Die Seite 3

In bemerkenswerter Offenheit haben führende Repräsentanten der neuen Bonner Regierungskoalition eingeräumt, daß in den ersten hundert Tagen der Regierung zwar manches anders, aber wenig richtig rund gelaufen ist. Es habe "handwerkliche Schwächen" gegeben, "wir hätten mehr überlegen müssen", so zum Beispiel Peter Struck, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Und: "Wir werden lernen, daß Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht". Wie wäre es, wenn die Koalition in der Gesundheitspolitik damit anfinge? Vorbessern ist besser als Nachbessern - könnte das die neue Devise sein?

Es sieht nicht danach aus. Bereits am 18./19. Februar wollen die Gesundheitspolitiker der Sozialdemokraten und der Grünen die Eckpunkte für eine große Strukturreform des Gesundheitswesens festzurren, die dann schon am 1.1.2000 in Kraft treten soll. Das kann nur schiefgehen - so wittern auch Leute, die es mit der Koalition gut meinen und etwas von der Sache verstehen. Die bayrische Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen warnt die Bonner Genossen zum Beispiel ausdrücklich vor zu großer Eile.

Was bis jetzt an gut gemeinten Absichten nach außen gedrungen ist, bestätigt die Befürchtungen. Drei Beispiele:

  • Globalbudget - aber wer entscheidet fair und sachgerecht über die Verteilung der Ressourcen? Nur die Krankenkassen, nur die Ärzte?
  • Positivliste - ohne oder doch mit Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen? Wer entscheidet auf welcher Grundlage nach welchen Kriterien mit welcher Verzögerung (bei Einführung von Innovationen)?
  • Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung - oder doch lieber (schon aus Kostengründen) "soviel ambulant wie möglich"? Vielleicht spart man bei einer Öffnung der Kliniken für die ambulante Versorgung in wenigen schweren Fällen einige Doppeluntersuchungen. Aber werden dann nicht die vielen leichteren Fälle viel zu aufwendig und teuer untersucht und behandelt - mit den erweiterten Möglichkeiten, die in der Klinik auf Auslastung warten?

    Die Widersprüche liegen auf der Hand. Wenig scheint wirklich durchdacht, auf Konsequenzen abgeklopft zu sein. Auch die neue Koalition pflegt die alten Lebenslügen und chronischen Vorurteile der Gesundheitspolitik (vgl. unseren Beitrag auf S. 20). Sie redet sich Handlungsbedarf ein, wo keiner (mehr) ist - z. B. bei den Arzneimitteln. Und sie handelt nicht, wo über Jahrzehnte überproportional und ohne ernsten Grund hingelangt wurde (z. B. bei den Verwaltungskosten der Krankenkassen).

    Rudolf Dreßler (SPD), der alte Fuchs, hat inzwischen erkannt, daß die gesetzlichen Krankenkassen "ein Einnahme-, kein Ausgabeproblem" haben. Aber andere in der SPD und bei den Grünen meinen weiter, was auch Romantiker in der CDU/CSU immer noch glauben: man könne per ordre de mufti bestimmen, daß ein Einnahmeproblem nicht existiert und die Beiträge stabil bleiben. Die Quadratur des Kreises sei möglich, heißt das mit anderen Worten: Eine noch größere Versorgungsqualität, natürlich keine Rationierung, dafür aber eine Senkung der Selbstbeteiligung und dauerhaft stabile Beiträge - und das alles bei Einnahmen, die aus strukturellen Gründen nicht mehr ausreichend wachsen können. Denn die GKV-Einnahmen sind an den Faktor Arbeit gebunden. Und der verliert durch die hohen Produktivitätsfortschritte in Deutschland immer mehr an Bedeutung.

    Darf man hoffen, daß die Koalition noch einmal hinschaut, nachdenkt, nachfragt; daß sie vorbessert, bevor sie erneut nachbessern muß?

    Klaus G. Brauer

  • Vorbessern

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