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AOK-Zahlen: Achtmal Überschreitung der Arzneibudgets

BONN (im). In acht Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) haben die niedergelassenen Ärzte 1999 ihre regionalen Budgets um 410 Millionen Mark überschritten, geht aus Zahlen des AOK-Bundesverbands hervor. Die Ortskrankenkassen sehen nach wie vor im verstärkten Umstieg auf Generika sowie bei den so genannten umstrittenen Medikamenten ein Milliardensparpotenzial.

1. Quartal 2000

Völlig uneinheitlich ist nach Information von Norbert Schleert, dem Abteilungsleiter Arzneimittel im AOK-Bundesverband, die Situation im ersten Quartal 2000 auf Basis der ABDA-Frühinformation. Demnach zeigten die KV Thüringen, Südbaden, Mecklenburg-Vorpommern, Westfalen-Lippe, Nordbaden, Sachsen und Bayern die höchsten Veränderungsraten verglichen mit dem Vorjahresquartal. Im Gegensatz dazu seien in Hamburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt Ausgaben der Kassen für Arzneimittel verglichen mit dem ersten Quartal 1999 gesunken. Allerdings muss die 99er-Basis beachtet werden, auf der die Veränderungen fußen. So gilt zum Beispiel Südbaden, wo die Verordnungen zwischen Januar und März 2000 recht deutlich zulegten, als sehr sparsame KV. In dieser Region blieben die Kassenärzte 1999 fast neun Prozent unter ihrer Budgetgrenze.

410 Millionen Mark zuviel verordnet

Den Zahlen des AOK-Bundesverbands zufolge haben acht KVen im vergangenen Jahr ihre regionalen Ausgabentöpfe um 410 Millionen Mark überzogen. Da die Haftung der Ärzte aus ihrem Honorar jedoch auf fünf Prozent der Budgetsumme per Gesetz begrenzt sei, lägen mögliche Regressforderungen darunter. Die Kassen wollen zunächst in Verhandlungen auf "einvernehmliche Lösungen" mit den Ärzten setzen, sagte der Sprecher des AOK-Bundesverbands Udo Barske der Deutschen Apotheker Zeitung. An der Spitze liege Mecklenburg-Vorpommern, wo die Vertragsärzte ihr Budget um 10,8 Prozent überschritten, so die Berechnung der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (GKV).

Im Gegensatz dazu seien sowohl die Südbadener als auch die Pfälzer um fast neun Prozent unterhalb der Ausgabengrenze geblieben. Fast eine Punktlandung ist demnach in Nordrhein (100,50 Prozent Budgetausschöpfung), Nordbaden (99,54 Prozent) oder Bayern (99,32 Prozent) gelungen.

Rechnerisch 500 Millionen unter Grenze

15 KVen konnten ihre Grenzen einhalten, sodass die Ärzteschaft bundesweit trotz der Überschreitung in den acht Regionen um 500 Millionen Mark unter den Budgets blieb. Diese Summe ergibt sich durch die Addition der Ausgaben aller 23 Budgets der KVen. Ein solches gemeinsames bundesweites Arzneimittelbudget existiert jedoch nicht, daher können Unter- und Überschreitungen der 23 einzelnen regionalen Ausgabentöpfe der KVen nicht gegeneinander verrechnet werden.

Trotz zum Teil deutlich höherer Steigerungsraten im ersten Quartal 2000 verglichen mit dem Vorjahreszeitraum – durchschnittlich plus 2,4 Prozent – halten die AOK eine 1,4-prozentige Erhöhung für angemessen. Die Ärzte könnten das im Jahresverlauf durch kräftiges Sparen kompensieren, das habe die Erfahrung mit dem vierten Quartal 1999 gezeigt, als die Mediziner durch das so genannte Aktionsprogramm zum verhaltenen Verordnen angehalten wurden.

Sparvorstellung der AOK

Die Ortskrankenkassen sehen noch verschiedene Sparpotenziale bei den Arzneimittelausgaben. So hätten die Ärzte durch die Wahl preiswerter Generika nach einer Berechnung des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) für 20 Wirkstoffe bundesweit 630 Millionen Mark nur bei AOK-Versicherten einsparen können. Sparen könnten die Ärzte darüber hinaus bei den so genannten umstrittenen Präparaten.

Auf Indikation achten

Apothekerin Dr. Ute Galle-Hoffmann, pharmakologische Beraterin des AOK-Bundesverbands, verwies auf die nicht immer indikationsgerechte Auswahl innovativer Arzneimittel. Nicht jedes neue Medikament werde therapiegerecht eingesetzt. Als Beispiel nannte Galle-Hoffmann die Angiotensin-Rezeptorantagonisten gegen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. Sie seien 70 Prozent teurer als herkömmliche ACE-Hemmer und sollten laut Herstellerangaben nur bei aufgetretenem Husten – als unerwünschte Wirkung der ACE-Hemmer-Therapie – eingesetzt werden. Die pharmazeutischen Unternehmen gäben nur zehn Prozent an Nebenwirkungen an, der Verschreibungsanteil der teueren Variante habe 1999 jedoch schon bei 25 Prozent gelegen, ein Missverhältnis aus Sicht der pharmakologischen Beraterin. Als weiteres Beispiel nannte sie die Wirkstoffe Clopidrogel und Ticlopidin zur Vorbeugung von Schlaganfall und Herzinfarkt. Der GKV-Umsatz beider Mittel habe im vergangenen Jahr 271 Millionen Mark betragen. Beide seien nicht wesentlich wirksamer als die erheblich kostengünstigere Acetylsalicylsäure.

100 Beratungsapotheker

Der AOK-Bundesverband setzt auf 100 Beratungsapotheker, die mittels des Programms pharmpro den Medizinern eine detaillierte Analyse ihres Verordnungsverhaltens anböten. Das wirke sich auf die Arzneimittelausgaben der Kassen aus. Während bei Ärzten nach einer Beratung durch die Mitarbeiter der Ortskrankenkassen die Kosten pro Patient um 2,8 Prozent gesunken seien, seien im Gegensatz dazu die Ausgaben bei der Gesamtheit der Ärzte der betreffenden AOK um 4,6 Prozent gestiegen. Hochgerechnet auf das Bundesgebiet kommt der AOK-Bundesverband so zu einem theoretischen Einsparpotenzial von 700 Millionen Mark jährlich.

Verhandlungen laufen

Die niedergelassenen Ärzte und die Krankenkassen verhandeln zur Zeit über die einzelnen Arzneibudgets für dieses Jahr. In Nordrhein beispielsweise hat man sich bereits geeinigt, hier gilt das Vorjahresniveau, das jedoch für nachweisbare Sonderfaktoren nach oben ausgeweitet werden kann. Für einige Regionen, etwa Bayern, wird eine Entscheidung über das Schiedsamt erwartet. Die Krankenkassen halten eine Aufstockung um 1,4 Prozent für angemessen. Das ist die Steigerungsrate, die das Bundesgesundheitsministerium zu Jahresbeginn errechnet hat. Die Vertragsärzte wollen im Gegensatz dazu diese Zahl nicht als Obergrenze für die Arzneimittel akzeptieren und verweisen auf den Paragraphen 71 des Sozialgesetzbuches V, der sich nicht auf die Medikamente beziehe, zudem seien die Arznei- und Heilmittelbudgets in ihren Zuwachsraten bereits bisher nicht zwingend an die Vorgabe der Beitragssatzstabilität gebunden, argumentieren sie.

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