Feuilleton

Ayurveda in Sri Lanka: Heilen mit Öl und Wohlgerüchen

Ayurveda ist mittlerweile kein Fremdwort mehr. Als eine der ältesten, ganzheitlichen Gesundheitslehren stößt die indische Heilweise auch im Westen mehr und mehr auf Interesse. "Ayurveda am Ursprung" lautet ein Angebot an gestresste Europäer, in Sri Lanka die Wohltaten einer Ayurveda-Kur am eigenen Leib zu erfahren. Neugierig geworden, bin ich kurz entschlossen auf die paradiesische Tropeninsel gereist. Was ich dort erlebte, hat mich begeistert.

Mythischer Ursprung

Der Ursprung von Ayurveda, der "Wissenschaft vom Leben" (Sanskrit ayus = Leben und veda = Wissen, Wissenschaft), ist an viele Mythen geknüpft: Der indische Gott Brahma selbst soll die Lehre den Menschen gebracht haben. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten wurde sie in Lehrbüchern zusammengefasst. Ähnlich wie die traditionelle chinesische Medizin stellt Ayurveda ein in sich geschlossenes medizinisches System dar, das auf einer kompliziert anmutenden Philosophie, aber auch auf handfesten praktischen Erfahrungen basiert.

Jahrtausende alte Heilkunde neu belebt

Auch heute noch ist der Ayurveda die meist gepflegte, traditionelle Gesundheits- und Heilkunde auf dem indischen Subkontinent. Mit indischen Einwanderern und buddhistischen Mönchen gelangte er schon früh auch nach Sri Lanka und erlebte dort eine eigene Blüte. Lange Zeit jedoch galt auch dort - von der englischen Kolonialmacht vorgelebt - die westliche Medizin als erstrebenswerter. Erst in diesem Jahrhundert, ganz besonders nach Erlangung der Selbstständigkeit in den 60er-Jahren, besann man sich wieder der Traditionen. Seit 1980 reguliert ein speziell eingerichtetes Ministerium für "Einheimische Medizin" (Indigenous Medicine) den für die Gesamtbevölkerung kostenlosen Gesundheitsdienst - heute zu gleichen Teilen ayurvedische und westlich-medizinische Ambulatorien und Krankenhäuser - und sorgt für ayurvedische Forschung, Lehre und Ausbildung an den Universitäten und Schulen.

Zugleich hat Sri Lanka in den alten Heilmethoden einen neuen Motor für den Fremdenverkehr entdeckt - gerade zur rechten Zeit, als diese wichtige Einnahmequelle durch die Eskalation des Tamilenkonflikts ernsthaft bedroht war. Seit die "panchakarma" genannten "Entgiftungskuren" als meistverbreitete Therapieform des Ayurveda auch in deutschen Privatkliniken angeboten werden (s. auch die DAZ-Beilage Balance Nr. 2/1998), ist die Nachfrage nach der authentischen, überdies preiswerteren Behandlung in Südasien stark gestiegen.

Die Anreise ist freilich beschwerlich. Eine im Süden Sri Lankas gelegene Kurklinik erreichte ich nach zehnstündigem Flug plus fünfstündiger aufregender Fahrt im Auto. Doch dort wird der Gast mit Blumengirlanden und einer Königskokosnuss empfangen, und bei einer ersten Fußmassage kann das Vergessen beginnen.

Individueller Therapieplan

Erste Konsultation am nächsten Morgen: Dr. Buddhike, jugendlicher Chef eines fünfköpfigen ayurvedischen Ärzteteams und Spross einer angesehenen ayurvedischen Ärzte-"Dynastie", weiß nach prüfenden Blicken, Griff ins Haar und einer ausgiebigen Pulsdiagnose schon mehr über meinen Zustand als ich selbst. Seine klärenden Fragen treffen ins Schwarze, dann legt er den Therapieplan fest: Er verordnet Öldusche, diverse Massagen, Kräuterbad und ayurvedische Sauna, empfiehlt zu meiner Freude auch Yoga, Meditation und viel Schwimmen im 28ľC warmen Indischen Ozean und verbietet zu meiner Überraschung Scharfes, Saures, Fleisch und Fisch.

Und dann sind da noch die handgedrehten Pillen - die schwarzen sind vor, die grünen nach dem Essen zu schlucken; eine gallbittere Abkochung ist auf nüchternen Magen zu trinken, ein rotes Pulver vor dem Schlafen einzunehmen. Die Arzneien werden täglich frisch und für jeden Patienten individuell vom zehnköpfigen Apothekenteam des Hauses bereitet.

Gleichgewicht und Ordnung

Grundlegend für Ayurveda ist die Lehre von den drei Vitalkräften, "doshas", die die Konstitution des Menschen bestimmen und seine körperlichen und seelischen Vorgänge steuern. Sie werden als Kombinationen von jeweils zwei der "fünf Elemente" aufgefasst: "vatha" (aus Luft und etwas Äther) ist für die Bewegung zuständig, "pitha" (aus Feuer und etwas Wasser) für den Stoffwechsel, "kapha" (aus Wasser und etwas Erde) für Struktur und Stabilität. Nur wenn die doshas im Gleichgewicht sind, ist der Mensch gesund. Hier setzt entsprechend die Therapie an.

Zugleich wird im Ayurveda versucht, in ausgewogenem Wechsel zwischen Aktivität und Arbeit und Ruhe und Kontemplation den Heilsuchenden wieder an natürliche Rhythmen heranzuführen und den Lebensstil nach tages- und möglichst auch jahreszeitlichen Zyklen zu ordnen.

Tiefenreinigung...

Panchakarma, die große Reinigungskur der "fünf Handlungen" (wörtl. Übers.), kann vorbeugend oder bei chronischen Krankheiten eingesetzt werden. Zunächst werden Schlacken und Schadstoffe mit Hilfe von Diät und Ölbehandlungen mobilisiert und darauf in Wärmebehandlungen (Kräuter- und Dampfbad, Sauna, heiße Reisbeutel-Massagen) ausgeschleust. Abführmittel, Einläufe oder künstlich erzeugtes Niesen und Abhusten werden angewandt, um die Ausscheidungen zu forcieren.

Die Glieder- und Muskelschmerzen, die mich zwei Nächte kaum schlafen ließen, und die sprießenden Pickel, die den Herrn nebenan beunruhigten, ließen unseren Arzt nur zufrieden lächeln: "Panchakarma wirkt schon, die Gifte bahnen sich ihren Weg."

...und Tiefenentspannung

Ayurveda ist vor allem durch seine Ölmassagen bekannt geworden. Neben dem Reinigungsprozess in der Haut und im Körper spielen dabei die Erfahrung tiefer Ruhe, Entspannung und Wohlbefinden eine zentrale Rolle. Noch intensiver ist dies beim shirodara, dem Öl-Stirnguss, zu erleben: 30 Minuten lang tropft warmes Kräuteröl über einen Docht in gleichmäßigem Rhythmus auf die Stirn und entfaltet so eine ungeahnte, tiefenentspannende, das vegetative Nervensystem beruhigende Wirkung. Uralte Bilder und Traumfetzen tauchen aus dem Unterbewusstsein auf, man meint in eine andere Welt zu versinken. Bei vier- bis sechstägiger Anwendung des shirodara brechen auch hartnäckige Nervenblockaden und Seelenkrusten auf.

Eigentlich wird der shirodara in den landesüblichen ayurvedischen Krankenhäusern nur in Akutfällen eingesetzt, berichtet Dr. Buddhike. Der westliche Lebensstil bringe aber grundsätzlich eine Überreizung der Sinne und damit eine Ermüdung des mentalen Apparats und ein angegriffenes Nervensystem mit sich. Für die meisten Europäer sei der shirodara daher die wichtigste Behandlung.

Ernährung als Medizin

Ernährung besitzt im Ayurveda den gleichen Stellenwert wie Physio- oder Arzneitherapie. "Wer richtig isst, braucht keine Medizin, wer falsch isst, dem nützt keine Medizin", heißt es dort. Und: "Ohne die richtige Diät kann man keine Krankheit kurieren, auch nicht mit hundert Medikamenten."

Die verschiedenen Nahrungsmittel wirken spezifisch auf die doshas. Deshalb lässt sich für die unterschiedlichen Störungen der Homöostase und für jeden Konstitutionstyp der passende Ernährungsplan zusammenstellen. Persönliche Vorlieben und Abneigungen werden dabei als Ausdruck eines "tiefen Körperwissens" berücksichtigt.

Sechs Geschmacksrichtungen sollten, nach ayurvedischer Erkenntnis, in jedem Essen sein, um die doshas im Gleichgewicht zu halten: süß, sauer, salzig, scharf, bitter und zusammenziehend. In jedem Haushalt, in jedem einfachsten Restaurant Sri Lankas besteht deshalb ein Mittagessen zum Reis aus mindestens vier bis fünf "Curries" - unterschiedlich, nicht immer nur scharf gewürzten Gemüse-, Fleisch- oder Fischzubereitungen.

Der Koch unseres Ayurveda-Heilzentrums spielte täglich alle Register seines Wissens und seiner Kunst aus. Denn, so eine andere Regel, nicht nur die Geschmacksnerven wollen erfreut werden, nein, möglichst alle Sinne sollen beim Essen angesprochen werden. Wen wundert's also, wenn Einheimische Duftendes und Farbenfrohes freudvoll hörbar und genussvoll mit den Fingern essen.

3000 Arzneipflanzen

Die Phytotherapie ist eine tragende Säule des Ayurveda und repräsentiert einen Erfahrungsschatz von Jahrtausenden. Bereits in den klassischen Veden finden sich Aufzeichnungen über den Gebrauch von Arzneipflanzen. An die 3000 etwa sollen heute noch traditionsgemäß Verwendung finden. Die Anwendung ist oft polypharmazeutisch: Manches stärkende oder sogar verjüngende Mittel ("rasayana") wird aus mehr als 20, ja bis zu 50 pflanzlichen Bestandteilen gemixt.

850 Monographien umfasst die Ayurvedische Pharmakopöe von Sri Lanka, die 1979 in 2. Ausgabe erschienen ist. Neben pflanzlichen enthält sie auch mineralische und tierische Drogen. Pfauenkrallen, Kuhurin oder Elefantenhufen wird im Einzelfall ebenso eine Wirkung zugetraut wie Justicia (Adhatoda) vasica, Emblica officinalis oder Azadarichta indica, auch bei uns bekannten Arzneipflanzen. Und stolz schrieb der damalige Minister für Einheimische Medizin im Vorwort:

"Seit 2000 Jahren sorgte Ayurveda für unser Heil, aber er ging mit dem Beginn der Kolonisation beinahe unter, wie manche andere Säule unserer Kultur. Durch die Bemühungen unserer Regierung seit der Unabhängigkeit gelang es dieser traditionellen Heilweise jedoch, wieder aus der Vergessenheit aufzuerstehen und Millionen von Menschen dieses Landes, die sich den Glauben an seine Wirksamkeit erhalten haben, Trost und Erquickung zu bringen."

Viele der Heilpflanzen werden in Sri Lanka geerntet, ein Teil wird aus anderen asiatischen Ländern, vor allem aus Indien, importiert. Aber auch hier bedrohen zunehmend Umweltschäden und Klimaveränderungen die natürlichen Ressourcen der ayurvedischen Therapie. Das ist eines der Probleme, mit denen die Regierung des ehemaligen Ceylon sich bei ihrer planmäßigen Förderung der alten Heilkunde konfrontiert sieht.

Empiriker und Akademiker

Ein anderes Problem bestand lange darin, dass immer weniger junge Medizinstudenten gewillt waren, die Namen all dieser Pflanzen einschließlich ihrer Indikation in vier Sprachen - Sanskrit, Singhalesisch (Landessprache), Englisch und Latein - auswendig zu lernen, wie es für den zeitgemäßen Ayurveda-Arzt unerlässlich ist. Wegen der staatlichen Förderung und des neuen Booms für Ayurveda entscheiden sich jedoch wieder zunehmend mehr junge Leute für den anspruchsvollen ayurvedischen Studiengang an der medizinischen Fakultät der Universität Colombo, nachdem sie das medizinische Grundstudium (mit Anatomie, Pathologie, Forensik etc.) absolviert haben.

Etwa 10 000 registrierte Ayurveda-Ärzte sollen heute wieder in Sri Lanka praktizieren. Dabei wird kein Unterschied gemacht, ob ein Arzt akademisch oder traditionell ausgebildet ist. Die "village doctors", die ihr Wissen durch jahrelange Lehrzeit beim Vater oder einem Meister erworben haben, sind heute zunehmend in der Minderheit, erfreuen sich jedoch gleicher Wertschätzung und sind für ihr oft nur mündlich überliefertes Heilwissen berühmt.

Von der WHO gefördert

Inzwischen gehört Ayurveda zu den von der WHO offiziell anerkannten und geförderten Heilweisen. Und sowohl in Sri Lanka - z.B. im Bandaranaike Memorial Ayurvedic Research Institute, Nawinna - als auch besonders im Ursprungsland Indien wird in zahlreichen Forschungseinrichtungen die Wirksamkeit ayurvedischer Medikationen nach "harten westlichen" Maßstäben mit modernen wissenschaftlichen Methoden auf den Prüfstein gelegt. Demgemäß bildet ayurvedische Forschung auch einen der Themenschwerpunkte am diesjährigen Internationalen Kongress für Phytomedizin (11. Bis 13. Oktober in München).

Doch noch einmal zurück nach Sri Lanka. Neben der Kur blieb genügend Spielraum, um in der näheren Umgebung Land und Leute - von umwerfender Herzlichkeit - sowie Flora und Fauna - von atemberaubender Schönheit und Üppigkeit - zu erkunden. Manche Heilpflanze, manches viel genutzte Gewürz endlich in natura zu erleben, ließ das Apothekerherz höher schlagen.

Fazit nach zwei Wochen: Es war wie ein Traum, wie ein Besuch im (Fast-)Paradies, von dem ich gestärkt, entschlackt, verjüngt (?) und voll neuer Kraft zurückkam. Seither fiel mich oft die Frage an: Kann nur die östliche Tradition dies vermitteln, haben wir bei uns nicht ähnliches, verschüttetes Erfahrungsgut, medizinische Sicht- und Heilweisen, die nur wieder ausgegraben, in Erinnerung gebracht werden wollen?

Ayurveda, die traditionelle indische Heilweise, stößt im Westen zunehmend auf Interesse. Daher haben sich in Indien und Sri Lanka einige Kurkliniken auf die Behandlung von Europäern spezialisiert. Die Kur besteht aus Diät, Physiotherapie und Arzneitherapie, wobei die Arzneimittel aus dem jahrtausendealten Drogenschatz in der Klinik selbst angefertigt werden.

Gesundheit Nach ayurvedischer Auffassung ist der gesund, "dessen Physiologie im Gleichgewicht ist, dessen Verdauung und Stoffwechsel gut arbeiten, dessen Gewebe- und Ausscheidefunktionen normal sind und dessen Seele, Geist und Sinne sich im Zustand dauerhaften inneren Glücks befinden". Sushruta, klassischer ayurvedischer Arzt

Indikationen Ayurveda eignet sich besonders zur unterstützenden Behandlung chronischer Erkrankungen wie Bluthochdruck, Arthritis und Rheuma, nervöse Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Depressionen, Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, Neurodermitis und Psoriasis, Asthma und Sinusitis.

Im Massageraum Der Patient wird mit einer Kopf- und Fußmassage begrüßt und bettet sich dann auf ein riesiges Bananenblatt. Duftendes, warmes Öl ergießt sich über seinen Körper, den vier geübte Hände rhythmisch-synchron in wohl durchdachten Mustern massieren und kneten. Milde lächelt in der Ecke ein weißer Buddha, Palmen und das Meer rauschen vor dem Fenster. Ein warmes Kräuterbad mit (unbekannten) bitteren Wurzeln und Blättern bringt danach den Kreislauf in Schwung und den Körper beim anschließenden Ruhen unter Blütenbüschen ins Schwitzen.

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