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"Mut zur harten Kur" Ų so überschreibt "Die Zeit" vom 18. Mai 2000 einen Bericht über die Gesundheitsreform:

Regierung und Opposition arbeiten sich heimlich an eine neue Gesundheitsreform heran: Die gesetzlichen Krankenkassen sollen ihre Leistungen einschränken. Die neue Haltung der SPD zu sozialen Themen schlägt sich mit leichter Verspätung in der Gesundheitspolitik nieder. In den Koalitionsverhandlungen drückte die SPD gegen den Willen der Grünen noch eine Rücknahme der Zuzahlungen für Arzneimittel und Arztbesuche durch – heute verkündet Bundeskanzler Gerhard Schröder lässig, auch im Gesundheitswesen müsse es mehr Eigenverantwortung geben. SPD-Gesundheitssprecherin Gudrun Schaich-Walch fordert eben mal, Leistungen wie Akupunktur dürfe es nicht mehr auf Krankenschein geben, und selbst Sozial-Hardliner Rudolf Dreßler verkündete am Montag in einem Tagesspiegel-Interview, den Leistungs- katalog der gesetzlichen Kassen gründlich zu durchforsten.

[...] Die Forderung nach so genannten Wahlleistungen fällt derzeit ständig – sie gelten zwar nicht als Allheilmittel für die vielfältigen Probleme des Gesundheitswesens, aber doch als zentrales Element neuer Reformversuche. Gemeint ist damit eine Privatisierung von Gesundheitsleistungen, die bisher im staatlichen Solidarsystem finanziert werden.

Kassenleistungen wie Zahnersatz, Akupunktur und Sterbegeld, aber auch die Unfallabsicherung für Skifahrer oder Bergsteiger könnten theoretisch von der gesetzlichen Krankenversicherung zur privaten Konkurrenz verlagert werden. Die gesetzlichen Kassen würden solche Leistungen nicht mehr erstatten, entsprechend könnten die Sozialbeiträge niedriger ausfallen. Für alle zusätzlichen Leistungen müssten Extraversicherungen abgeschlossen werden.

[...] Andrea Fischer tastet sich allmählich an die Opposition heran. Mal lässt sie in Pressegesprächen anklingen, mit der Union werde man auch über das Thema Wahltarife sprechen, dann wieder erklärt sie vorsichtig, die heutigen Budgets zur Kostenbegrenzung, die von CDU und CSU harsch abgelehnt werden, seien "keine Ideallösung".

[...] Intern lässt sie von ihren Fachbeamten prüfen, welche rechtlichen Voraussetzungen für Wahltarife nötig sind. Fest steht: Die gesetzlichen Kassen können nicht ohne weiteres neue Zusatzleistungen anbieten, dafür müssten sie privatwirtschaftliche Töchter einführen. Eine große Ortskrankenkasse könnte dann zum Beispiel eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gründen, die Leistungen wie Akupunktur, Kuren oder Zahnersatz anbieten würde. Mit dem Kanzleramt ist eine Öffnung beim Thema Eigenvorsorge und Wahltarife bereits abgesprochen.

[...] Die Sozialstaatskommission CDU erstellt derzeit eine Streichliste, in der aufgeführt wird, was künftig aus dem Leistungkatalog der gesetzlichen Kassen wegfallen und in Wahltarifen angeboten werden soll.

[...] Zu den Streichposten gehören unter anderem sämtliche Fahrtkosten und das Sterbegeld (Kosten pro Jahr: rund eine Milliarde Mark), womit Bestattungskosten finanziert werden. Exgesundheitsminister Horst Seehofer hält sogar eine Beitragsminderung um zwei Punkte für möglich. Dafür müssten unter anderem Erholungskuren, Naturheilmittel und Akupunktur aus dem Standardprogramm der gesetzlichen Kassen gestrichen werden.

[...] Von "einem total überschätzten Thema" spricht etwa Gesundheitsstaatssekretär Jordan: "Alle reden zwar davon, aber die konkreten Vorschläge haben meistens irgendwelche Macken." Jordan hält etwa nichts davon, Massagen oder Reha-Maßnahmen generell aus dem Leistungskatalog auszugliedern: "Es gibt zu viele Beispiele von Patienten, denen damit besser geholfen wurde als mit teuren Medikamenten."

Noch schwieriger dürfte die gesamte Wahltarifdebatte für die Grünen in den kommenden zwei, drei Monaten werden. Dann nämlich entscheidet der so genannte Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen darüber, ob Akupunktur und Homöopathie auch in Zukunft Teil des gesetzlichen Leistungskatalogs und damit erstattungsfähig sein sollen. Die Gesundheitsministerin muss diese Entscheidung abnicken – und kommt damit in eine heikle Situation: Einerseits eignen sich gerade solche Angebote gut für privat Wahlleistungen. Andererseits könnte Fischer sich leicht den Unmut der klassischen grünen Wählerschaft zuziehen, wenn die Solidargemeinschaft gerade für alternative Heilverfahren nicht mehr zahlt. Womöglich erklärt sich auch damit die öffentliche Zurückhaltung.

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