Feuilleton

Natur in Berlin: Lübarser Wiesen und Eichwerder

Nahezu stetig in Ost-West-Richtung verlaufend durchzieht das Tegeler Fließ den Norden Berlins, wobei es bis zu seiner Mündung in die Havel am Tegeler Hafen eine Kette relativ naturbelassener Feuchtbiotope geschaffen hat. Nördlich von Lübars, zwischen Hermsdorf und Blankenfelde, wurden Teile des Feuchtgebietes ca. 30 Jahre lang durch die Berliner Mauer zerschnitten. Das naturbelassene Gebiet erinnert teilweise an eine nordeuropäische Sumpflandschaft, während sich direkt am Mauerstreifen Trockenrasen ausbreitet.

Während für die ostdeutsche Bevölkerung 40 Jahre deutscher Teilung, verbunden mit sowjetischer Besatzungsmacht, kommunistischer Diktatur und 30 Jahren Mauer, in vieler Hinsicht eine schwierige Zeit darstellten, konnte sich die Natur in den großzügig dimensionierten Todesstreifen an der Grenze zur Bundesrepublik nahezu ungestört durch menschliche Einflüsse entwickeln. Auch an der Grenze Westberlins gab es vergleichbare Gebiete, wenn auch viel kleiner dimensioniert. Hierzu zählt das Grenzgebiet zwischen den Berliner Bezirken Reinickendorf und Pankow bzw. den Gemeinden Glienicke und Schildow (Brandenburg).

Lage und Gliederung des Gebiets

Die Lübarser Wiesen liegen am Nordrand des Reinickendorfer Stadtteils Lübars. Im Zentrum befindet sich das Tegeler Fließ, welches hier nahezu exakt in Ost-West-Richtung mäanderförmig verläuft. Am Westrand, kurz vor dem Stadtteil Hermsdorf, gehen die Wiesen in eine auenwaldartige Landschaft über, die den Namen "Eichwerder" trägt. Die nördliche Begrenzung bildet der Siedlungsrand der Gemeinden Glienicke und Schildow. Dazwischen befand sich der Mauerstreifen. Im Osten enden die Wiesen am Köppchensee und dem ihn umgebenden Naturschutzgebiet "Niedermoorwiesen am Tegeler Fließ". Diese befinden sich im Berliner Stadtbezirk Pankow, waren demzufolge früher ebenfalls von Lübars durch die Mauer getrennt.

Lübarser Wiesen

Das Dorfzentrum Lübars ist dadurch charakterisiert, dass es mehr Pferde als Menschen zu beherbergen scheint. Die Lübarser Wiesen werden intensiv bewirtschaftet, weshalb die für Feuchtwiesen typische Vegetation nur teilweise und insbesondere bis zur ersten Mahd anzutreffen ist. Auffallendes Element sind bis zu diesem Zeitpunkt verschiedene Hahnenfuß-Arten, unter denen Ranunculus acris L. (Scharfer Hahnenfuß) und R. repens L. (Kriechender H.) dominieren.

In das "Grün-Gelb" der Gräser und Hahnenfüße mischt sich im Monat Mai fast überall die Farbe Weiß, denn auch das für Feuchtwiesen typische Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis L.) ist fast überall verbreitet. Zwar nicht so großblütig wie die zuvor genannten Arten, infolge seiner dichten, großen Infloreszenzen trotzdem weithin sichtbar ist der Wiesen-Knöterich (Polygonum bistorta L.), der gemeinsam mit anderen Polygonum- sowie verschiedenen Rumex-Arten die Familie Polygonaceae auf den Wiesen vertritt. Nach der Mahd verwandeln sich die zuvor farbenfrohen Wiesen in ein relativ eintöniges "Grün-Weiß", welches von den Gräsern und dem dazwischen in großer Menge wachsenden Weiß-Klee (Trifolium repens L.) gebildet wird.

Die Wiesen werden nicht nur vom Tegeler Fließ, sondern auch von Gräben durchzogen, die wiederum eine Reihe weiterer Pflanzen beherbergen. Eine der schönsten von ihnen ist der Gemeine Froschlöffel (Alisma plantago-aquatica L.). Wer sich allerdings an den schönen dreizähligen Blüten dieser monocotyledonen Pflanze erfreuen möchte, muss wissen: Die Blüten öffnen sich erst gegen 12 Uhr! Weitere an diesen Standorten anzutreffende, auffällige Arten sind Fallopia convolvulus (L.) A. Löve (Gemeiner Windenknöterich), Symphytum officinale L. (Gemeiner Beinwell) und Epilobium hirsutum L. (Rauhaariges Weidenröschen).

Durch die Wiesen verlaufen kleinere Wege und Pfade, an deren Rändern sich die für Straßen- und Wegränder bzw. Bahndämme typische Vegetation herausgebildet hat. Hierzu zählen an feuchteren Standorten Potentilla anserina L. (Gänse-Fingerkraut), Galium aparine L. (Kletten-Labkraut, Klebkraut oder Kleber), Lathyris pratensis L. (Wiesen-Platterbse) und Lotus corniculatus L. (Gemeiner Hornklee), wogegen die etwas trockneren Stellen von Arten wie Berteroa incana (L.) DC. (Graukresse), Ballota nigra L. (Schwarznessel, Gottvergess oder Stinkandorn), Aegopodium podagraria L. (Giersch), Lactuca serriola L. (Kompass-Lattich), Lamium album L. (Weiße Taubnessel), Achillea millefolium L. (Gemeine Schafgarbe), Tripleurospermum maritimum (L.) Koch (Geruchlose Kamille) oder Chamomilla suaveolens (Pursh) Rydb. (Strahlenlose Kamille) besiedelt werden.

Naturlehrpfad Eichwerder

An ihrem westlichen Ende verengen sich die Lübarser Wiesen. Zugleich wird es immer feuchter, und der Baumbestand um das Tegeler Fließ nimmt zu. Hier befindet sich die Kolonie Kleinwerder, ein Siedlungsgebiet, welches überwiegend durch Einfamilienhäuser geprägt ist. An dessen nördlichem Rand wurde der von den Wiesen kommende, in den immer dichter werdenden Auwald führende Wanderweg durch Bohlen befestigt, sodass er auch in feuchteren Jahresabschnitten gut begehbar ist.

Im Schatten der Bäume dominieren Chelidonium majus L. (Schöllkraut), Geum urbanum L. (Echte Nelkenwurz), Ranunculus ficaria L. (Scharbockskraut), Glechoma hederacea L. (Gundermann) und Urtica dioica L. (Große Brennnessel). Weniger häufig anzutreffen sind Lysimachia vulgaris L. (Gemeiner Gilbweiderich) und Solanum dulcamara L. (Bittersüßer Nachtschatten).

An einigen Zäunen der angrenzenden Grundstücke windet sich Calystegia sepium (L.) R. Br. (Zaun-Winde) entlang und empor, tut also genau das, was aufgrund ihres Namens auch zu erwarten ist; im Halbdunkel der Bäume erstrahlen ihre leuchtend weißen, großen Blüten. Eindrucksvollste Art in diesem Bereich ist allerdings Humulus lupulus L., der Gemeine Hopfen, eine der wenigen in Mitteleuropa heimischen Lianen. Die Pflanzen finden hier optimale Wachstumsbedingungen und erreichen Dimensionen, wie man sie ansonsten nur von bayerischen Plantagen kennt.

Am Ende dieses Weges und der Siedlung Eichwerder gelangt man zu einer Freifläche, wo der Naturlehrpfad "Eichwerder Steg" beginnt. Auf den ca. 50 Metern bis zur Fließbrücke führt der Weg durch ein relativ trockenes Waldstück, in dem das aus Indien eingeschleppte Kleine Springkraut (Impatiens parviflora DC.) einen ausgedehnten Bestand bildet. Während der Anblick des Fließes von der Brücke weniger spektakulär ist (falls nicht gerade Exemplare der in diesem Gebiet heimischen Wildschweine zu beobachten sind), hat man beim Überqueren des Steges das Gefühl, sich eher in einer nordeuropäischen Sumpflandschaft als in der Großstadt zu befinden. Die offene Wasserfläche, ein toter Seitenarm des Fließes, wird von einem stattlichen Bestand der Weißen Seerose (Nymphaea alba L.) besiedelt, wogegen sich am Ufergürtel zahlreiche Sumpfpflanzen finden. Am Ende des Steges führt der Weg durch einen sehr feuchten Auwald. Dort wächst Valeriana officinalis L. (Echter Baldrian).

Todesstreifen im Feuchtgebiet

In dem Bereich, wo das Tegeler Fließ die Lübarser Wiesen verlässt und sich zugleich sein Ost-West-Verlauf in die Nordost-Südwest-Richtung ändert, schließt sich an seiner Nordseite das ca. 250 Meter breite Feuchtgebiet "Eichwerder" an. Zwischen der Landesgrenze und der Mauer war eine Distanz von teilweise über 250 Metern, und diesen Streifen durften keine Zivilpersonen betreten.

Das Eichwerder ist eine sumpfige Wiesenlandschaft, die durch von Jahr zu Jahr größer werdende Bäume (insbesondere Birken, Espen und Weiden) zunehmend waldartigen Charakter annimmt. Demgegenüber stellt der Streifen, in dem zuvor die Mauer stand, auch heute noch ein ausgesprochen trockenes Areal dar. Für die Vegetation hat dies zur Folge, dass an einigen Stellen z.B. Dianthus deltoides L., die trockenen Boden liebende Heide-Nelke, nur zwei Meter entfernt von verschiedenen Feuchtigkeit-liebenden Cyperaceen gedeiht.

Aus dieser Unterschiedlichkeit der natürlichen Gegebenheiten hat sich auf relativ engem Raum eine außergewöhnliche Artendichte herausgebildet. Ausgesprochene "Raritäten" fallen nicht auf, dafür fehlen aber auch kaum Arten, die für derartige Standorte typisch sind. Am Rand des Eichwerders, dort wo Mauer und Grenzverlauf nahezu identisch waren und die in Berlin bzw. in Brandenburg stehenden Häuser nur durch einen ca. 30 Meter breiten Streifen getrennt waren, dominiert simpler sandiger Boden. Auffälligste Arten sind hier Oenothera biennis L. (Gemeine Nachtkerze) und Solidago canadensis L. (Kanadische Goldrute).

Kurz dahinter wird der Weg zunehmend enger und schlängelt sich durch ein sehr dichtes Wäldchen, welches von den oben genannten Baumarten gebildet wird. Um- und überrankt werden die Bäume immer wieder vom Hopfen, wogegen das häufig dazwischen stehende, bis zwei Meter hoch werdende Heracleum sphondylium L. (Gemeiner oder Wiesen-Bärenklau) das Dickicht endgültig undurchdringlich werden lässt.

Gelegentlich öffnet sich das Dickicht, um kleine Wiesen freizugeben. Auf diesen finden sich insbesondere Valeriana officinalis, Filipendula ulmaria (L.) Maxim. (Echtes Mädesüß, Große Spierstaude), Lythrum salicaria L. (Gemeiner Blutweiderich) und Epilobium hirsutum L. (Rauhaariges Weidenröschen), die diese Lichtungen in unterschiedlichen Farben leuchten lassen.

Etwa in der Mitte des Eichwerders lichtet sich das Dickicht, und man gelangt auf eine relativ große Freifläche, durch die einst die Mauer verlief. Die nach wie vor wüste, nahezu vegetationslose Fläche ist weniger der Mauer als vielmehr verantwortungslosen Reitern zuzuschreiben, die eine Wiederbesiedlung des Streifens verhindern. Abseits dieses wüsten Streifens hat jedoch die Natur die Landschaft zurückerobert und einen fast beispielhaften Trockenrasen geschaffen.

Neben den Gräsern fallen folgende Arten am meisten auf: Helichrysum arenarium (L.) Moench, Trifolium arvense L. (Hasen-Klee), Chondrilla juncea L. (Großer Knorpellattich) und Jasione montana L. (Berg-Jasione/-Sandknöpfchen, Schafrapunzel). Ebenso wenig zu übersehen ist eine aus Nordamerika eingeschleppte Art, die zugleich eines der hartnäckigsten Unkräuter darstellt, welches bereits in Fugen zwischen Gehwegplatten ausreichend Platz zum Gedeihen findet: Conyza canadensis (L.) Cronquist (Kanadisches Berufkraut, Flohverderb).

Eine sehr kleine und dennoch unübersehbare Pflanze ist Sedum acre L. (Scharfer Mauerpfeffer). Der Name ist von seinem scharfen Geschmack abgeleitet (und nicht von seinem Standort an der Berliner Mauer, an der bekanntlich scharf geschossen wurde). Weniger auffallende Arten in dieser Trockenrasenzone sind Dianthus deltoides und Potentilla argentea L., das Silber-Fingerkraut. Bemerkenswert ist, dass der dichteste Bestand der Heide-Nelke sich ca. zwei Meter entfernt vom Beginn einer sumpfigen Wiese befindet, auf der neben verschiedenen Cyperaceen der Blutweiderich und das Mädesüß hervorstechen.

Am Ende dieser Lichtung biegt der Hauptweg, dem früheren Verlauf der Mauer folgend, nach Norden ab, wobei er sich wiederum im Dickicht des Weiden-Birken-Espen-Waldes verliert. Dieser gedeiht auf extrem sumpfigem Untergrund, auf dem sich entlang des Weges ein stattlicher Bestand an Equisetum palustre L. (Sumpf-Schachtelhalm) entwickelt hat (zur Unterscheidung vom Acker-Schachtelhalm siehe Tab. 1). Kurz darauf erreicht der Weg die Alte Schildower Straße, wo das. Kurz darauf erreicht der Weg die Alte Schildower Straße, wo das Eichwerder endet.

Wenn man am Ende der Trockenrasenlichtung den Hauptweg verlässt und auf der Lichtung weiter in Richtung Osten geht, kann man beobachten, dass der Rasen stufenweise feuchter wird, was mit einem entsprechenden Wandel im Pflanzenbewuchs einher geht. An den noch relativ trockenen Stellen trifft man auf Trifolium campestre Schreber (Feld-Klee) sowie auf das pharmazeutisch bedeutungsvolle Hypericum perforatum L. (Johanniskraut, Tüpfel-Hartheu), wogegen der bereits feuchtere Bereich durch das Vorkommen von Verbascum nigrum L. (Schwarze Königskerze), Rhinanthus serotinus (Schönheit) Oborny (Großer Klappertopf), Veronica chamaedrys L. (Gamander-Ehrenpreis) oder Campanula patula L. (Wiesen-Glockenblume) charakterisiert ist.

Baldrian, Baldrian, nochmals Baldrian

Der nördlich vom Fließ gelegene Bereich ist allgemein weniger eindrucksvoll als der zuvor beschriebene. Innerhalb der feuchten Standorte ist jedoch ein außergewöhnlich dichter Baldrian-Bestand bemerkenswert, der sich am Rande eines Grabens entwickelt hat. Hier finden sich zudem einige schöne Exemplare von Cirsium oleraceum (L.) Scop., der Kohldistel, wogegen im Graben selbst ein relativ ausgedehnter Bestand von Typha latifolia L., dem Breitblättrigen Rohrkolben, anzutreffen ist.

An den trockenen Standorten ist neben den bereits genannten Oenothera biennis und Solidago canadensis häufig Berteroa incana (L.) DC. (Graukresse) und am Boden entlangwindend Convolvulus arvensis L. (Ackerwinde) anzutreffen. Seltener stößt man dagegen auf die Moschus-Malve (Malva moschata L.), die im Gegensatz zu Süddeutschland im norddeutschen Raum eher selten ist.

Den nördlichen Abschluss des Fließtales bildet ein Weg, der früher von den DDR-Grenztruppen zu Patrouillenfahrten genutzt wurde. Da neben dem asphaltierten Weg wahrlich alles gnadenlos von den zuhauf einhergaloppierenden Pferden niedergetrampelt wird, konnten nur direkt am Rand des Asphalts einzelne Arten Fuß fassen, darunter als bemerkenswerteste Art Petrorhagia prolifera (L.) Scop., das Sprossende Nelkenköpfchen.

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