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Abschied ist angesagt. Abschied zwar nicht vom 2. Jahrtausend (das endet erst mit Ablauf des nächsten Jahres), aber von den Mille-Jahreszahlen. Abschied auch von einer "Gesundheitsreform 2000", die 1999 als Tiger gesprungen ist, aber nur noch als Bettvorleger landen wird. Abschied auch von gesundheitspolitischen Illusionen? Es wäre zu schön...

Man kann verstehen, dass es Frau Fischer schwerfällt. Blüm hat es nie geschafft, Seehofer erst sehr spät. Seine Forderung, es müsse mehr Geld ins System - ist das nicht ein Freibrief für Unwirtschaftlichkeiten? Eine höhere Selbstbeteiligung - ist das nicht unsozial? Höhere Beiträge - konterkariert das nicht die erstrebte Senkung der Lohnnebenkosten? Und überhaupt: Ist es nicht legitim, beim Stellenwert der "Gesundheit" - angesichts prinzipiell fast uferloser Ansprüche - in einer sozialen Krankenversicherung die Finanzmittel zu begrenzen?

Um mit dem letzten zu beginnen: ja, es ist legitim, es ist sogar unvermeidbar, hier Grenzen zu setzen. Jede Politik steht vor diesem Dilemma. Nicht legitim, ja geradezu unehrlich ist es allerdings, den GKV-Versicherten vorzugaukeln, dass jeder (wie sehr die Politik die Ausgabengrenze auch drücken mag) auf GKV-Ticket immer alles erhalten kann, was "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" (SGB V § 12) ist - von dem, was zusätzlich sinnvoll und wünschenswert wäre, einmal ganz abgesehen. Dazu reicht das Geld der GKV schon heute hinten und vorne nicht mehr. Denn die GKV-Einnahmen orientieren sich - immer noch - nur an den Einkommen aus Arbeit. Diese wachsen angesichts zunehmender Rationalisierung, hoher Arbeitslosigkeit und schrumpfender Lebensarbeitszeit nicht nur weniger stark als der gesamtgesellschaftliche Wohlstand. Sie nehmen auch weniger stark zu als die Behandlungsmöglichkeiten. Und: die Menschen werden älter und sind länger nicht mehr ganz gesund, müssen also länger behandelt werden, bevor sie (i. d. R. nach schwerer Krankheit) irgendwann dann doch das Zeitliche segnet.

Eine Situation ohne Ausweg, ohne gesundheitspolitische Alternative? Nein. Erstens: Man könnte cool die Beitragssätze steigen lassen oder die Beiträge nicht mehr nur auf Löhne und Gehälter, sondern auch auf andere Einkunftsarten beziehen. Das trifft alle. Den meisten wird dies, in der Angst vor Krankheit, lieber sein als verschleierte Rationierung, offene Zwei-Klassen-Medizin, versteckte suboptimale Versorgung - kurz: lieber als das, was heute Alltag ist. Der Effekt von Beitragssatzerhöhungen auf die Lohnnebenkosten und der Lohnnebenkosten auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit wurden in der Regel maßlos überschätzt (DAZ 1999, Nr. 6, S. 20ff.). Er ließe sich praktisch auf Null bringen, wenn man die Arbeitgeberbeiträge abkoppeln oder z.B. an die Nettolohn-Entwicklung koppeln würde.

Zweitens: Man könnte die Selbstbeteiligung auf mehr Leistungen beziehen und/oder erhöhen. Das trifft nur die Kranken - ist aber nicht so unsozial, wie es vielen scheint. Denn durch die schon lange vorhandenen Sozialklauseln trifft es eigentlich nur die wirtschaftlich starken Kranken. Drittens: Man könnte Abschied nehmen von der Fiktion, alles was ausreichend, zweckmäßig, sinnvoll, wünschenswert ist, müsse auch solidarisch (unterschiedliche Beiträge, gleiche Leistungsansprüche) finanziert werden. Eine obligatorische solidarische Basisabsicherung für die großen Risiken könnte durch Wahlleistungen nach dem Versicherungsprinzip ergänzt werden (mit beitrags- und evtl. risikoorientierten Leistungsansprüchen).

Zuviel der Zumutungen? Zuviel der Freiheit? Das DAZ-Team und der Deutsche Apotheker Verlag wünschen Ihnen einen guten Rutsch, keine "Jahr-2000-Probleme" und alles Gute im neuen Jahr. Schon heute verspreche ich Ihnen: auf die erste DAZ und die erste AZ im neuen Jahr dürfen Sie gespannt sein.

Klaus G. Brauer

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