Berichte

Optimierung von Retardpräparaten

Das 7. Symposium der Fachgruppe Arzneimittelkontrolle/Pharmazeutische Analytik der DPhG wurde vom 18. bis 20.November 1999 gemeinsam mit der Fachgruppe Pharmazeutische Technologie der DPhG in Münster veranstaltet. Das Thema lautete: Retardierung parenteral applizierter Wirkstoffe durch Einbettung in biodegradable Matrix - Qualität, Nutzen, Risiko.

Vorteile und Risiken von Retardpräparaten

Durch Einbettung biologisch aktiver Substanzen, insbesondere von Peptidwirkstoffen mit Hormon-agonistischer bzw. -antagonistischer Wirkung, in eine Matrix aus biodegradablen Polymeren lässt sich eine retardierte, gleichmäßige Wirkstofffreisetzung aus parenteral als Einzeldosis applizierten Depots über sehr lange Zeiträume bis zu 3 Monaten erzielen. Die Vorteile dieser Retardpräparate liegen auf der Hand, ebenso aber auch die Risiken, welche sich im Falle der unkontrollierten Freisetzung durch die aus der Langzeitwirkung resultierenden erforderlichen hohen Dosen stark wirksamer Arzneistoffe ergeben. Die Thematik wurde auf dem Symposium in insgesamt 15 Vorträgen aus technologischer, analytischer, klinischer und regulatorischer Sicht behandelt und ausführlich diskutiert.

Mechanismen der Retardierung

Dr. N. Lill, Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH, zeigte die Möglichkeiten zur Retardierung parenteral applizierter Wirkstoffe auf. Diese kann durch eine Verzögerung des Arnzneistoffabbaus, z.B. durch eine chemische Modifikation, erreicht werden. Auch kann der Abtransport vom Applikationsort verlangsamt werden, z.B. durch Zugabe eines Vasokonstringens. Durch eine subcutane oder intramuskuläre Injektion wird die natürliche Barrierefunktion des Gewebes ausgenützt. Ein Depoteffekt kann auch durch Bildung von Komplexen und Salzen, Vergrößerung von Kristallen oder Verwendung wässriger oder öliger Suspensionen, Emulsionen oder Mehrfachemulsionen erreicht werden. Eine Weiterentwicklung stellt die Mikroverkapselung des Arzneistoffs dar. Als Hüllmaterial werden Polymere verwendet. Diese müssen

  • bioabaubar am Applikationsort,
  • nicht toxisch,
  • lagerstabil als Reinstoff und in der Zubereitung und
  • gut löslich in für die Herstellung benötigten Lösungsmitteln sein.

Sie sollten

  • möglichst kommerziell erhältlich und
  • in einem bereits zugelassenen Fertigarzneimittel enthalten sein.

Als biodegradable Träger werden meistens Polymerisate aus Milchsäure oder Copolymerisate aus Milchsäure und Glykolsäure, bei letzteren in unterschiedlichem Mischungsverhältnis der beiden Monomere, verwendet. Das Mischungsverhältnis wird von den Herstellern deklariert, nicht hingegen die für das Freisetzungsverhalten mit entscheidende relative Molekülmasse der Polymere.

Von untergeordneter Bedeutung sind Polyanhydride, während Polyorthoester, Polyweinsäure, ABA Blockpolymere und Sternpolymere nur in der Wissenschaft eine Rolle spielen. Die Polyhydroxybuttersäure ist nur im Erdreich abbaubar und gehört nicht in diese Reihe.

Der Abbau dieser Polymere erfolgt sehr schnell, aber abhängig vom Molekulargewicht. Zum Einsatz kommen kommen Mikropartikel (1-50 mm), stäbchenförmige oder scheibenförmige Präparate. Letztere können unmittelbar am Wirkort, z.B bei einem Gehirntumor implantiert werden.

Bei der Herstellung der Mikropartikel kommen folgende Verfahren zur Anwendung:

  • W/O/W-Emulsionsbildung,
  • Sprühtrocknung,
  • Phasenseparation,
  • Solvent Evaporation,
  • Extrusion mit anschließender Mahlung und
  • Aerosol-Solvent-Extraktion.

Implantate werden durch

  • Extrusion,
  • Sprühtrocknung mit anschließender Verpressung (für scheibenförmige Implantate) oder
  • Folienherstellung (jedoch nichtindustriell)

hergestellt. Die Produktion muss unter aseptischen Bedingungen erfolgen. Aufgrund der Glasübergangstemperatur, die bei diesen Polymeren bei 70°C und niedriger liegt, können keine klassischen thermischen Sterilisationsverfahren durchgeführt werden. Eine Strahlensterilisation kann in Frage kommen.

Die biodegradablen Träger gelten bei der Zulassung als kritische Hilfstoffe und bedürfen einer detaillierten Charakterisierung und umfangreichen regelmäßigen Qualitätskontrolle. Eine Herstellung dieser extrem langwirkenden Depot-Parenteralia lohnt sich nur bei bei hoch wirksamen (Einzeldosis 7,7 bis 30 mg) und hochpreisigen Arzneistoffen. Als aussichtsreicher Wirkstoff für diese Arzneiform wurde das Somatropin genannt.

Applikation von LH-RH-Analoga

Anwendungsbeispiele für bioabbaubare Drug Delivery Systeme zeigte Dr. R. Hübner, Takeda Pharma GmbH, anhand von parenteral retardierten LH-RH-Agonisten und -Antagonisten. Im Hypothalamus wird das Gonadotropin-Releasing-Hormon (LH-RH) pulsatil freigesetzt und führt in der Adenohypophyse zur Ausschüttung der beiden Gonadotropine, des luteinisierenden Hormons (LH) und des Follikel-stimulierenden Hormons (FSH).

Eine kontinuierliche LH-RH-Freisetzung führt zu einer Down-Regulation bzw. zu einer Nicht-Ausschüttung von LH und FSH. Diese Nicht-Ausschüttung ist bei hormonabhängigen Krankheitsverläufen wie dem hormonabhängigen Prostatakarzinom, Pubertas praecox vera, Endometriose, Uterus myomatosus, Präoperative Endometriumabflachung, Mammakarzinom oder bei der Fertilitätstherapie erwünscht.

Da LH-RH im Körper sehr schnell abgebaut wird, werden Analoga mit längerer Halbwertszeit angewendet. Diese werden durch Austausch von Aminosäuren des Oligopeptids erhalten. Ihre verlängerte Wirkdauer führt zu einer Down-Regulation von LH und FSH. Durch Einbettung von LH-RH-Analoga in biodegradable Polymere lassen sich parenterale Depotpräparate mit einer Wirkungsdauer von 1 bis 3 Monaten erzielen, die sich therapeutisch bewährt haben.

Die Wirkung ist reversibel: 1 bis 4 Wochen nach Absetzen des Medikaments richtet sich der normale Zyklus wieder ein. Aufgrund ihrer rezeptorstimulierenden Wirkung setzen LH-RH-Agonisten zu Therapiebeginn LH und FSH frei, die durch die höhere Initialfreisetzung der Retardpräparate (burst effect) nochmals verstärkt wird, was bei der Therapie von Tumoren ungünstig ist. Antagonisten zeigen dieses Problem nicht. Sie befinden sich zur Zeit in der galenischen Entwicklung.

Typisierung von Polymeren

Über biodegradable Polymere informierte Prof. Dr. A. Göpferich, Universität Regensburg. Diese werden als Matrix zur Arzneistofffreigabe und als Zellgerüst angewendet. Der Arzneistoff wird für die Retardierung in eine Polylactidschicht eingebettet und diese u.U. mit weiterem Arzneistoff für eine Initialdosis umhüllt.

Im zweiten Anwendungsgebiet werden menschliche Zellen in das Polymer eingebettet und können als reimplantierbares Gewebe Verwendung finden, z.B. bei Arthritis und Arthrose oder als Organersatz. Versuche zur Knorpelzüchtung mit bovinen Chondrozyten-Zellkulturen und mit mesenchymalen Stammzellen von Ratten werden zur Zeit durchgeführt.

Zur Klassifizierung der Trägerpolymere eignet sich

  • eine Einteilung in Polymere natürlicher oder synthetischer Herkunft,
  • eine Einteilung in chemische Substanzklassen oder
  • eine Einteilung nach dem Mechanismus des Zerfalls der Matrix.

Beispiele für natürliche Polymere sind Kollagen, Alginat oder modifizierte Hyaluronsäure. Die Matrix kann aufgrund einer Oberflächenerosion oder duch Bulkerosion zerfallen. Oberflächenerosion bedeutet einen flächenweisen Polymerabbau an der Oberfläche der Matrix. Bulkerosion beschreibt den Abbau auch im Gerüstinneren. Wichtiger Hinweis für eine Bulkerosion ist die Abnahme der relativen Molekülmasse. Hierbei kann gelegentlich als unerwünschtes Phänomen beobachtet werden, dass die Arzneiform lange Zeit stabil ist, plötzlich jedoch zerfällt. Bei Polylactiden wurde als Grund ein absinkender pH-Wert durch hydrolytisch entstehende Milchsäure vermutet. Hierdurch wird autokatalytisch ein weiterer Abbau beschleunigt, der osmotische Druck steigt, und die Arzneiform platzt. Bei Inkubation der Matrix in eine Lösung von pH = 2 zeigten sich kaum Veränderungen am Polymer. Autokatalyse findet zwar statt, kann aber nicht alleiniger Grund für die spontane Wirkstofffreisetzung sein.

Zum Mechanismus der Wirkstofffreisetzung gibt es polymerbezogene Modellvorstellungen, die jedoch das praktisch beobachtete Freisetzungsverhalten noch nicht befriedigend erklären. Eine Bulkerosion kann in eine Oberflächenerosion überführt werden, wenn der pH-Wert stark erhöht oder die Oberfläche vergrößert wird. Ein Zusatz von puffernden Substanzen würde jedoch zu einer Vergrößerung der ohnehin voluminösen Arzneiform und damit zu Applikationsproblemen führen.

Eine Lösung bietet die Entwicklung neuer Biomaterialien. Sie könnten aus Polyethylenglykol in Kombination mit Polylactid oder anderen Polymeren bestehen. Auch Mikropartikel auf Lipid-Basis sind denkbar. Für Zellgerüste wären funktionalisierte Polymere von Vorteil, da Zellen an den bisher verwendeten Polyestern nicht haften. Ein Spacer mit einer geeigneten Endgruppe könnte die Oberfläche der Matrix maskieren.

Herausforderungen bestehen neben der Entwicklung neuer Biomaterialien im Aufbau dreidimensional strukturierter Polymere, der Verwendung neuer Arzneistoffe in dieser Retardform, einer schonenden Formulierungstechnik von Proteinen und in einem Transfer dieser neuen Arzneiformen in die Klinik.

Materialien zur Geweberegeneration

Dr. W. Frieß, Universität Erlangen, zeigte Einsatzmöglichkeiten von bioabbaubaren Polymeren in Arzneimitteln zur Geweberegeneration von Knochen, Knorpel, Haut und Nerven. Um die körpereigene Regeneration anzuregen, sollen Implantate mit knochenmorphogenetischen Proteinen (BMP's) oder TGF-alpha und -beta (Gewebewachstumsfaktoren) appliziert werden. In beiden Fällen wird ein Gerüst benötigt, in die das Gewebe einwachsen bzw. der Wirkstoff eingebettet werden kann. Hierfür stehen u.a.

  • Kollagen,
  • Keramik, Bioglas, Glaskeramik,
  • Polyhydroxysäuren, Polyanhydride,
  • Hyaluronsäure, Glykosaminglykane, Chitosane

zur Verfügung. Kollagen stammt aus tierischen Quellen. Es wird bisher schon zur Wundheilung als Gel oder als poröse Matrix angewendet. Produkte aus Kollagen zeigen eine schlechte Festigkeit, insbesondere bei mehrmaliger Belastung in Wasser aufgrund fehlender Rückdehnung.

Als Keramiken werden entweder aufbereitete Knochenspongiosa, Knochenkortikalis und Korallen oder synthetische Produkte wie Tricalciumphosphat oder Hydroxylapatit verwendet. Zu beachten ist bei den synthetischen Produkten eine mögliche Modifikationsumwandlung in Abhängigkeit von pH-Wert und Temperatur, welche auch im menschlichen Körper stattfinden kann.

Bioglas ist eine Mischung aus Na2O, CaO und SiO2. Implantiert, findet eine partielle Silicatauflösung statt. Es bildet sich eine SiO2-Schicht aus, auf die sich Hydroxylapatit auflagert und gut in den natürlichen Knochen einwächst.

Probleme der Bioverfügbarkeit

Prof. Dr. H. Blume, Socra Tec R&D, referierte über biopharmazeutische Ansprüche an Depot-Parenteralia mit Langzeitwirkung. Die biopharmazeutischen Eigenschaften von Depot-Parenteralia müssen unter Berücksichtigung des therapeutischen Ziels, der physikalisch-chemischen und der pharmakokinetischen Wirkstoffeigenschaften produktspezifisch festgelegt und das angestrebte pharmakokinetische Profil im Rahmen der Zulassung durch In-vivo-Untersuchungen belegt werden. Ferner sind In-vitro-Prüfmethoden vorzulegen, welche eine zuverlässige Kontrolle der einwandfreien biopharmazeutischen Qualität jeder produzierten Charge erlauben.

Da zur Zeit keine speziellen verbindlichen Richtlinien oder Empfehlungen für die In-vivo-Charakterisierung von Depot-Parenteralia existieren, Bioverfügbarkeitsstudien dieser Darreichungsformen aber grundsätzlich erforderlich sind, empfiehlt sich bei deren Durchführung eine Orientierung an den entsprechenden Zielvorgaben für orale oder transdermale Zubereitungen.

Die Plasma-Konzentrationsprofile sind produktabhängig an gesunden Probanden oder an Patienten nach Einzelapplikation so lange zu verfolgen, bis keine Wirkstoffabgabe aus der Darreichungsform mehr zu erwarten ist. Dies kann bei extrem langen, manchmal über mehrere Monate wirkenden Depot-Parenteralia zu Problemen führen. Blutspiegeluntersuchungen nach Mehrfachdosierung sind in der Regel entbehrlich, da bereits durch Einzeldosierung dieser Retardformen ein steady-state erreicht wird.

Im Regelfall gelten die Grundsätze für die Forderung von Bioverfügbarkeitsuntersuchungen neuer Produkte auch für Generika. Ausnahmen sollten im Einzelfall möglich sein, zum Beispiel bei öligen Lösungen von Depot-Parenteralia, sofern das Vehikel mit dem des Referenzpräparates identisch ist.

Überprüfung der Wirkstofffreisetzung

Prof. Dr. Helga Möller, Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker, referierte über die Biopharmazeutische Charakterisierung von Depot-Parenteralia. Die biopharmazeutischen Eigenschaften von Arzneiformen lassen sich durch In-vitro-Untersuchungen der Wirkstofffreisetzung charakterisieren. Hierfür geeignete Apparaturen sind in den Arzneibüchern beschrieben, und zwar sind die am häufigsten verwendeten Blattrührer- und Drehkörbchenapparaturen sowie die Durchflusszelle in den aktuellen internationalen Pharmakopöen weitgehend vereinheitlicht. Für die Überprüfung der Wirkstofffreisetzung der langwirksamen Depot-Parenteralia für LH-RH-Analoga sind Blattrührer- und Drehkörbchenmethode nicht geeignet. Bewährt haben sich hingegen neben anderen Apparaturen Durchflusszellen, wobei deren Geometrie einer Adaption an diese spezielle Darreichungsform bedarf.

Die therapeutische Sicherheit der genannten Depot-Parenteralia setzt ein gleichbleibendes Freisetzungsverhalten voraus. Die in der regelmäßigen Chargenkontrolle üblicherweise für diesen Zweck angewandten beschleunigten Simulationstests bedürfen neben der Wahl der geeigneten Freisetzungsapparatur auch einer sorgfältigen Optimierung und Validierung der Freisetzungsbedingungen, insbesondere des Freisetzungsmediums, wobei durch Variation der Ionenstärke, Puffersubstanzen und deren Konzentrationen, von Tensiden und anderen Hilfsstoffen die Lösungsgeschwindigkeiten beeinflusst und hierdurch die Testzeiten gesteuert weden können. Die Validierung der optimierten Testbedingungen für Depot-Parenteralia muss die In-vitro-/In-vivo-Korrelation im Tierversuch und letztlich am Menschen einschließen.

Freisetzung im Tierversuch

Prof. Dr. J. Sandow, Hoechst Marion Roussel DG Metabolismus, zeigt die Sicherung des Freisetzungsprofils von Depot-Arzneiformen im Tierversuch. Das Freisetzungsverhalten der Wirkstoffe aus Depot-Arzneiformen kann man durch Beeinflussung des Abbauverhaltens der Matrix kontrollieren und über Wochen bis Monate annähernd konstant halten. Bei den therapeutisch verfügbaren Darreichungsformen handelt es sich um zylindrische Implantate oder um Mikrokapseln, welch letztere nach Suspension in geeigneten Vehikeln subkutan injiziert werden.

Ein kritischer Faktor bei der Entwicklung dieser Darreichungsformen ist die Etablierung eines hinsichtlich der Versuchsdauer auch für die routinemäßige Qualitätskontrolle geeigneten In-vitro-Freisetzungstest, der das biopharmazeutische Verhalten in vivo zuverlässig zu überprüfen gestattet. Hierzu eignen sich Kurzzeitsimulationstests, deren Bedingungen allerdings einer sorgfältigen In-vitro-/In-vivo-Korrelation bedürfen, wobei die In-vivo-Verfügbarkeit zunächst am Tier, später im Humanversuch untersucht wird.

Der Tierversuch erfolgt meist an der Ratte. Die Mikrokapselsuspension wird subkutan in der Leistengegend injiziert. Implantate können in der Rückengegend eingesetzt werden. Der Wirkstoff wird anschließend im Plasma oder Urin bestimmt. Eine zusätzliche indirekte Kontrolle der Wirkstofffreisetzung aus dem Depot ist durch Wirkstoffbestimmung in der am Applikationsort bleibenden Darreichungsform nach operativer Entfernung möglich.

Um eventuelle Speciesunterschiede hinsichtlich der Biodegradation der Polymere bzw. des Wirkstoffs zu erkennen, wurden vergleichende Untersuchungen auch an Schafen, Hunden und Affen durchgeführt. Hierbei zeigte sich im Falle von Buserelin, dass der Wirkstoffabbau bei der Ratte doppelt so rasch wie beim Menschen erfolgt.

Die Optimierung der In-vitro-Freisetzungsbedingungen erfolgt durch vergleichende Untersuchungen im Tierversuch. Hierbei kann es vorkommen, dass sich das unter bestimmten In-vitro-Testbedingungen beobachtete optimale Freisetzungsverhalten, nämlich eine gleichmäßige Freisetzung (nullter Ordnung) über den gesamten Prüfzeitraum, in vivo nicht realisieren lässt. Eine weitere Optimierung der Darreichungsform und auch des In-vitro-Simulationstests durch Änderung der Testapparatur, des Prüfmediums oder anderer Testparameter ist dann erforderlich.

Alternative Sterilisationsverfahren

Die therapeutisch verwendeten Depot-Parenteralia sind wegen der Thermo- und Hydrolyselabilität sowohl der biodegradablen Polymermatrix als auch der inkorporierten Peptidwirkstoffe nicht den klassischen thermischen Sterilisationsverfahren (Wasserdampf- und Heißluftsterilisation) zugänglich. Als geeignete Alternativverfahren kommen die meist praktizierte aseptische Herstellung oder unter bestimmten Voraussetzungen, welche in der nach § 7 Abs. 2 AMG erlassenen AMRadV festgelegt sind, die Sterilisation mit ionisierenden Strahlen (Elektronenstrahlen oder Gammastrahlen) in Betracht. Alternativverfahren zu den unter den Standardbedingungen des gültigen Arzneibuchs durchgeführten Hitzesterilisationsverfahren bedürfen einer sorgfältigen Validierung.

Strahlensterilisation

Über den Anspruch, der an die Validierung von Strahlensterilisationsverfahren zu stellen ist, informierte Dr. H.-J. Lengert, Willy Rüsch AG. In Deutschland arbeiten zur Zeit acht Gammabestrahlungsanlagen mit dem Isotop Kobalt-60. Dieses wird in Kernreaktoren hergestellt, welche einen hohen Neutronenfluss haben. Kobalt-60 wandelt sich durch Aussendung von b-Strahlen mit einer Energie von 0,31 MeV sowie von g-Strahlen mit 1,17 MeV bzw. 1,33 MeV in Nickel-60 um. Diese Energie ist zu niedrig, um Radioaktivität in Atomen induzieren zu können. Hierfür wären mindestens 10MeV erforderlich. Insofern ist nicht ganz einsichtig, dass in der Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMRadV) radioaktive Arzneimittel und Arzneimittel, die mit radioaktiven Strahlen behandelt wurden, gleichgesetzt werden.

In § 1 Abs. 2 Nr. 3 AMRadV wird eine weltweit einmalige Obergrenze für die Strahlendosis von 32 kGy festgeschrieben: Um die vom Arzneibuch geforderte Sterilitätssicherheit zu erreichen, muss mit mindestens 25 kGy bestrahlt werden. Aufgrund technischer und messtechnischer Probleme ist es schwierig, das Fenster 25 bis 32 kGy einzuhalten.

Validierungsnormen für die Strahlensterilisation sind in ISO 11137 und DIN/EN 552 festgelegt. Bei allen Sterilisationsverfahren wird das Sterilisiergut hohen physikalischen und/oder chemischen Belastungen ausgesetzt. Die Validierung der Sterilisation muss daher stets sowohl die Aspekte einer ausreichenden Keimreduktion als auch der Produktbeständigkeit berücksichtigen.

Voraussetzung für den Sterilisationserfolg ist u.a. eine präzise Festlegung der Anordnung des Sterilisierguts in den Sterilisierbehältern und der maximalen Beladung, wobei die Dosis an einem bestimmten Ort nicht nur von dessen Abstand von der Strahlungsquelle, sondern auch von der Dichte des Sterilisiergutes und damit auch von der Packungsdichte abhängt. Zur Validierung des Sterilisiererfolges gehört daher auch die Untersuchung der Dosisverteilung im Sterilisiergut mit Hilfe von Dosimetern. Dabei kann an Stelle des zu sterilisierenden Produkts auch ein anderes Material, dessen Dichte und Packungsdichte dem Sterilisiergut entsprechen, den vorgesehenen Sterilisationsbedingungen unterworfen werden.

Zum Nachweis der Unbedenklichkeit des Sterilisationsverfahrens für das zu sterilisierende Produkt wird dieses nach der Bestrahlung organoleptisch und mit physikalischen und physikochemischen Methoden (beispielsweise ESR-Spektroskopie) auf Veränderungen untersucht. Werden solche nicht festgestellt und ist die minimale tolerierte Strahlendosis zur Erzielung der geforderten Sterilitätssicherheit ausreichend, so ist die Strahlensterilisation als Alternative zu den Standardsterilisationsverfahren geeignet.

Geeignete Strahlen

Prof. Dr. K. W. Bögl, Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), referierte über den Einfluss der Strahlensterilisation auf Wirk- und Hilfsstoffe sowie Packmaterialien.

Eine Strahlensterilisation ist möglich durch Verwendung von

  • Gammastrahlen (erzeugt aus Kobalt-60 und Cäsium-137),
  • Röntgenstrahlen und
  • Elektronenstrahlen.

Elektronenstrahlen erzeugen max. 10 MeV. Weltweit gibt es rund 550 Anlagen. Röntgenstrahlen besitzen eine maximale Energie von 5MeV. Sie entstehen in der Elektronenhülle beim Elektronenübergang und werden immer mit verschiedenen Wellenlängen ausgestrahlt. Gammastrahlen entstehen dagegen im Atomkern und werden nur mit einer Wellenlänge ausgestrahlt. In 180 Anlagen in 47 Ländern wird Kobalt-60 für eine Sterilisation mittels Gammastrahlen verwendet.

Die Strahlendosis wird in Gray angegeben: 1 Gy = 1 J/kg. 10 Gy werden benötigt, um 1 g Wasser um 2,38°C zu erhitzen (2,38 cal). Dies ist die für den Menschen tödliche Dosis. Für eine Person mit 75 kg Körpergewicht beträgt sie 75 x 2,38 cal, also ca. 180 cal. (Mit einem Brötchen ohne Butter und Marmelade werden schon 125 kcal zugeführt.) Der Grund für diese energetisch niedrige Letaldosis liegt darin, dass die Strahlen Strangbrüche in der DNA verursachen. Durch Zuführen von Wärme wird die DNA lediglich zu einer größeren Schwingung angeregt.

Vorteile der Strahlensterilisation liegen in der geringen thermischen Belastung, einer guten Ausleuchtung des Produkts und einer einfachen Validierung. Nachteile sind die unspezifischen chemischen Veränderungen, die auch bei Kunststoffen problematisch sein können, die hierfür erforderlichen, aufwendigen Anlagen und die Vorbehalte der Verbraucher, insbesondere soweit es Lebensmittel betrifft.

Beeinträchtigung der Arzneistoffe...

Gammastrahlen führen zu Ionisierung und Radikalbildung mit der Folge von Rekombination, Dimerisierung, Elektroneneinfang und anderen Reaktionen. Es entstehen zahlreiche unübersichtliche Produkte. In Festkörpern findet eher eine Rekombination statt, da die Bruchstücke in naher räumlicher Umgebung verbleiben. In Lösung laufen aufgrund von Diffusion vermehrt die anderen genannten Veränderungen ab. So zeigen 50% der Arzneimittel in Lösung Zersetzungen, wenn sie mit 1 bis 25 Mrad (10-250 kGy) bestrahlt werden.

Es gilt die Regel: Je geringer die Konzentration des Arzneistoffs in Lösung, umso höher die Zersetzung! Ein Ausweg ist, Arzneistoff und Lösung getrennt zu bestrahlen und anschließend zu mischen. Wird eine hohe Strahlendosis in kurzer Zeit in das Produkt eingebracht, so zeigt es weniger Zersetzung. Es werden lokal konzentriert viele Bruchstücke erzeugt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine Rekombination. Bei niedrigerer Stahlendosisleistung über einen längeren Zeitraum entstehen die Bruchstücke verstreut.

...und von Kunststoffen

Als Packmittel finden vielfach Kunststoffe bei Arzneimitteln, Medizinprodukten und Lebensmitteln Verwendung. Etwa 50% aller Medizinprodukte enthalten Polyethylenpropylen. Bei Bestrahlung von Polyolefinen können

  • Polymerketten gespalten oder verknüpft werden,
  • Gase und niedermolekulare Verbindungen entstehen,
  • in Gegenwart von Sauerstoff Oxidationen und Kettenspaltungen stattfinden und
  • ungesättigte Verbindungen entstehen.

Der Nettoeffekt bestimmt die Veränderungen der physikalischen Eigenschaften. Überwiegt eine Vernetzung, so steigt das relative Molekulargewicht, sinken die Löslichkeit und die Erweichungstemperatur und nimmt die Härte zu. Überwiegt der Abbau, kommt es zu den gegenteiligen Veränderungen der Eigenschaften. Eine Vorhersage, welcher Effekt überwiegen wird, ist kaum möglich.

Die Effekte sind abhängig von

  • der Art des verwendeten Polymers,
  • der Verwendung von Antioxidanzien und anderen Additiven,
  • der Vorbehandlung des Polymers, z.B. Tiefziehen,
  • den Bestrahlungsbedingungen (v.a. absorbierte Strahlendosis, Strahlendosisleistung und Bestrahlungsatmosphäre).

Die entstehenden Radiolyseprodukte sind sehr vielfältig und werden bei Kunststoffen hauptsächlich durch die zahlreichen Additive verursacht.

Aseptische Herstellung

Dr. K. Haberer, Compliance Advice and Services in Microbiology, referierte über die aseptische Herstellung von Arneimitteln. Das Europäische Arzneibuch schreibt eine Sterilisation vor, wenn diese durchführbar ist. Nach den CPMP Notes for Guidance ist eine Sterilisation im Endgefäß zu bevorzugen. Hitzelabiles Verpackungsmaterial muss kein Hindernisgrund sein. Nur wenn Sterilisationsverfahren nicht unter Erhaltung der Produktqualität anwendbar sind, darf statt dessen eine Herstellung aseptisch, möglichst inklusive Sterilfiltration, erfolgen.

Bei einer aseptischen Herstellung gibt es eine Reihe von kritischen Punkten, angefangen bei den Ausgangsstoffen über die Verarbeitung bis zum Abfüllen und Verschließen des Produkts. Die sehr große Zahl von Einzelschritten macht eine Validierung schwierig. Es müssen Worst-case-Bedingungen unter Berücksichtigung von Personal, Geräten und Arbeitsschritten simuliert werden. Unter diesen ungünstigen Bedingungen dürfen höchstens 0,1% von mindestens 3000 abgefüllten Einheiten unsteril sein. Zur Qualifizierung einer neuen Abfülleinrichtung sind drei aufeinanderfolgende Läufe erforderlich. Eine Requalifizierung muss halbjährlich erfolgen. Für die Abfüllung ist ein Reinraum der Klasse A notwendig.

Eine Validierung der aseptischen Herstellung bioabbaubarer Polymere bereitet besondere Probleme. Üblicherweise wird das zu prüfende Gut in Nährmedien gelegt, und der Nachweis von Bakterien erfolgt über eine Trübung. Durch diese Direktbeimpfung ist eine Sterilität nur an der Polymeroberfläche nachweisbar. Das Polymer kann auch nicht aufgelöst werden, da hierfür organische Lösungsmittel erforderlich sind, die die Bakterien abtöten. Allenfalls könnten so resistente Sporen nachgewiesen werden.

Gegen die aseptische Herstellung (statt Strahlensterilisation im Endbehältnis) sprechen der hohe Aufwand für die Produktionsanlagen, die Mitarbeiterschulung sowie die Validierung und Revalidierung. Allerdings erscheint eine Hinterfragung der streng formalen behördlichen Betrachtungsweise erlaubt und eine Überlegung angebracht, ob nicht durch eine Kombination von Keimreduktion und Reinraumtechnik unter streng kontrollierten Bedingungen ein Produkt mit sehr niedriger "bioburden" erzielt werden kann, für das eine geringere Strahlendosis zur sicheren Sterilisation im Endbehältnis ausreicht. In den USA ist diese Verfahrensweise heute weit verbreitet.

Enantiomerenreinheit

von Peptiden

Dr. M. Scharf, Asta Medica AG, hat über das Thema Prüfumfang und Anspruch an Peptidwirkstoffe referiert. Peptide können natürlichen oder synthetischen Ursprungs sein. Synthetisch können sie durch zwei Verfahren hergestellt werden. Beim Festphasen-Verfahren wird ein Träger aktiviert und an diesem das Peptid aufgebaut. Bei der Flüssigphasen-Technologie werden einzelne Aminosäureheteromere aufgebaut und diese dann miteinander verknüpft. Der Vorteil des letztgenannten Verfahrens liegt in einer besseren Kontrolle der Synthese.

Art und Umfang der Routinekontrolle eines synthetisch hergestellten Peptids hängen im wesentlichen von den folgenden Faktoren ab:

  • Eigenschaften des Peptides (Sequenz, intrinsische Eigenschaften, chemische und physikochemische Eigenschaften, verwendetes Gegenion, etc.),
  • Syntheseverfahren (Flüssigphase versus Festphase, Inprozesskontrollen während der Synthese, letzter qualitätsbestimmender Aufreinigungsschritt, Ergebnisse der Validierung des Syntheseverfahrens)
  • Ergebnisse der Studien, die zur Charakterisierung des Peptides im Entwicklungsstadium durchgeführt wurden,
  • Art und Umfang der Charakterisierung des primären Referenzstandards.

Die Identitätsprüfung muss spezifisch sein. Eine Untersuchung von ähnlichen Peptiden sollte möglich sein. Für die Routinekontrolle wird die Sequenzierung einer jeden Charge nicht für notwendig erachtet, wenn die strukturelle Identität z.B. mittels H-NMR, HPLC/MS im Vergleich zu einer etablierten Referenz ,z.B. mittels HPLC, DC, opt. Drehung, gesichert ist.

Besteht das Peptid aus einer oder mehreren d-Aminosäuren, so ist der Einbau des korrekten Enantiomers zu belegen. Eine alleinige Eingangsprüfung der Enantiomerenreinheit der bei der Synthese eingesetzten Aminosäuren reicht den Zulassungsbehörden nicht aus. Die Prüfung auf Reinheit muss eine sichere chargenbezogene Beurteilung erlauben. Bei der Festlegung der Zielrichtung und der Spezifikation der Reinheitsprüfung sind die in der Entwicklungsphase gewonnenen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Eine Identifizierung aller verwandten Verunreinigungen in einer Konzentration ab 0,1%, wie von den Zulassungsbehörden zum Teil gefordert, kann in der Praxis sehr schwierig sein. Als anorganische Verunreinigungen kommen Katalysatoren, i.d.R. Platin, Schwermetalle und anorganische Salze, z.B. das bei der Herstellung häufig verwendete Lithiumbromid, in Betracht.

Für ein synthetisch hergestelltes Produkt ist eine biologische Gehaltsbestimmung nicht notwendig. Da das Herstellungsverfahren exakt definiert ist, genügt eine Bestimmung gegen einen externen Referenzstandard.

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