Arzneimittel und Therapie

Multiple Sklerose: Die Suche nach dem schuldigen Erreger

Die Multiple Sklerose (MS), eine Erkrankung des Zentralen Nervensystems mit zahlreichen neurologischen Ausfallerscheinungen, gilt als Autoimmunerkrankung. Sie wird vor allem durch T-Lymphozyten vermittelt, die in das zentrale Nervensystem eindringen. Der Auslöser dieser Krankheit ist jedoch unbekannt, beteiligt sind unter anderem erbliche Faktoren und bisher noch nicht genau definierte Umwelteinflüsse, beispielsweise Infektionen.

Infektionen scheinen zumindest in der Frühphase der MS eine wichtige Rolle zu spielen. Diese Vermutung wird durch zwei Beobachtungen gestützt: Die Erkrankung tritt mit zunehmendem Abstand vom Äquator häufiger auf, die Menschen in nördlichen Ländern sind stärker betroffen als die südliche Bevölkerung. Außerdem gibt es MS-"Epidemien" in Gegenden, beispielsweise auf den Färöer-Inseln, in denen diese Krankheit früher unbekannt war.

Anscheinend muss die unbekannte Infektion im Kindesalter auftreten, denn Auswanderer, die ihr Heimatland in einem Alter von mehr als 15 Jahren verlassen, behalten das Erkrankungsrisiko ihres Heimatlandes. Als schuldige Keime wurden die unterschiedlichsten viralen und bakteriellen Erreger untersucht - ohne Ergebnis. Jetzt gibt es einen neuen Kandidaten: Chlamydia pneumoniae.

Chlamydia pneumoniae

Chlamydia pneumoniae ist ein erst in den 80er Jahren entdeckter bakterieller Erreger, der sich in menschlichen Zellen vermehrt und eine Reihe von Atemwegsinfektionen auslösen kann. Antikörper gegen Chlamydia pneumoniae finden sich bei mehr als 50% aller Erwachsenen in Deutschland. In die Diskussion geraten ist der Keim vor allem wegen seiner Rolle in der Pathogenese der Atherosklerose. Nun wird seine Beteiligung auch bei Autoimmunerkrankungen wie dem Reiter-Syndrom und der Sarkoidose diskutiert.

Fallbericht stützt die These

Anfang 1998 erschien in einer renommierten neurologischen Fachzeitschrift ein Bericht über einen 24-jährigen Patienten mit sehr schwer und rasch verlaufender MS, bei dem im Liquor cerebrospinalis (Nervenwasser) mittels verschiedener Methoden Chlamydia pneumoniae nachgewiesen werden konnte und der sich nach zuvor erfolglosen Behandlungen auf eine antibiotische Therapie hin verbesserte. Dieselbe Arbeitsgruppe um den Neuroimmunologen Sriram aus Nashville, Tennessee, publizierte im Sommer 1999 Ergebnisse einer Untersuchung von 37 MS-Patienten. Dabei konnte bei 97% der Patienten Chlamydia pneumoniae im Liquor nachgewiesen werden.

Seit Frühjahr 1998 beschäftigt sich eine Heidelberger Arbeitsgruppe mit dem Nachweis von Chlamydia pneumoniae bei Patienten mit MS. Hier konnte bei rund 20% der Patienten Chlamydia pneumoniae nachgewiesen werden. Serologische Untersuchungsergebnisse unterstützten diese Ergebnisse jedoch nicht. Die unterschiedlichen Ergebnisse könnten auf unterschiedlich empfindliche Untersuchungsmethoden zurückzuführen sein. Einen Nachweis für eine Beteiligung von Chlamydia pneumoniae an der Pathogenese der MS gibt es zur Zeit noch nicht, es besteht lediglich ein begründeter Anfangsverdacht. Weitere Untersuchungen sind deshalb dringend erforderlich.

Quelle Priv.-Doz. Dr. med. Armin J. Grau, Neurologische Klinik, Universität Heidelberg; Fachpressegespräch "Antibiotische Therapie auf dem Weg in das neue Jahrtausend", Feldkirchen bei München, 26. November 1999, unterstützt von Hoechst Marion Roussel, Bad Soden.

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