Arzneimittel und Therapie

Praktische Konsequenzen für die Sekundärprävention mit Vitamin E (Interview)

Das Vitamin-E-bezogene Teilergebnis der HOPE-Studie steht im Widerspruch zu vorangegangenen Studien, bei denen Vitamin E in der Sekundärprävention schützende Effekte bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufwies. Möglicherweise war die Beobachtungszeit von 4,5 Jahren zu kurz, als dass Vitamin E die ihm zugesprochene Wirkung an der Gefäßwand entfalten und die Progression arteriosklerotischer Plaques hemmen konnte. Prof. Dr. Peter Rösen, Leiter der Arbeitsgruppe Herz und Gefäße am Diabetesforschungsinstitut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, äußert sich im nachfolgenden Interview über seine Einschätzung und die praktischen Konsequenzen der HOPE-Studie.

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Herr Professor Rösen, wie bewerten Sie vor dem Hintergrund der anderen bisher vorliegenden Studien zu Vitamin E und koronarer Herzkrankheit grundsätzlich die Ergebnisse aus der HOPE-Studie?

Rösen:

Auf den ersten Blick sind die Ergebnisse des Vitamin-E-Armes der HOPE-Studie enttäuschend. Bei genauerer Überlegung wird aber deutlich, dass das Konzept der Studie, soweit es den Vitamin-E-Arm betrifft, in zwei entscheidenden Punkten auf einem Missverständnis beruht: Die Studie prüft die therapeutische Wirksamkeit von Vitamin E bei Patienten mit bestehender schwerer koronarer Herzkrankheit. Alle in die Studie eingeschlossenen Patienten werden entsprechend den vorhandenen Risikofaktoren mit Antihypertensiva, mit Lipidsenkern und mit Acetylsalicylsäure bzw. antithrombotisch wirksamen Pharmaka - teilweise in Kombination - behandelt. Solche Patienten profitieren nach der vorliegenden Literatur am wenigsten von einer Antioxidanzien-Gabe.

Eine antioxidative Behandlung als unterstützende Maßnahme hat das Ziel, das Risiko für die Entwicklung der koronaren Herzkrankheit zu vermindern. Durch eine Vielzahl von Studien ist belegt, dass eine Verminderung des "oxidativen Stresses" den Prozess der Atherombildung verlangsamen und möglicherweise auch zur Stabilität von Plaques beitragen kann. Durch Antioxidanzien kann der Prozess der Atherombildung aber nicht rückgängig gemacht werden. Die Einnahme von Antioxidanzien stellt keine therapeutische, sondern eine präventive Maßnahme dar.

Wie weiterhin aus den großen epidemiologischen Studien, aber auch aus Interventionsstudien und experimentellen Beobachtungen folgt, bei denen Vitamin E in hoher Dosierung eingesetzt wurde, muss es das Ziel einer Behandlung mit Antioxidanzien sein, das gesamte antioxidative Netzwerk zu stärken. Vitamin E ist zwar das wichtigste Antioxidans im Lipidbereich und vermag die Oxidation von Lipoproteinen effektiv zu reduzieren, aber dabei entstehen erneut radikalische Verbindungen, die regeneriert und zu stabilen Produkten umgewandelt werden können. Dies setzt ein funktionsfähiges antioxidatives Netzwerk voraus, wozu auch die wasserlöslichen Komponenten wie Vitamin C gehören.

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Seit wann erforschen Sie an Ihrem Institut die adjuvante Gabe von Vitamin E bei Diabetes-Patienten, und was resultiert daraus praktisch?

Rösen:

Wir untersuchen seit etwa fünf Jahren den "oxidativen Stress" und seine Bedeutung für die Entwicklung von Gefäßkomplikationen bei Diabetes mellitus. Wir haben davon auszugehen, dass der "oxidative Stress" eine wichtige pathophysiologische Rolle für die Schädigung des Endothels bei Diabetes, möglicherweise aber auch bei Hypertonus und Hypercholesterinämie spielt. Unter den genannten pathophysiologischen Bedingungen wird das Endothel selbst zur Quelle einer Reihe von reaktiven Sauerstoffradikalen. Da atherosklerotische Läsionen nur dort entstehen, wo das Endothel seine Schutzfunktion nicht mehr ausüben kann, wo eine endotheliale Dysfunktion (Störungen der Vasomotion, der Antithrombogenität, der Permeabilität) auftritt, ist es für protektive Maßnahmen entscheidend, die Endothelfunktion zu verbessern. Wichtig ist dabei, die Bildung von Sauerstoffradikalen zu hemmen.

Bei Diabetes sind diese Zusammenhänge von besonderer Bedeutung, da einerseits Diabetiker Patienten mit einem hohen vaskulären Risiko darstellen, andererseits neuere Studien darauf hinweisen, dass gerade ältere Patienten oder Patienten, die sich einer Reduktionsdiät unterziehen, zu einem erheblichen Teil mit antioxidativen Vitaminen unterversorgt sind.

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Warum empfehlen Sie ausdrücklich, weiterhin Diabetiker und andere Risikogruppen mit Vitaminen zu supplementieren und in welchen Dosierungen?

Rösen:

Das Ziel einer Gabe von Vitaminen ist im Wesentlichen der Gefäßschutz. Dies wird aber nur erreicht, wenn neben den antioxidativen Vitaminen E und C unter anderem auch die Vitamine der B-Gruppe inklusive der Folsäure, aber auch andere Antioxidanzien wie Carotinoide und Polyphenole einbezogen werden. Eine ausgewogene Ernährung im Sinne der so genannten mediterranen Ernährung ist der sicherste Weg, um einen Schutz der Gefäße durch ein Zusammenspiel verschiedener Nährstoffe zu erreichen.

Die Supplementierung mit antioxidativen Vitaminen - nach Möglichkeit zum Essen eingenommen - kann aber für eine einzelne Patientengruppe (unter anderem ältere Menschen, vaskuläre Risikopatienten, Stress-Belastung) sinnvoll und wichtig sein. Auf Grund der vorliegenden Forschungsergebnisse, die leider keine gesicherten Daten aus klinischen Interventionsstudien mit Diabetikern liefern, würde ich für die Primärprävention eine Dosis an Vitamin C von 150 mg pro Tag und an Vitamin E von 100 mg pro Tag empfehlen. Für die Sekundärprävention sind vermutlich höhere Dosierungen erforderlich, die jedoch der Arzt anhand der vorliegenden Literatur auf den individuellen Zustand des Patienten abstimmen muss.

Das Vitamin-E-bezogene Teilergebnis der HOPE-Studie, bei der bisher kein Einfluss von Vitamin E auf die koronare Herzkrankheit nachgewiesen werden konnte, steht im Widerspruch zu vorangegangenen Studien, bei denen Vitamin E in der Sekundärprävention schützende Effekte bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufwies. Möglicherweise war die Beobachtungszeit von 4,5 Jahren zu kurz, als dass Vitamin E die ihm zugesprochene Wirkung an der Gefäßwand entfalten und die Progression arteriosklerotischer Plaques hemmen konnte. Prof. Dr. Peter Rösen, Leiter der Arbeitsgruppe Herz und Gefäße am Diabetesforschungsinstitut der Universität Düsseldorf, äußert sich im nachfolgenden Interview über seine Einschätzung und die praktischen Konsequenzen der HOPE-Studie.

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