Arzneimittel und Therapie

Gentechnisch hergestellte Arnzeimittel: Rekombinante Wirkstoffe haben hohen Sich

Was sind rekombinante Arzneistoffe? Wie werden sie hergestellt? Wie sicher sind sie? Welche Präparate wurden in den letzten Jahren neu zugelassen? Bedeuten sie einen wirklichen Fortschritt für die Arzneimitteltherapie? Diese Fragen beantwortete Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt/Main, bei seinem Vortrag "Sind Sie fit für eine kompetente Abgabe gentechnisch hergestellter Arzneimittel?" beim Festkolloqium aus Anlass des 60. Geburtstags von Hans-Günter Friese.

Deutschland hat weltweit eine Spitzenposition in der Zahl der zugelassenen gentechnisch hergestellten Arzneimittel: 46 verschiedene Proteine in ungefähr 60 Präparaten sind bereits zugelassen. Doch nur sechs davon werden in Deutschland hergestellt. Immer noch überwiegt in der Bevölkerung die Skepsis gegenüber der Gentechnik. Diesen "Besorgnisfaktor" sollte man in der Beratung zu gentechnisch hergestellten Arzneimitteln ernst nehmen.

"The product is the process"

Im Europäischen Arzneibuch ist in der Monographie "DNA-rekombinationstechnisch hergestellte Produkte" definiert, was gentechnisch hergestellte Arzneimittel sind: Proteine. Ihre Herstellung beginnt damit, dass die kodierende DNA isoliert und gegebenenfalls modifiziert wird. Mit Hilfe eines Plasmids oder eines viralen Vektors wird die DNA in einen Mikroorganismus oder eine Zell-Linie eingeführt. Hier wird die DNA exprimiert (= funktionsfähig gemacht) und das Protein produziert.

Neu ist bei den gentechnologischen Wirkstoffen, dass sie über den Herstellungsprozess definiert sind. So heißt es im Europäischen Arzneibuchweiter: "Das gewünschte Produkt wird dann durch Extraktion und Reinigung gewonnen."

In der Definition des Wirkstoffs hat ein Umdenken stattgefunden, als Konsequenz aus der traurigen Erfahrung mit einem anderen biologischen Wirkstoff: Tryptophan. Diese Aminosäure war jahrelang sicher angewendet worden, als der Herstellungsprozess geändert wurde und ein Reinigungsschritt weggelassen wurde. Das Produkt war daraufhin plötzlich toxisch und führte bei mehreren Patienten zum Tod. Daher benötigt heute jeder rekombinante Wirkstoff, der in einem anderen Herstellungsprozess produziert wird, auch wenn das Endprodukte dasselbe ist, eine eigene Zulassung. Generika gibt es hier nicht. Deshalb haben gentechnisch hergestellte Arzneimittel einen bisher nicht gekannten Sicherheitsstandard.

Saubere Produkte

Ein Abreicherungsschema garantiert außerdem ein Höchstmaß an viraler Sicherheit: Für jeden einzelnen Prozess in der Herstellung werden Abreicherungsfaktoren für Viren, DNA, RNA und Fremdproteine ermittelt. Die Abreicherungsfaktoren addieren sich für die gesamte Herstellung. Ohne dass darauf geprüft werden muss, wird so sichergestellt, dass die Produkte "sauber" sind.

Highlights unter den rekombinanten Wirkstoffen

Zu den rekombinanten Wirkstoffen, die für die Arzneimitteltherapie wirkliche Fortschritte darstellen, gehören insbesondere Faktor VIII und Somatotropin. Hämophilie-Patienten müssen Faktor VIII substituieren. Ganze Generationen von Hämophilen wurden durch kontaminierte Blutprodukte mit HIV, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Virus infiziert. In Deutschland gibt es fünf rekombinante Faktor-VIII-Präparate. Alle werden in Zell-Linien hergestellt und sind absolut sichere Präparate.

Auch vom Wachstumshormon Somatotropin sind bereits fünf rekombinante Präparate in Deutschland zugelassen, die alle gleich sicher sind. Sie lösen das aus Leichen gewonnene Wachstumshormon ab, das bei den behandelten Kindern zu einer erhöhten Prävalenz der Jakob-Creutzfeldt-Erkrankung führte.

Technisch interessant sind die beiden rekombinanten FSH-Präparate (FSH = follikelstimulierendes Hormon; Gonal-F® und Puregon®). Sie enthalten als einzige gentechnische Wirkstoffe zwei Proteine – die beiden Untereinheiten des FSH-Moleküls. Beide Proteine werden gleichzeitig in einer Zelle hergestellt.

Längst nicht alle rekombinanten Arzneistoffe stimmen mit dem Original überein. Wichtig ist die Authentizität bei Langzeitbehandlungen, so bei der Substitutionstherapie mit Faktor VIII oder Wachstumshormon. Manche rekombinanten Wirkstoffe wurden gezielt gegenüber dem Original abgeändert. Andere stellen Kompromisse dar, weil die produzierende Zell-Linie nicht dasselbe leistet wie der menschliche Organismus. Eine Variante ist beispielsweise die Reteplase (Rapilysin®), die sich von der Alteplase (dem Gewebeplasminogenaktivator; Actilyse®) dadurch unterscheidet, dass sie nicht glykosyliert ist und nur etwa die Hälfte des Alteplase-Moleküls enthält. Sie scheint pharmakokinetische Vorteile zu haben. Auch vom Humaninsulin gibt es inzwischen Varianten mit neuen pharmakokinetischen Eigenschaften, wie Insulin lispro (Humalog®) oder Insulin aspart (NovoRapid®). Die einzigen gentechnisch hergestellten Arzneimittel, die nicht vom Menschen stammen, sind Hirudin-Präparate vom Blutegel: Lepirudin (Refludan®) und Desirudin (Revasc®).

Fast alle gentechnisch hergestellten Arzeimittel werden parenteral eingesetzt. Zwei Ausnahmen davon:

  • Regranex® (Becaplermin, platelet-derived growth factor, PDGF) wird als Salbe zur Behandlung des diabetischen Fußes angeboten.
  • Pulmozyme® (eine DNA-se) kann von Mukoviszidose-Patienten zur Schleimverflüssigung inhaliert werden.

    Eine enorme Bedeutung haben gentechnisch hergestellte Antikörper. Ein Beispiel ist Infliximab (Remicade®), ein chimärer monoklonaler Antikörper gegen den Tumornekrosefaktor alpha (TNF-alpha). Indem der Antikörper TNF-alpha abfängt, verhindert er, dass TNF-alpha am Rezeptor angreift und eine Entzündungskaskade in Gang setzt. Infliximab wurde bereits zur Therapie des Morbus Crohn zugelassen und dürfte bald die Zulassung für die Behandlung schwerer Rheumaerkrankungen erhalten.

    Eine ähnliche Wirkung, aber eine ganz andere Struktur hat Etanercept (Enbrel®). Es ist ein gentechnisch hergestelltes Fusionsprotein zwischen dem löslichen Teil des TNF-alpha-Rezeptors und dem konstanten Teil eines menschlichen Antikörpers. Das Fusionsprotein hat eine extrem lange Halbwertszeit. Es ist zur Behandlung bestimmter schwerer rheumatischer Erkrankungen zugelassen.

    Was kommt danach?

    Die Krönung der Arzneimitteltherapie sind gentechnisch hergestellte Präparate jedoch noch nicht: Sie sind zu groß, labil, wirken manchmal antigen und müssen meist parenteral appliziert werden. In Zukunft wird der Weg weg von den Proteinen hin zu den "Mimetika" führen. In diese Richtung weist beispielsweise das vor kurzem entdeckte L-783281, das oral eingenommen Insulin-ähnliche Wirkungen hat.

    Quelle

    Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt/Main, Festkolloqium aus Anlass des 60. Geburtstages von Hans-Günter Friese (Präsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe), Münster, 17. Mai 2000, veranstaltet von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Susanne Wasielewski, Münster

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