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Stange-Prozess: "Schweinereien" und Widersprüche

BIELEFELD (bra.) Im Strafverfahren gegen den Mindener Apotheker Günter Stange, dem die Bildung einer Apothekenkette (Verstoß gegen § 23 ApoG) zur Last gelegt wird, wurden am Montag dieser Woche als weitere Zeugen zwei Apothekerinnen und - mit besonderer Spannung erwartet - ein Rechtsanwalt vernommen, der für Stange und "seine" Apotheker tätig war. Dabei wurde deutlich, dass den Behörden, die für die Zulassung der von Stange initiierten Neugründungen zuständig waren, absichtsvoll wesentliche Teile der abgeschlossenen Vereinbarungen vorenthalten wurden. Ziel der Vertragskonstruktionen war, bei einem erwarteten (und offensichtlich von dieser Seite auch erwünschten) Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes schnell Zugriff auf eine größere Anzahl von Apotheken zu erhalten.

Besonders aufschlussreich war die Vernehmung des in der Branche einschlägig bekannten Rechtsanwaltes Detlef Kunath aus Wiesbaden, gegen den die Staatsanwaltschaft Bielefeld ebenfalls ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte – wegen Beihilfe im Zusammenhang mit den Delikten, die Stange zur Last gelegt werden. Das Ermittlungsverfahren wurde inzwischen gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Stange hatte Kunath von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden. Kunath gab sich als ein Anwalt zu erkennen, der schon in den achtziger Jahren – und damals noch gar nicht mit Blick auf Stange-Vertragskonzeptionen ausgearbeitet hat, die es ermöglichen sollten, zügig eine Apothekenkette zu etablieren, sobald das Fremd- und Mehrbesitzverbot zu Fall gebracht worden ist. Zu diesem Zweck habe er vorgeschlagen, ausländische Apotheker gegen dieses Verbot klagen zu lassen; es habe sich "aber nie einer gefunden", bedauerte Kunath.

Knackpunkte waren die Mietverträge

Hauptaufgabe seiner Tätigkeit für Stange sei gewesen, die vorzulegenden Mietverträge auf ihre Genehmigungsfähigkeit zu überprüfen. Die Einheitsmietverträge der Metro-Gruppe (dazu gehören auch die Real-Einkaufszentren) seien dafür ungeeignet gewesen. Er habe gewusst, dass Stange "im Sinne der Standortsicherung" mit Blick auf einen erwarteten Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes eine Vielzahl von Ladenlokalen angemietet habe. Dort sollten, solange das Fremd- und Mehrbesitzverbot bestand, eigenständige Apotheken etabliert werden - mit einer "Vertragsgestaltung, die nicht gegen Gesetze verstieß".

Fernziel sei, wie auch bei anderen, die Errichtung eines Filialsystems für Apotheken gewesen. Kunath erwähnte in diesem Zusammenhang die Pharmagroßhandlungen Schulze und Anzag. Vom Vorsitzenden Richter Schild befragt, wie Stange sich für den Fall des Falles den Zugriff habe sichern wollen, meinte Kunath, dies ergebe sich z. B. aus den kurzfristigen Mietverträgen. Ziel sei gewesen, bei einem Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes die Räume "selbst in Besitz zu nehmen und die Verträge neu zu gestalten".

Nach Kunaths Aussage hat er sein "Konzept", das er ursprünglich "für andere Mandanten" entwickelt habe, u. a. auch der Douglas-Holding angeboten. Es sei dort jedoch nicht umgesetzt worden, weil der Vorstandsvorsitzende Angst vor seinem eigenen Aufsichtsrat bekommen habe. Auf Vermittlung von Stange habe es mit gleicher Zielrichtung Gespräche mit zwei Vertretern der Anzag gegeben. Im Anschluss daran hat Kunath sein Konzept kurz vor Weihnachten 1994 in einem Brief an seine Gesprächspartner aus der Anzag festgehalten. Der Richter zitierte daraus wichtige Passagen. "Nach außen" sollten die Apotheker demnach selbstständig bleiben, die Apotheker sollten aber - wörtlich - "über die Vertragsdauer geknebelt" werden.

Auf die Frage des Richters, ob dies das "Konzept zur Standortsicherung" sei, antwortete Kunath mit einem klaren "Ja". Solange das Fremd- und Mehrbesitzverbot noch bestehe, sei jedoch während der Laufzeit der Verträge an eine Knebelung der Apotheker nicht gedacht worden. Ziel sei gewesen, am "Tag X" handeln zu können. Die Anzag sei aber aus den Planungen ausgestiegen. "Unterschrieben war nichts" – so Kunath. Die Strategie der Verteidigung Stanges zielte darauf ab, durch Befragen von Kunath deutlich zu machen, dass dieser sein "Konzept" keinesfalls gezielt oder im speziellen Auftrag von Stange entwickelt habe.

Auf die Frage, ob er sein Konzept der Anzag oder Stange "angedient" habe, antwortete Kunath: "Weder noch". Er habe nur seine Vertragsentwürfe aus den achtziger Jahren zur Kenntnis gebracht, habe zeigen wollen, welche Verträge möglich und welche nötig seien. Zentral sei dabei die Konstruktion der Mietverträge gewesen. Bei der Beantwortung von Fragen, wie er Stange über sein "Konzept" informiert habe, verwickelte sich Kunath in Widersprüche. Mal schien es, als habe er Stange voll über alle Aspekte seines Konzeptes informiert, mal nur im Zusammenhang mit Einzelfragen.

Deutlich wurde die enge Zusammenarbeit zwischen Kunath und Stange jedoch an konkreten Einzelpunkten. Stange erteilte Kunath zum Einstieg der Zusammenarbeit den Auftrag, die Schwierigkeiten bei der Erteilung der Betriebserlaubnis für eine Apotheke bei Hannover auszuräumen. Er, Kunath, habe sofort gesehen, welche Passagen in dem Mietvertrag, der zur Genehmigung vorgelegt worden war, geändert werden müssten. Kunath: "Innerhalb von vier Wochen war die Betriebserlaubnis da; das war der Auftakt".

Verträge für innen und außen

Mit seinen Empfehlungen war Kunath offensichtlich nicht zimperlich. Der Richter hielt ihm verschiedene Schriftstücke vor, in denen er empfahl, Verträge für das "Außenverhältnis" (zur Vorlage bei den Behörden) von jenen Vereinbarungen zu unterscheiden, die tatsächlich gelten sollten. So empfahl er z. B. in einem Fall, die Vertragsdauer des Mietvertrages pro forma zu verlängern, aber sich von der Apothekerin einen Optionsverzicht unterschreiben zu lassen, der "selbstverständlich" nicht der Genehmigungsbehörde vorgelegt werden solle.

In einem anderen Fall empfahl er einen offiziellen Vertrag, der langfristig und sonst "möglichst kurz und nichts sagend" sein solle, ergänzt durch ein Begleitschreiben, in dem für das Innenverhältnis klargestellt wird, dass keine der Parteien aus den offiziell vorgelegten Verträgen Ansprüche ableitet. So sei es dann auch gemacht worden. Kunath wörtlich: "Wenn die (die Genehmigungsbehörden; die Redaktion) ihr Papier haben wollen, dann sollen sie es haben. Das mag anwaltlicher Schweinkram gewesen sein, aber anders ging es nicht mehr" - zumal die Behörden nicht nur berechtigte Einwände, sondern auch "Peanuts" ins Feld geführt hätten. Einer der Anwälte von Stange kommentierte dies mit der Bemerkung, Kunath habe mit dem "anwaltlichen Schweinkram" wohl lauf "behördlichen Schweinkram" reagieren wollen.

Zeugin als "Maulwurf"?

Dem Trick mit dem Optionsverzicht stellte auch die erste Zeugin dar, die am letzten Montag vernommen wurde. Sie hatte sich bei Stange um eine Apotheke in einem Real-Einkaufszentrum in Neuss beworben. Den Tipp habe sie von einer Tante gehabt, die Mitglieder der Kammerversammlung in Nordrhein sei.

Zunächst lief offensichtlich alles nach dem nun schon bekannten Muster ab: Mietvertrag über Stanges Firma Medi-Center, Einrichtung und Ausstattung über Stanges Firma Duo-Med. Sie habe auch einen Zettel unterschrieben, in dem es um die Einschränkung ihres Optionsrechtes bezüglich der Verlängerung des Mietvertrages) gegangen sei. Eine Kopie habe sie davon nicht bekommen. Das habe sie auch nicht gestört. Es sei eine Absicherung für Herrn Stange gewesen. Sie habe ja letztlich selbst kein Geld investiert. "Das Geld hat er investiert".

Stanges Angebot sei in ihrem Fall darauf hinaus gelaufen, dass sie die Apotheke ganz ohne Eigenmittel hätte übernehmen können. Der Kaufpreis sollte in monatlichen Raten abgezahlt werden. Es habe die Zusage gegeben, dass sie sich zumindest entnehmen können, was man als Angestellter verdienen könne (80 000 DM). Sollte der Umsatz über 2,2 Mio. steigen, so könne sie zusätzlich 8 000 DM je 100 000 DM Mehrumsatz entnehmen. Sie sei von der Behörde nach Nebenabreden gefragt worden, habe diese jedoch wahrheitswidrig verneint.

Dass ihre eidesstattliche Versicherung nicht korrekt war, sei "allen klar" gewesen. Das daraus abzuleitende Verfahren ist nach § 153 a Strafprozessordnung eingestellt worden. Die Zeugin machte einen Rückzieher von ihrem Neugründungsvorhaben, nachdem ihre Tante, zurück vom Apothekertag 1995, ihr signalisiert hatte, sie solle ihre Pläne besser vergessen; sie werde die Betriebserlaubnis ohnehin nicht bekommen, weil ihr Projekt mit Stange zusammen hänge. Ob sie vermute, dass ihre Tante sie als Lockvogel eingesetzt haben könnte - fragte der Richter die Zeugin. Sie glaube es nicht, aber "wir sind uns nicht im Klaren darüber"" Es habe deshalb in der Familie Diskussionen gegeben.

Befragt von Stanges Rechtsanwälten, ob sie Kontakt zum nordrheinischen Kammerpräsidenten Mattenklotz gehabt habe, versicherte die Zeugin, nie mit ihm gesprochen zu haben. Darauf hielt ihr die Verteidigung einen Vermerk der zuständigen Amtsapothekerin vor, in dem diese einen Anruf des Kammerpräsidenten festhält. Die Antragstellerin, so habe Mattenklotz gesagt, sei in Wirklichkeit ein von der Apothekerkammer eingeschleuster Maulwurf, um Beweismaterial gegen Stange zu sammeln.

Die Amtsapothekerin verwies - völlig korrekt - darauf, dass sie den Antrag gesetzmäßig einwandfrei bearbeiten müsse. Mattenklotz möge sich an den Behördenleiter wenden. Solange der angeforderte Hauptmietvertrag noch nicht vorliege, könne man ohne Schaden den Antrag normal weiter bearbeiten. Durch die Bereitschaft von Stanges Firma Medi-Center, den Untermietvertrag mit der Zeugin (allerdings gegen eine Zahlung von 50 000 DM) aufzulösen, ergab sich für die Apothekerin die Gelegenheit, noch einen direkten Mietvertrag (mit dem Immobilienbesitzer) abzuschließen. Mit diesem Vertrag im Rücken habe die Zeugin durchaus eine wahrheitsgemäße eidesstattliche Versicherung abgeben können - so die Verteidigung Stanges in einer Spitze gegen die Staatsanwaltschaft. Das Angebot der Staatsanwaltschaft, ein wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung sonst fälliges Verfahren gegen die Zeugin nach § 53 a einzustellen und so die Zeugin als "Kronzeugin" zu gewinnen, komme ihm erschlichen vor - so der Verteidiger.

Oberstaatsanwalt Dannewald wies dies zurück. Am 6.9.1995 sei bei der Behörde bereits die eidesstattliche Versicheurng eingegangen. Der Auflösungsvertrag des Untermietvertrages mit Medi-Center datiere erst vom 7.9.1995. Die eidesstattliche Versicherung sei deshalb objektiv unwahr gewesen. Die Einstellung nach § 53 a sei demnach rechtlich völlig korrekt und nicht erschlichen. Im übrigen habe Stange in einem Brief an Kunath vom 8.9.1995 deutlich gemacht, dass die Auflösung des Vertrages mit Medi-Center nicht ernst gemeint sei, dass man sie also entsprechend auffangen müsse.

Im Strafverfahren gegen den Mindener Apotheker Günter Stange, dem die Bildung einer Apothekenkette zu Last gelegt wird, wurden am Montag dieser Woche als weitere Zeugen zwei Apothekerinnen und – mit besonderer Spannung erwartet – ein Rechtsanwalt vernommen, der für Stange und "seine" Apotheker tätig war. Dabei wurde deutlich, dass den Behörden, die für die Zulassung der von Stange initiierten Neugründungen zuständig waren, absichtsvoll wesentliche Teile der abgeschlossenen Vereinbarungen vorenthalten wurden. In unserem Kommentar befassen wir uns auch mit den Äußerungen von Stanges Anwalt, der selbst offen von anwaltlichem "Schweinkram" sprach.

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