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Vorsicht bei Johanniskraut – Wechselwirkungen mit Digoxin! (DAZ-Interview)

BERLIN (diz). Johanniskraut scheint nicht so harmlos zu sein, wie es von manchen angesehen wird. Eine von der Firma Lichtwer in Auftrag gegebene und von Prof. Dr. Ivar Roots, Institut für Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Charité der Humboldt-Universität Berlin, durchgeführte Studie zeigt, dass die Pharmakokinetik von Digoxin, aber auch von Phenprocoumon, Cyclosporin und Amitriptylin nach Einnahme von Johanniskrautextrakt verändert wird. Das Phytopharmakon reduzierte beispielsweise die Konzentration von Digoxin im Blut um ein Viertel.

Diese Ergebnisse trug der Pharmakologe zum Teil bereits auf dem Deutschen Kongress für Klinische Pharmakologie im Juni dieses Jahres vor. Veröffentlicht wurde die Studie im Oktoberheft von Clinical Pharmacology & Therapeutics. Wir berichteten hierüber in DAZ Nr. 47, S. 10. Unter der Überschrift "Vorsicht: Natur!" befasst sich "Die Woche" in ihrer Ausgabe vom 3. Dezember mit dem "Millionenseller" Johanniskraut und seinen Wechselwirkungen. Wir fragten bei Professor Roots nach, wie die Ergebnisse zu bewerten sind und ob Konsequenzen hieraus gezogen werden sollten.

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Herr Professor Roots, Sie haben festgestellt, Johanniskrautextrakt kann den Blutspiegel anderer Arzneimittel wie z.B. Phenprocoumon, Digoxin und Amitriptylin beeinflussen. Sind diese Wechselwirkungen klinisch relevant? Liegen Ihnen zu diesen Befunden auch Meldungen über klinische Zwischenfälle vor?

Roots:

Solche Meldungen sind bisher nur in einem sehr begrenzten Ausmaß eingegangen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein wesentlicher Grund dafür ist, dass man einen solchen Zusammenhang primär nicht erwartet und für derartige Beobachtungen gar nicht offen ist. Jedoch muss man auf eines hinweisen: Bezüglich Phenprocoumon sind in der Tat Spontanberichte eingegangen, die zeigten, dass unter der Behandlung mit Johanniskrautextrakt die Wirkung dieses Arzneistoffs offensichtlich herabgesetzt war, so dass dann im Einzelfall tatsächlich eine Thrombose oder Embolie eingetreten ist.

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Wie viele Spontanberichte hierzu gibt es derzeit?

Roots:

Nach meiner Kenntnis gibt es nur wenige Berichte. Dennoch, man muss jeden einzelnen Fall betrachten und ihm nachgehen.

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Liegen Erkenntnisse vor, bei welcher Dosierung von Johanniskrautextrakt diese Zwischenfälle festgestellt worden sind?

Roots:

Eine Dosisabhängigkeit bei Johanniskrautextrakt ist in mehrfacher Hinsicht schwierig. Zunächst müsste man dazu umfangreiche experimentelle Studien durchführen und dann muss man natürlich immer davon ausgehen, dass die einzelnen Johanniskrautextrakte verschiedener Firmen selbstverständlich sehr unterschiedlich sind sowohl in der Gesamtdosierung, aber auch in der qualitativen Zusammensetzung des Extraktes.

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Gibt es schon Hinweise auf den Mechanismus dieser Wechselwirkungen, wie könnte man sich das vorstellen?

Roots:

Grundsätzlich kann ich mir zwei Wirkmechanismen denken. Ein Mechanismus wäre, dass es zu einer Enzyminduktion, d.h. zu einer vermehrten Aktivität von arzneimittelabbauenden Enzymen kommt, insbesondere von Cytochrom P450 Isoenzymen. Anhaltspunkte hierfür liegen vor. Möglicherweise reicht diese Erklärung aber nicht aus. Ein weiterer Mechanismus, der viele Phänomene erklären könnte, wäre eine Stimulierung der Aktivität von P-Glykoprotein. Bei P-Glykoprotein handelt es sich um ein so genanntes Transportprotein, das an verschiedenen Grenzflächen im Körper vorhanden ist, so z.B. in sehr hoher Aktivität auch in der Dünndarmmukosa. Dieses Protein sorgt für einen Auswärtstransport, d.h. für den Transport eines Fremdstoffes, der sich in der Mukosazelle befindet, zurück in das Darmlumen. Es ist so zu sagen ein Transportprotein, das Entgiftungsreaktionen des Körpers unterstützt.

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Angesichts der Vielzahl an Präparaten, die auf dem Markt sind: Wie beurteilen Sie die Sicherheit von Präparaten mit Johanniskrautextrakt im Vergleich zu den synthetischen Antidepressiva. Lässt sich heute schon abschätzen, ob von diesen Phytopharmaka heute tatsächlich ein großes Risiko ausgeht oder ist es eher gering einzuschätzen?

Roots:

Diese Einschätzung kann man heute meines Erachtens noch nicht abschließend vornehmen. Die eine oder andere Firma hat ja bereits im Beipackzettel ihres Präparats erwähnt, dass eine deutliche Herabsetzung der Cyclosporin-A-Konzentration im Blut unter Einnahme von Johanniskrautextrakt eintreten kann. Ich glaube, das gesamte Gebiet muss noch weiter erforscht werden, um eine solche Einschätzung verbindlich vornehmen zu können. Grundsätzlich würde ich aber doch sagen, dass eine Gefahr, die erkannt ist, dann auch dazu führt, dass sie erheblich eingeschränkt werden kann.

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Bisher haben manche Ärzte Johanniskrautpräparate als phytotherapeutisches Adjuvans in der antidepressiven Therapie verordnet, z.T. auch zusammen mit Antidepressiva. Muss man hiervon in Zukunft abraten?

Roots:

Nein, das würde ich zunächst nicht sagen. Also wenn man Johanniskrautextrakt zu einer Medikation mit trizyklischen Antidepressiva hinzugibt, dann sehe ich primär erst mal keine Gefahr. Ich würde zunächst davon ausgehen, dass die antidepressive Wirkung des Johanniskrautextraktes möglicherweise die verminderte Aktivität der trizyklischen Antidepressiva zu kompensieren vermag. Die Überlegungen gelten aber nur für Fälle mit relativ leichter depressiver Symptomatik.

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Welche Konsequenzen sollte man ihrer Ansicht nach zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus den vorliegenden Hinweisen zu Johanniskraut ziehen?

Roots:

Man sollte sehr schnell nachsehen, welche weiteren wichtigen Pharmaka ebenfalls vermindert systemisch verfügbar sind nach Einnahme von Johanniskrautextrakt. Das halte ich für eine sehr wichtige Aufgabe. Genauso wichtig wäre es, die verschiedenen Johanniskrautextrakte zu prüfen, ob sie überhaupt diesen Einfluss haben. Der Stoff oder die Stoffgruppe, die für diesen Effekt verantwortlich ist, ist bisher noch nicht identifiziert. Das gilt sowohl für die Wirkung - da wird sehr viel spekuliert -, das gilt aber auch für die Arzneimittelwechselwirkung. Was daran letztlich stofflich dahinter steckt, ist noch nicht definiert.

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Man kann also heute nicht sagen, ob Hypericin oder Hyperforin schuld daran hat?

Roots:

Nein, es könnten z.B. auch Flavonoide sein.

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Halten Sie weitergehende gesetzgeberische Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt für notwendig? Sollte an eine Statusänderung dieser Präparate gedacht werden, weg von der Freiverkäuflichkeit?

Roots:

Diese Interaktionen sind schon ernst zu nehmen. Man sollte es dem Patienten nicht selbst überlassen, welche Medikamente er zusammen mit Johanniskrautpräparaten einnimmt, die dann unter Umständen in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden könnten. Ich glaube, dass man die Apothekenpflicht schon in Erwägung ziehen muss. Zumindest sollte aber jeder Hersteller im Beipackzettel seines Produkts die Gefahren einer Interaktion klar benennen.

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Herr Professor Roots, vielen Dank für dieses Gespräch!

Johanniskraut scheint nicht so harmlos zu sein, wie es von man-chen angesehen wird. Eine von Prof. Dr. Ivar Roots, Charite, durchgeführte Studie zeigt, dass die Pharmakokinetik von Digoxin nach Einnahme von Johanniskrautextrakt verändert wird. Wir fragten bei Professor Roots nach, wie die Ergebnisse zu bewerten sind und ob Konsequenzen hieraus gezogen werden sollten.

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