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Zankapfel Genforschung: Intensiver Dialog notwendig

MÜNCHEN (ms). Bei der Gentechnik scheiden sich die Geister. Während manche amerikanische Genforscher bereits öffentlich die Genoptimierung und die Keimbahntherapie propagieren, stoßen solche Techniken in Europa vielfach auf heftige Kritik. Eine Podiumsdiskussion mit deutschen und amerikanischen Wissenschaftlern, die am 3. April in der Münchener Muffathalle stattfand, beschäftigte sich mit dem "neuen Menschen" und die Auswirkungen der Genforschung auf die Gesellschaft. Trotz aller Gegensätze stimmten die Diskussionsteilnehmer in einem Punkt überein: Wir brauchen einen intensiven Dialog zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft, wenn es um die Chancen und Risiken der Gentechnik geht.

Der Mensch will gestalten

"Die menschliche Existenz ist durch die Gestaltungsmöglichkeit des Menschen charakterisiert", sagte der Bioethiker Prof. Dr. Günter Altner. Deshalb könne man die Genforschung nicht verbieten. Bei der Gentherapie lassen sich die somatische Therapie und die Keimbahntherapie unterscheiden. Während bei der somatischen Therapie die genetische Änderungen der Körperzelle auf das behandelte Individuum beschränkt bleiben, wirken sich Eingriffe in die Keimzellen erst bei den Kindern aus. Angesichte der Gentechnik stelle sich, so Altner, die Frage, ob der Mensch mit der Technik unmenschlich umgehe oder ob er sie einsetze, um soziale Dimensionen des Menschen ausgleichen.

Genmanipulation ist attraktiv

Prof. Dr. Gregory Stock, Gentechnik-Visionär aus Los Angeles, warnte davor, den Menschen allein als Produkt seiner Gene zu begreifen. Es gebe zahlreiche Faktoren wie etwa die Umwelt, die in der Entwicklung des Menschen eine entscheidende Rolle spielten. Wie Stock ausführte, wird es bald möglich sein, das menschliche Genom durch künstliche Gene zu verändern, um damit die Lebenserwartung um 10 oder 20 Jahre zu erhöhen. "Das ist eine Herausforderung an die Forschung, denn viele Menschen wünschen für sich und ihre Kinder eine Verlängerung des Lebens". Umfragen, so Stock, hätten gezeigt, dass in manchen Ländern bis zu 80 Prozent der Befragten Interesse daran hätten, sowohl die Physiologie als auch die Mentalität ihrer Kinder durch Genmanipulation verändern zu lassen.

Verbote zwecklos

"Durch kein Verbot lässt sich die Genforschung und die Zustimmung dazu verbieten", erklärte Prof. Dr. Barbara Katz Rothman. "Wir können den Menschen nicht sagen, was sie tun sollen; das muss dem einzelnen überlassen bleiben". Die Soziologin aus New York machte sich Sorgen um die gesellschaftlichen Folgen, vor allem um die Kluft zwischen Arm und Reich. "Die Wohlhabenden werden sich aus dem Angebot der Gentechnik alles kaufen können, was sie wollen; es spielt keine Rolle, ob die Gentechnik irgendwo verboten ist". Die Wissenschaftler würden dorthin gehen, wo ihre Forschung erlaubt sei, die Wohlhabenden würden ihnen folgen, sagte Katz Rothman.

Differenzierte Betrachtung notwendig

Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, Direktor des Münchner Gen-Zentrums, plädierte angesichts der Spekulationen und Visionen über die Gentechnik dafür, "auf den Boden der Realität zurückzukommen". Die Techniken zur Keimbahntherapie seien zum heutigen Zeitpunkt "technisch so schlecht, dass eine Anwendung beim Menschen nicht zur Diskussion steht", sagte Winnacker. Sollten sich die technischen Möglichkeiten in Zukunft verbessern, müsse man nachdenken, wie man die Keimbahntherapie einsetzen wolle. Wahrscheinlich werde es akzeptabel sein, spekulierte Winnacker, bei schweren Erbkrankheiten die defekten Gene durch ihre natürlichen Varianten zu ersetzen. Denn der Kontext des Genoms werde dadurch nicht verändert. "Einen gesunden Menschen auf die Welt bringen zu wollen, widerspricht weder der Menschenwürde noch dem Berufsethos der Ärzte".

Winnacker sprach sich jedoch vehement dagegen aus, neue Gene in das menschliche Genom einzuführen, die zum Beispiel Resistenz gegen Viren verleihen. Es sei nämlich unmöglich, vor dem Eingriff alle möglichen Wechselwirkungen zwischen den bestehenden und den durch die neuen Gene kodierten Proteine zu berücksichtigen.

Nutzen ja - Gefahren nein

"Wenn es um die Gentechnik geht, verhalten sich viele Menschen in Deutschland heuchlerisch", kritisierte Winnacker. So sei zum Beispiel die In-vitro-Fertilisation, durch die 8000 Babys jährlich in Deutschland geboren werden, akzeptiert, die dazu notwendige Forschung jedoch nicht. "Die Forschung mit all ihren Risiken lassen wir in England und in den USA machen", sagte Winnacker, "die Früchte der Forschung importieren wir dann nach Deutschland." Als weiteres Beispiel nannte Winnacker die Präimplantationsdiagnostik, die in Deutschland aufgrund des Embryonenschutzgesetzes verboten, in England jedoch erlaubt ist. "Weil deutsche Frauen wegen dieser Diagnostik nach England fahren, müssen wir das öffentlich in Deutschland diskutieren", forderte Winnacker.

Breite Diskussion notwendig

"Die öffentliche Diskussion muss im eigenen Land beginnen", meinte auch Altner. Unsere Gesellschaft müsse im öffentlichen Diskurs befinden, ob die Regelungen zum Embryonenschutzgesetz beibehalten oder gelockert werden sollten. Danach müsse man in der Europäischen Union diskutieren und einen Kompromiss suchen. "Ein Kompromiss ist aber schwierig, wenn man von der Richtigkeit der eigenen Auffassung überzeugt ist", sagte Altner. In der inhaltlichen Diskussion müsse man stärker als bisher auf die sozialen Folgen der Gentechnik hinweisen. "Denn wenn alles nur unter dem Gesichtspunkt der technischen Machbarkeit und der Ökonomie betrachtet wird, dann haben wir die Diskussion eigentlich schon verloren". Man müsse, so Altner, viel stärker darauf eingehen, welche Folgen die Gentechnik für die Gesundheit der Menschen, für die Zeugung von Kindern und für die Gesellschaft insgesamt habe.

Weltweite Auseinandersetzung

Winnacker setzte sich für eine breite Diskussion zwischen der Wissenschaft und der Öffentlichkeit ein. Nicht nur in Deutschland würde man über die Gentechnik kritisch nachdenken. Auch in den USA, so Winnacker, gebe es eine heftige Diskussion über die Verwendung embryonaler Stammzellen. Bei der Gentechnik gebe es also keine deutsche oder europäische Hysterie, sondern eine weltweite Diskussion, der man sich stellen müsse. Wissenschaftliche und technische Aspekte müssten dabei ebenso berücksichtigt werden wie ethische und moralische Standpunkte.

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