Feuilleton

Der Mäusedorn – eine Goethe-Pflanze

Zu seinem 250. Geburtstag rückte auch der Naturforscher und Botaniker Goethe in den Vordergrund. "Goethe und die Pflanzenwelt" nannte sich eine sehr schöne Ausstellung des Palmenhauses Frankfurt. Dort wurde unter anderem das Herbarblatt des Mäusedorns - Ruscus aculeatus L. - aus Goethes recht umfangreichem Herbarium ausgestellt.

Goethes Lieblingspflanzen

Den Enzian, die Trompetenwinde, das Brutblatt, den Wacholder und die Herkulesstaude kann man Goethepflanzen nennen, auch Palmen faszinierten den Italienreisenden. Nicht zu Unrecht denkt man bei Goethe an Ginkgo, da er seiner Freundin Marianne von Willemer das Gedicht "Ginkgo biloba" widmete. Obwohl für Goethe selbst diese Pflanze nicht so bedeutend war - in seinen Schriften zur Pflanzenwelt taucht sie nicht auf-, verhalf dieses Gedicht dem Ginkgo zu einiger Bekanntheit.

Der Mäusedorn taucht in den Schriften Goethes dreimal auf: In "Die Metamorphose der Pflanzen", Goethes botanischem Hauptwerk, findet sich in KapitelX. "Von den Früchten", Folgendes: "Bei dem Ruscus ist die Art, wie Blüten und Früchte auf den Blättern aufsitzen, noch merkwürdiger." Bei diesen "Blättern" handelt es sich allerdings um Seitensprosse (Phyllokladien), die die Funktion der fehlenden Blätter übernehmen.

Metamorphose

Goethe schrieb: "Alle Gestalten ähneln einander und doch ist keine der anderen gleich. Dies deutet auf ein Gesetz, das alle verbindet." Sein berühmtester botanischer Satz lautet: "Alles ist Blatt." Die Metamorphose beschreibt also die Formgesetze der Variationen des Prototyps "Blatt": Laubblatt, Blütenblatt, Fruchtblatt.

Auch die Wurzel ist für Goethe ein "Blatt", aber ein weniger interessantes. Er schrieb über die Wurzel: "Sie ging mich eigentlich gar nichts an, denn was habe ich mit einer Gestaltung zu tun, die sich in Fäden, Strängen, Bollen und Knollen, und, bei solcher Beschränkung, sich nur in unerfreulichem Wechsel allenfalls darzustellen vermag, wo unendliche Varietäten zur Erscheinung kommen, niemals aber eine Steigerung; und diese ist es allein, die mich auf meinem Gange, nach meinem Beruf an sich ziehen, festhalten und mit sich fortreißen konnten."

Heilkraft der Pflanzen

Wenn es aber um Medizinisches ging, wusste Goethe auch manche Wurzel zu schätzen: "Es spielte der Enzian eine große Rolle, und es war eine angenehme Bemühung dieses reiche Geschlecht nach seinen unterschiedlichen Gestalten als Pflanze und Blüte, vorzüglich aber als heilsame Wurzel zu betrachten." Dass der Ruscus-Wurzelstock vier bis sechs Prozent Steroidsaponine enthält, deren Hydrolyseprodukte Ruscogenin und Neoruscogenin durch antiexsudative und venentonisierende Effekte vor Ödemen schützen, konnte Goethe nicht wissen.

Doch kannte er die Heilkraft anderer Pflanzen. Immerhin war es ein Apotheker, der Hofmedicus Wilhelm Heinrich Sebastian Bucholz (1734- 1798), der ihn am Anfang seiner botanisch-naturwissenschaftlichen Studien unterstützte und beriet. Wie wir aus Goethes "Der Verfasser teilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit" (1831) wissen, lernte er auch durch die Familie Dietrich aus Ziegenhain bei Jena, die über Generationen als Laboranten und Pflanzensammler für Apotheken, Kräuterhändler und die Universität tätig war, die Pflanzenwelt kennen.

Friedrich Gottlieb Dietrich begleitete Goethe 1785 auf einer Reise nach Karlsbad, trug während der Fahrt Pflanzen zusammen und reichte sie Goethe in den fahrenden Wagen, nicht ohne ihren nach Linnéscher Nomenklatur richtigen Namen aufzusagen und anderes Wissenswerte mitzuteilen.

Medizin im Widerstreit

In Anbetracht des sicher vorhandenen medizinischen Wissens - schon zu Studienzeiten in Leipzig und Straßburg konnte man den Eindruck gewinnen, Goethe interessiere sich mehr für Medizin als Jura, sein eingeschriebenes Fach - überrascht es, wie wenig er darüber schrieb. Das mag damit zusammenhängen, dass sich die Medizin der Goethe-Zeit in einem Umbruch befand. Es war eine Zeit der Mode-Therapien und neuer Denkansätze. Die seit Jahrhunderten gültige Humoralpathologie war überholt.

Der schottische Arzt John Brown erklärte Krankheiten über die Erregbarkeit: sthenische Krankheiten als Folge von Reizüberflutung und asthenische Krankheiten als Reizmangelerscheinungen. Hahnemann entwickelte die Homöopathie, Mesmer die Magnettherapie. Es wurde gestritten, ob Organismen eine Lebenskraft innewohnt oder ob sie wie Maschinen funktionieren.

Vielleicht aufgrund dieser Konfusion beschäftigte sich Goethe lieber mit Chemie, Botanik und anderen Naturwissenschaften. Übrigens kannte der Wanderer, Spaziergänger und Schlittschuhfahrer Goethe die Heilkraft von Bewegung und Sport, deren Mangel heute eine der Ursachen von Venenerkrankungen ist.

Literatur Schneckenburger, S.: In tausend Formen magst du dich verstecken - Goethe und die Pflanzenwelt. Palmenhaus Frankfurt, Sonderheft 29, 1999. Goethe und die Welt der Pflanzen. Ausstellungskatalog, Düsseldorf 1999. Der Spiegel Nr.33/1999. Unterhalt, B.: Goethe und die Pharmazie. Dtsch. Apoth. Ztg. 139, 3367-3372 (1999).

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