Arzneimittel und Therapie

Proteinanalyse: Das Genom bleibt gleich, aber die Proteine verändern sich

Gesunde und kranke Gewebe unterscheiden sich unter anderem in ihrem Proteinmuster, dem so genannten Proteom. Mit diesem Begriff wird die Gesamtheit aller Proteine bezeichnet, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zelle vorhanden sind. Im Gegensatz zum Genom ist das Proteom keine statische Größe, sondern verändert sich laufend. Mit Hilfe von Analysen des Proteoms kann beispielsweise auf die Intensität oder das Fortschreiten von Krankheiten geschlossen werden; auch können die Wirkungsweisen von Arzneimitteln so besser untersucht werden.

Diese Proteine können zweidimensional aufgetrennt und mit Hilfe der Massenspektrometrie den jeweiligen einzelnen Genen zugeordnet werden. Es ist denkbar, mit einer solchen Analyse die auf einen Organismus ausgeübten biologischen, pharmazeutischen oder auch toxischen Einflüsse zu untersuchen und so beispielsweise Wirkmechanismus oder Effizienz von Medikamenten während bestimmter Krankheitsstadien zu beobachten.

3 Milliarden Basenpaare

Mit Hilfe der für die Genomforschung zur Verfügung stehenden Methodik kann heute die gesamte genetische Information von beliebigen Organismen entschlüsselt werden. Die rund 3 Milliarden Basenpaare des Menschen sollen im Rahmen des vor einigen Jahren begonnenen Humangenomprojektes voraussichtlich bis zum Jahr 2003 identifiziert sein.

Ein wichtiges Endziel dieser Arbeiten besteht darin, molekulare Ursachen von Krankheiten aufzudecken und die Ergebnisse zur Entwicklung neuer Therapiemethoden und Arzneimittel zu nutzen. Aus dem entschlüsselten Erbgut pathogener Mikroorganismen lassen sich beispielsweise wissenswerte Informationen über Infektionsvorgänge ablesen und damit Hinweise auf gezielte Therapieansätze oder neue wirkungsvolle Antibiotika zu deren Bekämpfung gewinnen.

Proteom – die Summe aller Proteine

Das Fachwort Proteom wurde 1994 in Anlehnung an die Bezeichnung Genom als Gesamtheit aller Gene eines bestimmten Organismus von den australischen Forschern Keith Williams und Marc Wilkins eingeführt. Der Begriff umschreibt die Summe aller Proteine, die durch das Genom ausgedrückt werden können. Allerdings benötigt kein Organismus jedes der möglichen Proteine gleichzeitig und in gleicher Konzentration, da der Bedarf an bestimmten Proteinen in einer Zelle an den jeweiligen Stoffwechsel oder Wachstumsstatus angepasst wird.

Während das für jeden Organismus konstante Genom bereits das komplette Programm für die notwendigen Angleichungen enthält und ist, stellt das Proteom eine Momentaufnahme aller exprimierten Proteine einer Zelle zu einem exakt definierten Zeitpunkt dar. Jeder Zeitpunkt vorher oder nachher wird damit durch ein anderes Proteom beschrieben, welches lediglich ähnlich, aber nicht identisch ist. Daher können im Prinzip jedem Genom unendlich viele Proteome zugeordnet werden.

Komplexe Analysen für eine Proteomkarte

Eine Proteomanalyse ist sehr komplex, da durchschnittlich in jeder menschlichen Zelle etwa 10000 Proteine (in Bakterien etwa 1000 bis 5000) in einem Konzentrationsbereich von jeweils 101 bis 106 Kopien auftreten. Erschwerend kommt hinzu, dass entweder ein einzelnes Gen zur Bildung mehrerer Proteine beitragen kann oder auch umgekehrt mehrere Gene auf die Produktion eines Proteins Einfluss nehmen. Dadurch müssten Tausende von Proteinen und ihre Konzentrationen ermittelt werden. Wissenschaftler haben innerhalb einer Proteomkarte etwa 500 der vermutlich insgesamt 1700 Polypeptide des die Bronchien infizierenden Bakteriums Haemophilus influenzae eingeordnet.

Inzwischen gewinnen Techniken an Bedeutung, die durch fortschreitende Automatisierung und die Erhöhung des Probendurchsatzes den erforderlichen Arbeitsund Kostenaufwand reduzieren. Neben den methodischen Werkzeugen der Proteintrennung und -identifizierung müssen aber auch Datenbanken zur Verfügung stehen, die vergleichende Auswertungen neu gewonnener mit bereits vorhandener Information gewährleisten.

Spezifische Muster je nach Zellaktivität

Derzeit ist die 2D-Gelelektrophorese die einzige Technik, die eine gleichzeitige Trennung von bis zu etwa 10 000 Proteinkomponenten in Form einer Proteinkarte ermöglicht. Die Proteine werden dazu auf Gelen einer Größe von etwa 20 mal 20 Zentimetern Breite und Länge zunächst aufgrund ihres isoelektrischen Punktes unabhängig von der Größe eines Proteins und danach in der zweiten Dimension aufgrund ihres Molekulargewichtes entsprechend ihrer Größe (SDS-PAGE) aufgetrennt.

Bei der isoelektrischen Fokussierung handelt es sich um eine Trennmethode, die darauf beruht, dass sich die Nettoladung eines Moleküls entsprechend des pH-Wertes der umgebenden Lösung ändert. Für jedes Protein gibt es einen charakteristischen pH-Wert (isoelektrischer Punkt, IEP), an dem sich seine negativen (z.B. COO-) und positiven (z.B. NH3+)-Ladungen ausgleichen und es daher keine Nettoladung aufweist.

Wird nun ein Proteingemisch auf ein Gel mit einem pH-Gradienten aufgetragen, wandert jedes Protein unter dem Einfluss des angelegten elektrischen Feldes in Richtung Anode oder Kathode bis zu der Stelle mit dem pH-Wert seines IEPs. Im zweiten Schritt wird das Gelstäbchen oder der Gelstreifen mit den auf diese Weise aufgetrennten Proteinen einer SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophoreses unterworfen, und zwar senkrecht zu der Richtung aus dem ersten Schritt. Das hinzugefügte anionische SDS (Natriumdodecylsulfat) bindet an die aufgetrennten Peptidketten. Die dadurch entstehenden negativ geladenen SDS-Proteinkomplexe bewegen sich, wiederum unter dem Einfluss eines elektrischen Felds, durch ein poröses Polyacrylamid-Gel.

Da die Wanderungsgeschwindigkeit mit zunehmender Größe der Proteine abnimmt, kann diese Technik zur Bestimmung der ungefähren molaren Masse einer Polypeptidkette verwendet werden. Die Proteine werden meist mit Hilfe einer Anfärbung im Gel als Flecken (spots) sichtbar gemacht. Oft wird auch eine radioaktive Markierung anstatt einer Färbung mit Coomassie Blue oder mit Silberreaktivfarbstoffen durchgeführt.

Zunächst identifiziert, dann quantifiziert

Nach der Trennung durch die 2D-Gelelektrophorese werden die aufgetrennten Proteine zunächst identifiziert und dann einem oder mehreren der für sie kodierenden Genen zugeordnet. Zu diesem Zweck werden die entstehenden Proteinspots mit dem umliegenden Gel ausgestochen, durch ein eiweißspaltendes Enzym wie Trypsin verdaut und so in Peptide gespalten. Das Enzym gehört zu den sequenzspezifischen Proteasen, welche Polypeptidketten stets an Stellen mit bestimmten Aminosäuren spalten. Dadurch entstehen Peptide definierter Länge, welche aus dem Gel herausgelöst und wiederum massenspektrometrisch analysiert werden können.

Mit Hilfe der heutigen Technologien ist es möglich, Proteine in Konzentrationen von 10–9 Milligramm pro Milliliter nachzuweisen. Eines der Hilfsmittel stellt die Matrix-assisted-Laser-desorption-Ionisation-Time-of-Flight Massenspektroskopie (MALDI-TOF) dar. Die zu analysierenden Peptide werden in eine geeignete Matrix eingebettet und durch einen kurzen Laserimpuls freigesetzt und ionisiert. Das in der Gasphase befindliche Ion wird durch eine angelegte Spannung beschleunigt und die Flugzeit bis zum Detektor gemessen.

Bei der Proteinanalyse wird auch die ESI-(electrospray ionization)-Massenspektrometrie (MS) eingesetzt. Dabei befindet sich die Probe in der flüssigen Phase. Unter Anlegen einer Hochspannung wird das Lösungsmittel kontinuierlich verdampft und die Probe ionisiert. Die Masse wird in diesem Fall nicht durch die Messung der Flugzeit, sondern aufgrund der Stärke der Ablenkung der Flugbahn der Ionen im elektrischen Feld bestimmt. Das Ergebnis beider Analysen ist ein Satz von Peptidmassen (mass fingerprint). Durch spezielle Verfahren können auch Teilsequenzen der Proteine bestimmt werden.

Identifizierung durch Vergleich

Diese Daten werden dann durch Datenbankvergleiche zur Protein- Identifizierung herangezogen. Dabei übersetzt eine spezielle Software jede in den entsprechenden Datenbanken verfügbare Gensequenz in eine Proteinsequenz und berechnet für jedes dieser "theoretischen" Proteine die Massen aller Peptide, die durch die Spaltung mit der verwendeten sequenzspezifischen Protease entstehen würden. Durch die Gegenüberstellung der kalkulierten Daten mit dem tatsächlich erhaltenen Peptidmuster lassen sich die meisten der Proteinflecken auf einem 2D-Gel einem Gen in der Datenbank zuordnen und identifizieren.

Jede Zelle des Menschen beinhaltet Gene für mehr als 100000 Proteine, deren Ausprägung sich je nach Zelltyp, Gewebeart und Alter unterscheiden. Die daraus resultierenden, unterschiedlichen Proteinmuster führen auch in den Gelen zu Flecken mit entsprechendem Verteilungs- und Größenmuster. Dabei können neue Proteine auftreten und andere verschwinden. Mittlerweile sind immer mehr DNA-Sequenzen, komplette Gene und schließlich ganze Genome in Datenbanken verfügbar, was eine Zuordnung zwischen Gen und Protein erleichtert.

Wirkungsmechanismen von Arzneimitteln werden verständlicher

Die Anwendungsmöglichkeiten der Proteom-Analyse gehen prinzipiell über die Identifizierung der Proteine hinaus. Ein Vergleich der Proteinmuster kann zur Aufklärung und Beschreibung von Differenzierung, Regulation, Stoff- und Reizleitung in den Zellen, Organen oder Organismen beitragen. Inzwischen wird deutlich, dass unter verschiedenen Bedingungen jeweils komplexe Reaktionskaskaden und -netzwerke vorliegen, deren Ingangsetzung sich auf die Bildung vieler verschiedener Proteine auswirkt. Außerdem weisen ähnliche Änderungen im Proteinmuster, die von zwei Substanzen hervorgerufen werden, auf eine vergleichbare Wirkungsweise dieser Proteine hin.

Eine gesteigerte Produktion von Proteinen unter bestimmten Bedingungen kann zur Aufklärung ihrer Funktion beitragen. Da sich beispielsweise infolge des unterschiedlichen Proteinmusters krankes von gesundem Gewebe unterscheidet, könnte mit Hilfe von Proteomanalysen auf die Intensität oder Fortschreiten von Krankheitsstadien geschlossen werden. Für Pharmazie und Medizin ließen sich Screening- und Monitoring-Verfahren ableiten, bei denen der Einfluss verschiedener Arznei- und Wirkstoffe wie Zytostatika, Allergene, Antikörper, Antibiotika oder Toxine auf direktem Weg in vivo getestet werden kann.

Denkbar ist auch, die für Medikamente zur Bekämpfung einer Krankheit notwendigen Höchst- oder Mindestmengen abzuschätzen oder den Wirkungsmechanismus von neu gefundenen Antibiotika auf pathogene Organismen besser vorherzusagen. Außerdem könnte durch die Charakterisierung von Stoffwechselwegen und beteiligten Schlüsselenzymen von Mikroorganismen zur Verbesserung von industriellen Fermentationsprozessen beigetragen werden.

Quelle: Roche Facetten Nr. 12

Gesunde und kranke Gewebe unterscheiden sich unter anderem in ihrem Proteinmuster, dem so genannten Proteom. Mit diesem Begriff wird die Gesamtheit aller Proteine bezeichnet, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zelle vorhanden sind. Im Gegensatz zum Genom ist das Proteom keine statische Größe, sondern verändert sich laufend. Mit Hilfe von Analysen des Proteoms kann beispielsweise auf die Intensität oder das Fortschreiten von Krankheiten geschlossen werden; auch können die Wirkungsweisen von Arzneimitteln so besser untersucht werden.

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