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Sorge um das Gesundheitswesen – Ministerpräsident muntert auf (5. Thürin

WEIMAR (tmb). Prominentester Redner bei der Eröffnung des 5. Thüringer Apothekertages am 20. November war der Ministerpräsident des Landes Dr. Bernhard Vogel, CDU. Als Tagungsort des alle zwei Jahre stattfindenden Apothekertages hatten Kammer und Verband in diesem Jahr Weimar, die Kulturstadt Europas 1999, gewählt. Die zweitägige Veranstaltung, die unter dem Motto "Apotheke und Gesellschaft" stand, besuchten etwa 200 Apothekerinnen und Apotheker. Inhaltliche Schwerpunkte bildeten gleichermaßen die aktuellen Reformvorschläge für das Gesundheitswesen und die langfristigen Perspektiven zur Entwicklung des Berufsstandes.

Angesichts des Tagungsortes Weimar verwies der Ministerpräsident auf eine Äußerung Goethes, nach der die Apotheker eine sehr geachtete Stellung in der Gesellschaft einnehmen. Dies solle nach den Wünschen Vogels auch in Zukunft gelten. Ähnlich "apothekerfreundlich" waren auch seine Kommentare zu den aktuellen Reformvorhaben für das Gesundheitswesen.

Vogel bezeichnete das deutsche Gesundheitssystem als eines der besten der Welt, Probleme gebe es nur bei der Verstetigung dieser Qualität vor dem Hintergrund der erfreulicherweise steigenden Lebenserwartung. Ebenso erfreulich sei das Wachstumspotential des Gesundheitswesens, das zu den entscheidenden Wachstumsbranchen mit großen Chancen für die Beschäftigung gehöre.

Grundpfeiler für die Finanzierung des Systems müssten sowohl Eigenverantwortung als auch sozialer Ausgleich sein. Es gelte, gerade die deutsche Besonderheit zu erhalten, dass der Fortschritt allen Versicherten zur Verfügung stehe. Vogel sprach sich für umfassenden sozialen Schutz, aber gegen grenzenlose Inanspruchnahme des Systems aus. Es sei unsolidarisch, den Kranken nichtzu helfen, aber ebenfalls unsolidarisch, dies grenzenlos auszunutzen. Daher begrüße er eine sinnvolle, maßvolle Reform, aber keine Gängelung. Die Budgetierung behindere den Fortschritt und berge die Gefahr einer Zwei-Klassen-Medizin.

Thüringen wird Reformgesetz ablehnen

Für die am Freitag anstehende Bundesratssitzung kündigte der Ministerpräsident die Ablehnung des Reformgesetzes durch das Land Thüringen an. Eine Ablehnung im Bundesrat führe zur Anrufung des Vermittlungsausschusses oder zur Aufteilung des Gesetzes. Doch sei der zustimmungspflichtige Teil als der wichtigere Inhalt anzusehen. Die Regelung der Finanzierung der AOKs in den Ost-Ländern finde sich nicht übereinstimmend in den Texten, die dem Bundesrat und dem Bundestag vorlägen. Doch ungeachtet dieser technischen Schwierigkeiten sei eine Vermischung der aktuellen Probleme der Ost-AOKs mit den langfristigen Strukturproblemen in einem Reformwerk abzulehnen. Vielmehr müsse nach den Ursachen der unterschiedlichen Defizite, auch im Vergleich zwischen den einzelnen neuen Ländern, gefragt werden.

Als Alternative zu den Vorschlägen der Bundesregierung schlug Vogel eine stärkere Eigenverantwortung der Patienten vor. Maßvolle Reformen müssten auch Arbeitsmöglichkeiten im Gesundheitswesen schaffen. Noch nie zuvor habe es so viele Beschäftigte im Gesundheitswesen gegeben. Diese Hochleistung solle weitergehen. Daneben sei die Verantwortung der Länder zu sichern. So müssten die Entscheidungskompetenzen über den Bau und die Sanierung von Krankenhäusern bei den Ländern bleiben. Zum Abschluss seiner Ansprache würdigte Vogel den Beitrag der Apothekerschaft für die Gesundheit der Bevölkerung. Leistungsfähige Apotheken lägen im Interesse der gesamten Bevölkerung.

Nicht in Unfreiheit zurückfallen

Dr. Hermann Vogel, Präsidiumsmitglied der Bundesapothekerkammer und Ehrenpräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer, würdigte in seinem Grußwort den Mut zur Freiberuflichkeit, den die Apothekerschaft in den neuen Bundesländern nach der Wende gezeigt habe. Angesichts der Verlockung bequemerer Alternativen sei dies sehr hoch zu bewerten. Doch müsse man heute "im Spiegel der Reformerei" aufpassen, nicht in alte "unfreie" Zustände zurückzufallen. Der Verlust der Freiberuflichkeit sei als gesellschaftlicher Rückschritt anzusehen. Der in einer integrierten Versorgung "vernetzte Arzt" müsse seinem früheren Leitbild eines freien Heilberufes nachtrauern.

Außerdem kritisierte Vogel die "sträfliche Oberflächlichkeit und ideologische Eile" des derzeitigen Gesetzgebungsverfahrens. Die Politiker sollten nicht die angeblich mangelnde Solidarität der Bürger beklagen, wenn sie selbst jedes solidarische Handeln über Parteigrenzen hinweg vernachlässigten. In Anlehnung an den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog forderte Vogel, durch die Apothekerschaft müsse "ein Ruck gehen", um die pharmazeutische Betreuung umzusetzen und in einer "gesundheitsreformerisch feindlichen Umgebung zu bestehen". Hierzu müssten Hochschullehrer und Offizinapotheker zusammenarbeiten.

Auch Hans Knoll, Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer, hob in seinem Grußwort die Bedeutung der Freiberuflichkeit hervor, zu der die Kammern mit ihrem Konzept der Pflichtmitgliedschaft gehörten. Ein weiteres Element der Freiberuflichkeit bilde das berufsständische Versorgungswerk. Dieses Rentenversicherungssystem baue überwiegend auf den Kapitaldeckungsverfahren und nicht auf der Umlagefinanzierung auf, was als zukunftssicheres Konzept anzusehen sei. Damit sei die Rente der Apotheker gesichert, sofern der Staat die Versorgungswerke weiterhin arbeiten ließe.

Prof. Dr. Dres. h.c. Herbert Oelschläger, Direktor des pharmazeutischen Institutes der Universität Jena, legte in seinem Grußwort Rechenschaft über den Wiederaufbau des Studienganges Pharmazie in Jena ab. Das Institut sei als einziges pharmazeutisches Institut in Deutschland in einer biologischen Fakultät angesiedelt. Dies rücke die Pharmazie in das Umfeld der "Life-Sciences" und löse sie aus der "Erstarrung der Chemie". Die ausgezeichneten Examensergebnisse der Studierenden in Jena sprächen für diese Entscheidung. Doch müsse nun endlich ein zentrales Institutsgebäude errichtet werden, da die Ausbildung derzeit auf sieben Standorte in der Stadt verteilt sei. Zudem sollte die Zahl der Professoren an die hohe Nachfrage angepasst werden.

Weitere Grußworte sprachen Dr. Volkhardt Germer, Oberbürgermeister von Weimar, und Dr. Peter Sicker, Hauptabteilungsleiter der AOK Thüringen. Letzterer befürwortete die Konzepte der Apothekerschaft zur Etablierung von Pharmazeutischer Betreuung und Qualitätsmanagementsystemen. Die Leistung der Apotheker müsse für die Patienten erlebbar gemacht werden.

Gesundheitswesen als Zukunftsmarkt

Zur geplanten Gesundheitsreform stellte der Präsident der Thüringischen Apothekerkammer Dr. Egon Mannetstätter fest, dass wohl kaum noch jemand an ihr Inkraftreten glaube. Auch das geplante GKV-Innovationsförderungsgesetz mit den nicht zustimmungspflichtigen Teilen werde keinen Erfolg haben. Es sei ein Fehler, die Ausgabeseite zu deckeln. Der Gesundheitsmarkt solle vielmehr ein Motor der künftigen Wirtschaftsentwicklung werden. Die Finanzierung erfordere Eigenverantwortung der Patienten und Abkehr von der Vollkaskomentalität. Selbstbeteiligungen sollten sich nicht nur auf den Arzneimittelbereich beziehen. Bei der Debatte über die Reform solle kein Sozialneid geschürt werden. Die Leistungserbringer sollten nicht als Abzocker dargestellt werden, denn anderenfalls ginge das Vertrauen der Patienten in die Leistungsanbieter verloren.

Besonders warnte Mannetstätter vor integrierten Versorgungsformen, die er als Trojanisches Pferd bezeichnete. Sie führten über Einkaufsmodelle der Kassen zum Ende der Freiberuflichkeit. Letztlich drohten auch die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen und die Entstehung einer Einheitskrankenkasse. Dabei sei eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern durchaus anzustreben. Hierfür böten sich jedoch eher moderne Kommunikationskonzepte mit geeigneten technischen Hilfsmitteln an als neue aufwendige bürokratische Strukturen.

Pharmazeutische Betreuung in Thüringen

Speziell in Thüringen sei die Zusammenarbeit der Apothekerschaft mit der ärztlichen Selbstverwaltung allerdings belastet. So habe sich der Vorstand der dortigen Ärztekammer gegen eine Zusammenarbeit bei der pharmazeutischen Betreuung ausgesprochen. Dort werde bereits das Blutdruckmessen als rein ärztliche Aufgabe angesehen, die pharmazeutische Betreuung damit als unzulässige Einmischung in die ärztliche Tätigkeit betrachtet. Doch sei ein Zug, der in Deutschland und der Welt abgefahren sei, in Thüringen nicht aufzuhalten. Vielmehr müsse sich die Apothekerschaft dem gesellschaftlichen Auftrag nach einer intensiveren Beratung und Betreuung der Patienten stellen.

Durch die pharmazeutische Betreuung werde sich der Umgang der Bevölkerung mit Arzneimitteln grundsätzlich verändern und die Compliance und damit der Therapieerfolg wachsen. Die Thüringer Apothekerkammer fordere die Ärzteschaft weiterhin zur Zusammenarbeit auf, werde sich aber die ärztliche Unterstützung für Fortbildungsveranstaltungen nötigenfalls auch aus anderen Bundesländern holen.

Daneben werde sich die Kammer um ein apothekentaugliches Qualitätsmanagement bemühen. Die Etablierung von Qualitätsmanagementsystemen sei zunächst sehr skeptisch betrachtet worden. Denn es bestehe die Gefahr, dass viele Regelungen an der Praxis vorbei getroffen würden und nicht zur Anwendung kämen. Daher spreche sich die Kammer in Thüringen für ein apothekenspezifisches QMS aus, das mehr als nur die formalistischen Forderungen der ISO-Normen erfülle. Dies solle freiwillig eingeführt werden und die künftig zu entwickelnden Qualitätsstandards der ABDA berücksichtigen.

Auf der Grundlage der bald zu erwartenden Mustersatzung der ABDA wolle Thüringen eine eigene Satzung für die Zertifizierung erarbeiten, deren Detailinhalte dann an der Basis diskutiert werden sollten. Dabei sei zu überlegen, ob die Pharmazieräte als Auditoren einzusetzen sind und die Revisionszyklen für zertifizierte Apotheken verlängert werden könnten.

Als weitere Zukunftsperspektive sprach Mannetstätter das Internet an. Dies stelle die Apothekerschaft vor neue fachliche Herausforderungen. Doch dürfe es nicht zum Versandhandel mit Arzneimitteln eingesetzt werden.

Mangelhafte Reformversuche

Nach den Erwartungen von Dr. Helmut Wittig, dem Vorsitzenden des Thüringer Apothekerverbandes, läuft die Gesundheitsreform auf eine Kompromisslösung nach dem Prinzip einer großen Koalition hinaus. Durch die bisherigen Bemühungen der Berufsverbände seien die Verpflichtung zur Abgabe von Importen als Regelversorgung und die Beschränkungen für die Datenverarbeitung in den Rechenzentren abgewendet worden. Hier habe sich gezeigt, dass die Politiker als Außenstehende gar nicht überblicken könnten, welche praktischen Konsequenzen derartige Regelungen auslösen würden.

Wittig kritisierte besonders das vorgesehene Benchmarking als Systemfehler. Für Thüringen bedeute dies in der abgeschwächten Version, d.h. bezogen auf das untere Drittel der KV-Bezirke, eine Verminderung des Arzneimittelbudgets um etwa 20 bis 30 DM pro Kopf. Konsequenterweise sollte das Benchmarking allerdings für alle Ausgabenbereiche gelten, beispielsweise auch für die Verwaltung der Krankenkassen. Die Kritik am Ausgabenanstieg im laufenden Jahr sei zurückzuweisen. In Thüringen sei das Budget in den ersten zehn Monaten 1999 um etwa 6% überzogen worden. Doch gingen davon 5 Prozentpunkte auf das Konto der verringerten Zuzahlung.

Zukunftsweisende Telematik statt bürokratisches Netzwerk

Als sinnvolle Maßnahmen für die weitere Entwicklung des Gesundheitswesens bezeichnete Wittig eine Aut-idem-Regelung und das elektronische Rezept. Thüringen biete sich an, in einer begrenzten Region des Landes einen Feldversuch für das ABDA-Konzept zum elektronischen Rezept durchzuführen. Durch die gute EDV-Ausstattung der AOK Thüringen sei dieses Land hierfür besonders geeignet. Für die Telematik sei wichtig, möglichst viele Gruppen, insbesondere Ärzte, Krankenkassen und Apotheker, zusammenzuführen.

Auf einer neugestalteten Patientenkarte könnten Patientendaten und Medikationsprofile als Grundlagen für die pharmazeutische Betreuung gespeichert werden. Diese Form der intensiveren Kommunikation unter den Heilberuflern stelle eine Alternative zu den vielfach geforderten vertraglichen Netzen und Modellen der integrierten Versorgung dar. Durch die technische Ausgestaltung als Smart Card behalte der Patient bei diesem Konzept stets die Hoheit über seine Daten. Der Einsatz der Karte bleibe freiwillig. Damit entfielen die schwerwiegenden Probleme der Vertragsnetze.

Befürworter der Vertragsnetze blieben regelmäßig die Antwort schuldig, was mit den Leistungsanbietern außerhalb der Netze geschehe. Das angestrebte hohe Versorgungsniveau in den Netzen führe unter einem gemeinsamen Budget zur Unterversorgung außerhalb der Netze und damit zur Zwei-Klassen-Medizin. Doch gerade in ländlichen Gebieten sei die Teilnahme an Netzen oft nicht möglich.

Zum Abschluss der Eröffnungsveranstaltung des Thüringer Apothekertages erinnerte Wittig an die Aufbauleistung der zurückliegenden zehn Jahre seit der Wende und dankte für die Unterstützung durch den Westen. Gerade die Kollegen im Osten wüssten, welches Gut die Freiheit bedeute. Darum schätzten sie die Freiberuflichkeit und die Unabhängigkeit hoch ein. Doch durch die Einbindung von Apotheken in Ketten oder Netzen käme fremdes Kapital in das System, was die Selbstbestimmung zerstören würde. Die damit angesprochene Problematik der integrierten Versorgungsformen war auch Gegenstand weiterer Veranstaltungen des Thüringer Apothekertages, über die die DAZ in ihrer nächsten Ausgabe berichtet.

Prominentester Redner bei der Eröffnung des 5. Thüringer Apothekertages am 20. November war der Ministerpräsident des Landes Dr. Bernhard Vogel, CDU. In einer "apotheker-freundlichen" Ansprache nahm er zu aktuellen Reformvorhaben für das Gesundheitswesen Stellung. Rund 200 Apothekerinnen und Apotheker waren nach Weimar, dem Tagungsort des Thüringer Apothekertages in diesem Jahr, gekommen.

Zitate

Wir brauchen Reformen, aber überlegt und mit Augenmaß. Dr. Bernhard Vogel, Thüringischer Ministerpräsident

Wie sagt Goethe, welche Regierung die beste sei? - Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren. Dr. Hermann Vogel, Präsidiumsmitglied der Bundesapothekerkammer

Es erben Bürokratie und Budgetierung sich wie eine ew'ge Krankheit fort. - Eine Strategie der Eingriffsverwaltung zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesetz! Dr. Hermann Vogel, Präsidiumsmitglied der Bundesapothekerkammer, frei nach Goethe

Wir brauchen vor allem qualitätsgesicherte Politiker in Berlin! Dr. Hermann Vogel, Präsidiumsmitglied der Bundesapothekerkammer

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