Arzneimittel und Therapie

Lipodystrophiesyndrom: Der Preis für das Überleben?

Im Jahre 1997, etwa 10 Jahre nach Einführung der antiretroviralen Therapie und zwei Jahre nach der breiten Etablierung der Kombinationstherapien, wurden erstmalig Veränderungen bei sonst gesunden HIV-Infizierten beschrieben, die inzwischen als HIV-assoziiertes Lipodystrophiesyndrom bezeichnet werden.

Auffällig war vor allem der Widerspruch zwischen dem guten Gesundheitszustand der Patienten und ihrem vor allem durch den Fettschwund im Gesicht bedingten "kranken" Aussehen. Unter dem HIV-assoziierten Lipodystrophiesyndrom versteht man eine veränderte Verteilung des Fettgewebes im Gesicht, den Brüsten, dem Bauch, dem Gesäß, im Nacken sowie an den Armen und Beinen. Hinzu kommen Störungen des Zucker- und Fettstoffwechsels sowie eine Reihe möglicherweise damit in Zusammenhang stehende Veränderungen wie Störungen des Haar- und Nagelwachstums, eine Leberverfettung, Störungen der Potenz oder Regelblutung, Osteoporose oder Lactaterhöhungen im Blut. Während die Körperformveränderungen durch ihre teilweise entstellende Natur eine deutliche psychische Belastung, auch durch die mögliche gesellschaftliche Stigmatisierung ("HIV wird wieder sichtbar"), darstellen, werden die erhöhten Blutfett- und Blutzuckerwerte als längerfristiges Risiko für die Entwicklung einer Atherosklerose angesehen.

Risikofaktor nicht bekannt

In mehreren Studien wurde versucht, Risikofaktoren für die Entwicklung eines HIV-assoziierten Lipodystrophiesyndroms zu identifizieren. In einer Studie wurde nach drei Jahren antiretroviraler Therapie bei 34% der Patienten die Diagnose eines HIV-assoziierten Lipodystrophiesyndroms gestellt. Wesentliche Risikofaktoren für die Entwicklung des Syndroms waren eine längerdauernde Therapie mit dem Nukleosidanalogon Stavudin und eine deutliche zelluläre Immunsuppression. Längerdauernde Behandlung mit HIV-Medikamenten der Gruppe der Nicht-Nukleosid-Reverse-Transkriptaseinhibitoren verminderte das Risiko der Entwicklung einer Lipodystrophie. Diese Ergebnisse stehen teilweise im Kontrast zu früheren Studien, die eine wesentliche Rolle der HIV-Proteaseinhibitoren herausgearbeitet haben. Derzeit gibt es keine HIV-Therapie, unter der kein Risiko besteht, ein HIV-assoziiertes Lipodystrophiesyndrom zu entwickeln.

Neue Wege zur Behandlung

Während die Behandlung der Fett- und Zuckerstoffwechselstörungen im Wesentlichen der für HIV-seronegative Patienten gleicht und nur pharmakologische Interaktionen mit den HIV-Therapeutika beachtet werden sollten, müssen für die Fettverteilungsstörungen neue Wege beschritten werden. Durch Austausch von HIV-Medikamenten, die mit der Entwicklung der Lipodystrophie in Zusammenhang stehen, kann in manchen Fällen eine teilweise Rückbildung der Fettgewebsstörungen erzielt werden.

  • Fettansammlungen im Bauchraum können begrenzt durch körperliches Training und in ausgeprägten Fällen mit rekombinantem menschlichem Wachstumshormon behandelt werden.
  • Bei Patienten mit gestörtem Zuckerstoffwechsel kann eine Therapie der pathologischen Glucosetoleranz auch zu Rückbildungen der Fettansammlung im Bauchraum führen.
  • Eine medikamentöse Behandlung des Fettverlustes, vor allem im Bereich des Gesichts, ist derzeit nicht möglich. Hier können plastisch-rekonstruktive Eingriffe zumindest vorübergehend Besserungen bewirken.

Bei dem HIV-assoziierten Lipodystrophie-Syndrom handelt es sich um eine neue Erkrankung, die wahrscheinlich im Rahmen einer multifaktoriellen Genese als eine Folge der deutlich besser wirksamen antiretroviralen Kombinationstherapie zu begreifen ist.

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