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Neue Wege zur Migränetherapie in Schleswig-Holstein

DAMP (tmb). Es sollte ein Vortrag über die Kosten von Kopfschmerzerkrankungen werden, doch entstand daraus eine Absichtserklärung über ein gemeinsames Projekt der AOK und der Apothekerkammer Schleswig-Holstein zur pharmazeutischen Betreuung: Peter Buschmann, Vorstandsvorsitzender der AOK des nördlichsten Bundeslandes, referierte am 14. November während der schleswig-holsteinischen Kammerfortbildung in Damp (siehe hierzu auch den Bericht auf Seite 63 ff.). Dabei präsentierte er Daten zur Kostensituation und lobte die erfolgreiche Arbeit der Schmerzklinik Kiel.

Buschmann bezeichnete die derzeitige Situation des Gesundheitswesens als chaotisch und durch den permanenten Abbau von Vertrauen gekennzeichnet. Die Regelungen des Systems könne niemand mehr verstehen. Im Gesundheitsausschuss prallten Ideologien aufeinander, es würden nur noch Entscheidungen getroffen, doch gebe es kein Miteinander mehr.

Statt dieser Konfrontation brauche das System "frische Luft". So sei es durchaus möglich, den Aufwand zu mindern und dabei gleichzeitig die Leistung zu verbessern. Ein Beispiel hierfür biete die Schmerzklinik in Kiel unter Leitung von Prof. Dr. Hartmut Göbel, ein Gemeinschaftsprojekt der AOK Schleswig-Holstein und der Universität Kiel. Dies erlaube eine gezielte und erfolgreiche Therapie von Schmerzpatienten bei einem Tagesbettenpreis von 280 DM im Vergleich zu 590 DM in der Universitätsklinik. Für die medizinischen Erfolge spreche die hohe nationale und internationale Anerkennung dieser Institution.

Nach Einschätzung von Buschmann sei ein solches Projekt einmalig in der Welt. Doch seien die therapeutischen und ökonomischen Erfolge schwer zu erreichen gewesen. So habe das Projekt gegen den Widerstand der Sozialministerin durchgesetzt werden müssen. Demnach erforderten positive Veränderungen Druck auf die Politik. Hierzu gelte es, selbst aktiv konstruktive Vorschläge einzubringen und zu verfolgen.

Hohe Kosten durch Kopfschmerzen

Zur Geschichte des Projektes erinnerte Buschmann an die Ausgangssituation im Jahr 1995. Damals sei aus amerikanischen Studien bekannt gewesen, dass Schmerzerkrankungen hohe Kosten verursachen, doch fehlten Daten für Deutschland. Diese sollten in einem Modellprojekt der AOK Schleswig-Holstein, der Howaldtswerke Deutsche Werft AG Kiel (HDW), der Universität Kiel und der Firma Glaxo Wellcome ermittelt werden. Dabei wurde 1996 und 1997 an etwa 2000 HDW-Mitarbeitern Kopfschmerzen als häufigster Grund für Arbeitsunfähigkeit identifiziert. 17 % der Beschäftigten gaben Kopfschmerzen als Problem an. Zumeist führte dies an 60 bis 90 Tagen im Jahr zu verminderter Leistungsfähigkeit. Hieraus ergaben sich pro Jahr Kosten durch Arbeitsausfälle von 10800 DM pro Versichertem und von 3,2 Mio. DM für den gesamten Betrieb der HDW.

Weitere Daten unterstreichen die große ökonomische Bedeutung der Indikation: So wendete die AOK Schleswig-Holstein vom 3. Quartal 1998 bis zum 2. Quartal 1999, d. h. in einem Kalenderjahr, über 31 Mio. DM für Analgetika im weiteren Sinne auf. Migränemittel, Spasmolytika und Antiphlogistika machten davon 13 % aus. Der größte Teil entfiel auf Analgetika/Antirheumatika, von denen kostenbezogen 58 % Opioide waren. Im Jahr 1995 wurden 16614 schleswig-holsteinische AOK-Versicherte erstmals wegen einer Schmerzerkrankung stationär behandelt. Dabei betrugen ihre mittlere Krankenhausverweildauer 14,3 Tage und die durchschnittlichen stationären Behandlungskosten 6911 DM. Bei Rückenschmerzen betrugen die durchschnittliche Verweildauer 17,9 Tage und die Kosten 7629 DM.

Sehr uneinheitlich ist die Situation bei den Kopfschmerzerkrankungen. Die höchsten Kosten verursachten die Spannungskopfschmerzen mit durchschnittlich 14908 DM pro Fall, da hier besonders lange Behandlungen erforderlich sind. Die durchschnittlichen stationären Kosten betrugen bei einem einfachen Migränefall dagegen "nur" 4136 DM. Für die stationäre Behandlung chronischer Kopfschmerzerkrankungen wendete die AOK Schleswig-Holstein 1995 insgesamt etwa 23,2 Mio. DM auf. Hinzu kommen die Kosten für die ambulante Versorgung und die hohen Kosten der Arbeitgeber durch Arbeitsausfallzeiten. So erweisen sich die Kopfschmerzerkrankungen als sehr kostenintensive Indikation.

Verbesserungen sind möglich

Doch zeigte das Modellprojekt in Schleswig-Holstein auch Perspektiven für die Besserung der medizinischen und ökonomischen Situation. So bietet die Schmerzklinik in Kiel nicht nur eine medizinisch gezielte und kostengünstige Versorgung stationärer Schmerzpatienten. Vielmehr wurde im Rahmen des Modellprojektes auch ein Verhaltensplan für die Kopfschmerzpatienten unter den HDW-Beschäftigten entwickelt. Durch die verschiedensten Maßnahmen innerhalb des Projektes seien die Lohnnebenkosten für die HDW um 25%, d.h. 750000 DM, zurückgegangen.

Investitionen brauchen Zeit

Doch warnte Buschmann vor allzu hohen Erwartungen in schnelle Kosteneinsparungen durch Modellprojekte. Bis sich die Investition in ein solches Projekt auszahle, sei Geduld erforderlich. Im Gegensatz zur Erwartungshaltung im Gesundheitswesen sei es in der Industrie vollkommen normal, dass auf den Erfolg einer Investition gewartet werden müsse. Neben der ökonomischen Betrachtung habe die Krankenkasse außerdem eine ethische Funktion. Nach Ansicht von Buschmann sei es Aufgabe einer Krankenkasse, zum Anwalt der Patient zu werden, doch sei dies bisher noch nicht gegeben. Dafür müsse gegen den "Muff des öffentlichen Dienstes" angegangen werden, der immerhin seit 130 Jahren wehe.

Während der Veranstaltung in Damp zeigte sich Buschmann auch offen für die Idee der pharmazeutischen Betreuung. Daher wurden Gespräche zwischen der AOK und der Apothekerkammer Schleswig-Holstein verabredet, um ein gemeinsames Projekt zur Senkung von Behandlungskosten mit Hilfe der pharmazeutischen Betreuung zu entwickeln.

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