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Internethandel mit Arzneimitteln – eine rechtliche Beurteilung

(daz). Der Vertrieb von Arzneimitteln über das Internet versetzt seit dem Start des holländischen E-Commerce-Unternehmens DocMorris die Apothekerschaft in Aufregung. In Publikumszeitschriften wie Focus-Money wird der Einkauf von apothekenpflichtigen und sogar verschreibungspflichtigen Arzneimitteln im Internet angepriesen. Pressestimmen raten den Apothekern zwar, den Vertrieb über das Internet nicht als echte Gefahr anzusehen. Die Qualität der Apotheken in der Beratung bei der Abgabe von Arzneimitteln werde sich letztendlich durchsetzen. Die Irritation in der Apothekerschaft ist jedoch weithin spürbar. Wir baten den Münchner Rechtsanwalt Andreas Meisterernst, der sich mit dieser Thematik beschäftigt, um eine Stellungnahme, wie der Internethandel mit Arzneimittel rechtlich zu beurteilen ist.

DocMorris leitet die rechtliche Zulässigkeit seiner Vertriebsform aus einer "E-Commerce-Richtlinie" der Europäischen Union (Richtlinie 2000/31/EG vom 08.06.2000) ab. Rechtlich könne man gegen den Vertrieb leider nichts machen, teilt die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg mit. Bei genauer Betrachtung ergibt sich jedoch, dass der Vertrieb apothekenpflichtiger und verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht so ohne weiteres rechtlich zulässig ist, wie der Internethändler glauben machen möchte.

Privatpersonen dürfen Arzneimittel im Ausland beziehen

Die Rechtslage in Deutschland stellt sich zurzeit wie folgt dar. Gemäß § 43 Abs. 1 AMG dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel nur in Apothekenbetriebsräumen und nicht im Wege des Versandes in Verkehr gebracht werden. Dies gilt allerdings nicht für die nach §§ 44, 45 AMG freiverkäuflichen Arzneimitteln. Da für diese kein Vertriebsweg festgelegt ist, können sie auch im Internet verkauft und versandt werden. Gemäß § 47 AMG gelten Sondervorschriften für den pharmazeutischen Großhandel. Schlussendlich dürfen gem. Art. 73 Abs. 2 Ziff. 6 a AMG Privatpersonen Arzneimittel "ohne gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge aus einem Mitgliedstaat der europäischen Gemeinschaft" beziehen, die im Herkunftsland in Verkehr gebracht werden dürfen. Die betreffende Regelung beruht auf einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, PharmR 1992, 294). Der EuGH vertrat in dieser Entscheidung die Auffassung, dass Privatpersonen aufgrund des Grundsatzes des freien Warenverkehrs Arzneimittel auch im Ausland erwerben dürfen bzw. sich dort verschreiben lassen und diese Arzneimittel ohne weiteres in ein anderes Mitgliedsland der Europäischen Union ausführen bzw. auch von dort bestellen dürfen. Der Bezug auch von apotheken- und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch Privatpersonen aus dem EU-Ausland ist demnach grundsätzlich zulässig. Auf die betreffende Ausnahmeregelung beruft sich auch DocMorris, wenn in den Geschäftsbedingungen festgelegt wird, die Zustellung der Mittel erfolge "im Auftrag der Patienten". Darin liegt auch kein Verstoß gegen das Tatbestandsmerkmal des § 72 Abs. 2 Nr. 6 a AMG, das beim Erwerb keine gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung erfolgen dürfe. Dieses Tatbestandsmerkmal zielt auf die Errichtung eines gewerblichen Vertriebssystems innerhalb der Bundesrepublik ab und würde z. B. greifen, wenn im Gebiet der Bundesrepublik ein Arzneimittelmakler seinen Betrieb aufnähme, der formell im Auftrag von Privatpersonen die betreffenden Arzneimittel aus dem Ausland für diese importieren würde. Dies zielt aber nicht auf den Fall ab, dass das betreffende Arzneimittel im Ausland nach den dortigen rechtlichen Regelungen legal in einem bestimmten Vertriebssystem an den Privatkunden veräußert wird. Denn der Grundsatz des freien Warenverkehrs gilt unabhängig von dem Vertriebssystem. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass grundsätzlich der Vertrieb von apothekenpflichtigen Arzneimitteln an Privatpersonen auch im Internetversandhandel möglich ist.

Aber Werbung für Versandhandel ist unzulässig

Allerdings korrespondiert mit der Vorschrift des § 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG). Zum Schutz der Verbraucher hat dort nämlich der Gesetzgeber vorgesehen, dass eine Werbung unzulässig ist, die darauf hinwirkt, Arzneimittel, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist, im Wege des Versandes zu beziehen. Gemäß § 8 Abs. 2 HWG ist zugleich ausdrücklich die Werbung dafür verboten, Arzneimittel im Wege des Teleshopping oder bestimmte Arzneimittel im Wege der Einzeleinfuhr nach § 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG zu beziehen. Diese Vorschrift ist auch im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als zulässig anzusehen (vgl. Gröning, Heilmittelwerbegesetz, § 8 RdNr. 10 ff). Die Vorschrift war auch bereits Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 10.11.1994, EuZW 1995, 86 ff). In dieser Entscheidung bestätigte der Europäische Gerichtshof ausdrücklich, dass die Vorschrift des § 8 Abs. 2 HWG mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Die Regelung des Werberechts sei zur Sicherung der nationalen Zulassungsbestimmung für Arzneimittel gerechtfertigt.

Internetwerbung von DocMorris nicht zulässig

Hier kommt nunmehr die vorstehend erwähnte E-Commerce-Richtlinie ins Spiel. Diese vereinheitlicht nämlich den Bereich der Werbung und der Präsentation im Internet. Grundprinzip der E-Commerce-Richtlinie ist, dass europaweit Internetauftritte einschließlich der Werbung für den Vertrieb von Waren als zulässig anzusehen sind, die am Ort der betreffenden gewerblichen Niederlassung des hinter dem Internetauftritt stehenden Unternehmens zulässig ist. Ob die Werbung von DocMorris in den Niederlanden zulässig ist, könnte im Hinblick auf die Richtlinie 92/28/EWG über die Werbung für Humanarzneimittel fraglich sein, kann jedoch vorliegend offen bleiben. Unterstellt die Werbung von DocMorris ist in den Niederlanden als rechtlich zulässig anzusehen, ist die Werbung an sich auch in der Bundesrepublik Deutschland erlaubt. Aber: Die E-Commerce-Richtlinie enthält einen Gesetzgebungsauftrag für die nationalen Gesetzgeber und entfaltet nach außen hin gegenüber Privatpersonen zurzeit keine unmittelbare Rechtswirkung. Der deutsche Gesetzgeber hat 18 Monate Zeit, diese europäische Richtlinie in das nationale Recht umzusetzen. Solange der nationale Gesetzgeber die Vorschrift des § 8 HWG nicht geändert hat, ist diese in Deutschland als geltendes Recht anzusehen und als solche verbindlich. Die derzeitige Werbung von DocMorris, die eindeutig auf den deutschen Markt abzielt, ist demnach rechtlich unzulässig. Wettbewerber von DocMorris könnten demnach versuchen, die Werbung im Internet, die auf den bundesdeutschen Markt abzielt, gerichtlich untersagen zu lassen. Dies kann gegebenenfalls auch im Wege einer einstweiligen Verfügung geschehen. Ein etwaiges Unterlassungsurteil eines deutschen Gerichtes könnte gemäß dem europäischen Gerichtstandsübereinkommen grundsätzlich auch in den Niederlanden vollstreckt werden.

E-Commerce-Richtlinie betrifft nicht Arzneimittellieferungen...

Ob sich bei der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie an dieser Rechtslage in Deutschland etwas ändern wird, ist zurzeit offen. Denn die E-Commerce-Richtlinie verpflichtet nur zur Rechtsangleichung im koordinierten Bereich. Hierzu gehört, wie bereits ausgeführt, die Werbung und der Auftritt von Unternehmen im Internet. Allerdings gilt die E-Commerce-Richtlinie auch nur für diesen Bereich und umfasst insbesondere gem. Art. 2 Abs. 4 nicht die Anforderung betreffend Waren als solche und betreffend die Lieferung von Waren. In Nr. 21 der der Richtlinie vorstehenden Erwägungsgründe wird ausdrücklich erwähnt, dass die E-Commerce-Richtlinie nicht die Lieferung von Humanarzneimitteln betrifft. Verpflichtet die E-Commerce-Richtlinie demnach den bundesdeutschen Gesetzgeber, in absehbarer Zeit § 8 HWG zu ändern, so sind der Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht rechtliche Regelungen verwehrt, die die Lieferung der betreffenden Arzneimittel in ihr Hoheitsgebiet betreffen. Zusätzlich ist in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ausdrücklich erwähnt, dass die Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit treffen dürfen.

...sondern nur digitalisiert übertragbare Waren

Die E-Commerce-Richtlinie gilt somit nur für Internetauftritte und den Vertrieb digitalisiert übertragbarer Waren und Dienstleistungen. Diese Regelung leuchtet auch unmittelbar ein, wenn man sich folgenden Beispielsfall vor Augen führt. In den Niederlanden ist bekanntlich der Konsum und Vertrieb von Cannabisprodukten zum privaten Gebrauch legal. Wenn dort für den Verkauf dieser Produkte im Internet geworben werden dürfte und diese Werbung, auch wenn sie in deutscher Sprache erfolgte und auf den bundesdeutschen Markt abzielte, demnach nach Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr verboten werden dürfte, so ist damit noch lange nicht gesagt, dass die Cannabisprodukte auch legal nach Deutschland verschickt werden dürften. Der bundesdeutsche Gesetzgeber ist demnach gefordert, eine praktikable und am Verbraucherschutz orientierte Regelung hinsichtlich der Lieferung von Arzneimitteln zu treffen und dabei alle bestehenden Spielräume auszunutzen. Es könnte sich demnach herausstellen, dass der Vertrieb von apothekenpflichtigen Arzneimitteln im Versandhandel nicht so einfach durchzuführen ist, wie von mancher Internetfirma erhofft.

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