Arzneimittel und Therapie

Infektionskrankheiten: Angriff auf die Grippeviren

Keine Krankheit meldet sich mit ähnlich konstanter Regelmäßigkeit von Jahr zu Jahr zurück wie die Grippe. Mit dem Beginn der kalten Jahreszeit haben Influenzaviren Hochkonjunktur. Die Folgen sind fatal: alleine für Deutschland rechnet man in jeder Grippesaison mit 10000 Todesfällen, weltweit sind es in typischen Grippejahren mehrere Hunderttausend. Und dies, obwohl seit langem ein Influenzaimpfstoff zur Verfügung steht und die Gesundheitsbehörden nicht müde werden, darauf hinzuweisen, wie wichtig die Grippeschutzimpfung ist. Neue Ergebnisse aus der Impfstoffforschung und der pharmakologischen Virologie könnten in der Zukunft helfen, den Influenzaviren Paroli zu bieten.

Ähnlich anderen Viren kann das Influenzavirus Eiweißstrukturen auf seiner Zelloberfläche so verändern, dass äußerst aggressive Mutanten entstehen, so genannte Serotypen mit hoher Virulenz. Bislang sind im wesentlichen zwei Prinzipien bekannt, durch die sich das "immunologische Gesicht " der Grippeviren wandeln kann: die Antigendrift und die Antigenshift. Bei der Antigendrift ändern sich Schlüsselmoleküle nach und nach in winzigen Schritten. So hat sich beispielsweise das gefährliche Hongkong-Grippevirus von 1968 im Laufe der Jahre so verändert, dass Menschen, die damals erkrankten und die Infektion überlebten, heute bei einem erneuten Kontakt mit dem Virus wieder erkranken würden.

Antigenshift: Austausch von Oberflächenantigenen

Bei der Antigenshift werden dagegen wichtige Oberflächenantigene en bloc ausgetauscht. Die Veränderung ist so gravierend, dass es sich aus dem Blickwinkel des Immunsystems um einen völlig neuen Krankheitserreger handelt. Ein derart neuer Virustyp entsteht durch die "Kreuzung " mehrerer Varianten, die zufällig gleichzeitig einen Organismus befallen haben. Dabei stammt das Virus aus einer Familie, die sie sich üblicherweise in Geflügel vermehrt und das andere aus einer Gruppe, die für eine Infektion des Menschen charakteristisch ist. Allerdings ist das Hausschwein für beide Virustypen gleichermaßen empfänglich, und kann so einen idealen Nährboden für die Entstehung einer neuen Virusrasse bilden. Da in Ostasien häufig Menschen, Geflügel und Schweine auf engstem Raum miteinander leben, wird verständlich, warum neue Influenza-Virustypen häufig ihren Ursprung im Fernen Osten haben.

Impfstoffe müssen angepasst werden

Die Influenzaviren sind also wahre Meister darin, ihre Oberflächenstruktur permanent zu ändern und dadurch die Abwehrkräfte des Körpers ins Leere laufen zu lassen. Mit jeder neuen Grippewelle wird dem Immunsystem ein neues Muster von Antigenen präsentiert. Die Antikörper, die bei früheren Kontakten mit Influenzaviren gebildet wurden, sind wirkungslos, und bis neue virusneutralisierende Antikörper gebildet werden, ist der Körper bereits mit Milliarden von Viruskopien überschwemmt. Die Impfstoffhersteller wissen das und versuchen, die für die zukünftige Grippeepidemie verantwortlichen Antigene vorauszuahnen und ihre Impfstoffe Jahr für Jahr dem er- warteten Virusmuster anzupassen. Überdies halten die Antikörper, die nach einer Schutzimpfung gebildet werden, für maximal eine Influenzasaison.

Schlüsselmolekül für universellen Impfstoff?

Da kommt die Entdeckung belgischer Forscher recht, die ein Molekül namens M2 auf der Oberfläche des Influenzavirus als Schlüsselmolekül für einen universellen Impfstoff erkannt haben. Im Vergleich zu den beiden großmolekularen, dominierenden Antigenen, dem Hämagglutinin und der Neuraminidase – die von Virusvariante zu Virusvariante unterschiedlich sind – ist M2 ein verhältnismäßig kleines Eiweiß aus 97 Aminosäuren, von denen 24 wie eine Art Antenne aus der Hülle des Virus herausschauen. Dieser extrazelluläre Teil von M2 ist bei allen Influenza-A-Viren konstant, er ist evolutionsbiologisch betrachtet ein konserviertes Relikt. Dies bedeutet, dass für das Immunsystem M2 bereits nach dem ersten Kontakt mit Influenza-A-Viren so bekannt ist, dass es nach einem stereotypen Muster wirkungsvoll reagieren kann. Da relativ kleine Proteine jedoch nicht als Impfstoff taugen, wandten die Forscher aus Ghent einen Kniff an, um die Immunogenität von M2 zu erhöhen: Sie fusionierten die genetische Information für M2 mit der des Hepatitis-B-Virus-Kernproteins. Dieses molekularbiologisch erzeugte Konstrukt lässt sich in Escherichia-coli-Bakterien einschleusen, die dann den potenziellen Impfstoff in großen Mengen synthetisieren. Werden Mäuse mit dem M2-Hepatitis-B-Hybrid-Molekül über die Atemwege immunisiert, so sind sie in 90 bis 100%der Fälle gegen spätere Influenzainfektionen geschützt. Allerdings beschränkt sich die Wirksamkeit dieser "Generalvakzine " ausschließlich auf Viren der Gruppe A, die nicht minder gefährlichen Influenza-B-Viren bleiben davon unberührt. Ob – und wann sich aus diesem Konzept ein Impfstoff für den Menschen entwickeln lässt, steht allerdings in den Sternen.

Quellen Scintific American 280, 78-87 (1999). Nature Medicine 5, 1157 –1163 (1999). Deutsches Ärzteblatt 95, C64 –C65 (1998).

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