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Der Versuch war absehbar. Die durch das Europäische Parlament am 4. Mai verabschiedete, noch ziemlich unausgegorene "E-Commerce-Richtlinie" wird - falsch oder richtig - von abenteuerlustigen Pharmahändlern jenseits unserer Grenzen als Ermunterung angesehen, in den grenzüberschreitenden Internet-Handel mit Arzneimitteln einzusteigen. Jacques Waterval, ein niederländischer Apotheker aus Kerkrade, will unterstützt von deutschen Investoren (Hauptinvestor ist die Techno-Nord aus Hamburg) bis Ende des Jahres europaweit mit 50.000 Kunden etwa 4.5 Millionen Euro Umsatz machen. Man hofft auf Abkommen mit deutschen Krankenkassen. Langfristig rechnet die Watervalsche Internet-Apotheke "DocMorris" damit, ein Prozent der deutschen Arzneimittelumsätze auf sich ziehen zu können - so ist drei Artikeln zu entnehmen, in denen am 30. Mai die noch recht unbedeutende deutsche Ausgabe der Financial Times (Auflage nach Branchenschätzungen ca. 50.000) DocMorris bejubelt. Doc Morris will, wir ahnen es, nach einer Anfangsphase an die Börse - um an frisches Geld zu kommen. Wir werden sehen, wie lange dem Unternehmen die vorhandenen "mehreren Millionen Startkapital" reichen.

Die schöne Absicht könnte allein schon deshalb scheitern, weil sie von einer allzu mutigen Interpretation der E-Commerce-Richtlinie ausgeht. Zwar gilt für den E-Commerce grundsätzlich das Herkunftslandprinzip, d.h. der Versender unterliegt den rechtlichen Bestimmungen des Landes, von wo aus er agiert. Aber: nationale Versandhandelsverbote für apothekenpflichtige Arzneimittel (wie in Deutschland existent) wurden vom Geltungsbereich der Richtlinie ausdrücklich ausgenommen. Sie sollten demnach eigentlich auch weiterhin auf ausländische Anbieter anwendbar sein (hier gilt das Herkunftslandprinzip nicht). Denn dass sich an die Versandverbote nur inländische, nicht aber ausländische Versender halten müssten, wäre widersinnig und (ohne explizite Begründung für die Bevorzugung) auch rechtlich kaum begründbar - und es wirft eine Fülle ungeklärter Rechtsfragen auf. Welche Bestimmungen gelten z. B. über die Rezeptpflicht, über die Beipackzettel, über den Verkehr mit Betäubungsmitteln? Gelten im Empfängerland für den Kunden/Patienten bei Bezug sogar gleicher Arzneimittel zweierlei Arzneimittelrecht und unterschiedliche Verbraucherschutzbestimmungen - abhängig davon, ob er das Arzneimittel von einem Rosinenpicker aus dem Ausland oder von seiner Apotheke im Inland erhalten hat, die weiter eine schnelle Rundumversorgung mit allen Arzneimitteln und inkl. Notdienst sicherstellen muss? Das kann ja wohl politisch kaum gewollt sein.

Warm anziehen und cool bleiben, die Widersprüche deutlich machen, sich juristisch und politisch klug wehren - das sollte die Devise sein. Nach der Pleite der Erwartungen, im Internet ließe sich mit Informationen Geld verdienen, dämmert inzwischen selbst Berufspekulanten wie George Soros, dass auch die E-Commerce-Euphorie weit überzogen ist. Das Prinzip Hoffnung (auf bislang nicht sichtbare zukünftige Umsätze und Erträge) hat gewaltige Spekulationsblasen entstehen lassen; immer mehr davon platzen. Hochgejubelte E-Commerce-Firmen haben in wenigen Monaten dreistellige Millionenbeträge verbraten. Andere, wie der Textilversender boo.com, sind inzwischen pleite; viele weitere haben ihren großmaulig angekündigten Börsengang absagen müssen, obwohl sie dringend frisches Geld brauchen. Der Grundfehler war und ist: sie alle haben eine Kleinigkeit übersehen: den Kunden. Ohne ihn läuft nichts. Was denkt er, was will er wirklich? Besorgt die große Mehrheit die Brötchen vielleicht lieber doch beim Bäcker an der Ecke - und seine Arzneimittel (inkl. Gratisrat) in der nah gelegenen Apotheke seines Vertrauens? Spitzenpositionen im Kundenbarometer belegen, dass sich dort fast alle exzellent bedient fühlen. Warum also auf den Paketdienst warten? Warum den Ärger akzeptieren, wenn er mich nicht antrifft?

Die Schlacht ist noch nicht geschlagen. Aber wenig spricht dafür, dass wir sie verlieren müssen.

Klaus G. Brauer

Warm anziehen und cool bleiben

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