Zur therapeutischen Angiogenese bei ischämischer Herzerkrankung liegen vier kleine Studien vor: 20 Patienten bekamen bei einer Bypass-Operation FGF-1 in den Herzmuskel injiziert, 20 weitere Patienten erhielten Plazebo. Bei 8 Patienten wurde während einer Bypass-Operation FGF-2 in den Herzmuskel injiziert. 15 Patienten, die sich nicht für koronare Revaskularisationsmaßnahmen eigneten, erhielten steigende Dosen VEGF165 intrakoronar injiziert. 5 Patienten bekamen während minimal-invasiver Chirurgie nackte Plasmid-DNA für VEGF165 in den Herzmuskel injiziert. Die Ergebnisse sind vielversprechend, doch die kleine Zahl der Teilnehmer und das weitgehende Fehlen von Plazebokontrollen begrenzen die Aussagekraft. Die erste randomisierte plazebokontrollierte Studie zur therapeutischen Angiogenese wurde kürzlich beendet: 178 Patienten mit Herzmuskel-Ischämie, die nicht für eine Revaskularisation in Frage kamen, erhielten VEGF165 intrakoronar und intravenös.

Viele Fragen sind noch nicht geklärt

Viele Fragen zur therapeutischen Angiogenese sind noch ungeklärt: Welches ist der optimale Wachstumsfaktor oder die optimale Kombination? Sollten die Substanzen als Proteine oder als die sie kodierenden Gene in den Körper gebracht werden? Wie sieht der optimale Applikationsweg aus? Welches Dosierungsschema bietet sich an? Ist die krankhafte Gefäßneubildung (pathologische Angiogenese) als Nebenwirkung ein Problem?

Angiogenese spielt bei vielen Erkrankungen eine Rolle

Die krankhafte Gefäßneubildung spielt beim Tumorwachstum, bei der diabetischen proliferativen Retinopathie, bei der Makula-Degeneration, bei der Bildung des rheumatischen Pannus und bei der Atherosklerose eine Rolle. Sowohl VEGF als auch FGF können zum Wachstum maligner Tumoren beitragen. Bislang wurden Patienten, die bereits einmal an Krebs erkrankt waren, von der Wachstumsfaktor-Behandlung ausgeschlossen. Noch ist kein Fall von Krebserkrankungen unter einer Therapie mit angiogenen Wachstumsfaktoren bekannt. Die Wachstumsfaktoren wurden in den frühen klinischen Studien gut vertragen. Unter hohen Dosen oder schneller Infusion kam es mitunter zu Hypotonie. Mit FGF wurden Fälle von Thrombozytopenie, unter VEGF165-Gentherapie bei kritischer Gliedmaßen-Ischämie Fälle von Spider-Angiom und peripheren Ödemen berichtet.

Literatur: Henry, T. D.: Therapeutic angiogenesis. Br. Med. J. 318, 1536–1539 (1999).

Die therapeutische Angiogenese – die Gefäßneubildung durch Gabe von Wachstumsfaktoren oder deren Genen – könnte der nächste große Fortschritt in der Behandlung der ischämischen Herzkrankheiten sein.Auch bei peripheren Gefäß-krankheiten erzielte die therapeutische Angiogenese erste klinische Erfolge.

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