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Hilfe für notleidende Ostkassen polarisiert

BONN (im). Pro und Kontra hat der Plan der Bundesgesundheitsministerin hervorgerufen, den defizitären Ost-Krankenkassen mit einer Milliardenspritze von West-Kassen zu helfen. Während die Ortskrankenkassen (AOK) dies begrüßten, lehnten Ersatz- und Betriebskrankenkassen das Vorhaben kategorisch ab.

Ministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) hat vor, für eine einmalige Unterstützung in Höhe von 1,3 Milliarden Mark die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung um 0,09 Prozentpunkte zu erhöhen. Die Hilfe soll vor allem den vier Ost-AOKen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen zugute kommen, die tiefrote Zahlen schreiben. Dies wäre zusätzlich zum vorgesehenen Finanzausgleich zwischen Ost- und Westkassen, bestätigte eine Sprecherin des BMG. Nach einem Gespräch am 20. Oktober in Berlin zwischen dem Ministerium, den Staatssekretären der Gesundheitsressorts der Länder sowie den gesundheitspolitischen Sprechern von SPD und Bündnisgrünen hieß es auf Anfrage, die Abstimmung in den neuen Ländern laufe noch.

TK: Ungeheuerlich

Die Ersatzkrankenkassen drohten Fischer damit, die Mitarbeit an der Reform 2000 einzustellen. Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg hielt das Problem von den Ortskrankenkassen für hausgemacht und kritisierte scharf die mangelnde Bereitschaft zur AOK-internen Lösung. Da die AOKen in der Vergangenheit aus Wettbewerbsgründen zu geringe Beiträge verlangt hätten, seien laufende Ausgaben über Kredite finanziert worden, die jetzt abgetragen werden müssten. Professor Norbert Klusen nannte die Forderung nach Westhilfe für die Ost-Kassen vor diesem Hintergrund eine "Ungeheuerlichkeit".

Bei den bundesweiten Ersatzkassen sei interne Solidarität selbstverständlich, so Klusen weiter. Die Ortskrankenkassen seien finanziell ebenso dazu in der Lage, denn viele Ortskrankenkassen im Westen hätten niedrigere Sätze als große Ersatzkassen. Der Vorschlag des TK-Chefs: Wenn die westdeutschen AOKen ihren Hebesatz um 0,1 Prozentpunkte erhöhten, könnten ihre Schwesterkassen den Satz um 0,4 Prozentpunkte senken.

BKK: AOK-Verwaltung zu teuer

Auch der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) sieht die Lösung bei den Ortskrankenkassen selbst. Seine Sprecherin wurde zitiert mit dem Verweis auf die zu hohen AOK-Verwaltungskosten, die Zahl der Mitarbeiter sei nicht entsprechend dem Mitgliederrückgang gesenkt worden. Im vergangenen Jahr seien 1,4 Prozentpunkte des durchschnittlichen Beitragssatzes von 14,32 Prozent für Verwaltung ausgegeben worden, bei den BKK dagegen nur 0,33, bei den Ersatzkassen 0,69 Prozent. Würden die AOKen in den neuen Ländern ihr Verwaltungskostenproblem lösen, hätten sie trotz höherer Belastung durch Härtefälle wettbewerbsfähige Beiträge. Die Sprecherin des BKK-Bundesverbands kritisierte ebenso die mangelnde kasseninterne Solidarität im AOK-System.

AOK begrüßt Finanzhilfe

Im Gegensatz dazu begrüßte Dr. Hans Jürgen Ahrens die Finanzhilfe Ost, nannte sie jedoch zugleich lediglich einen ersten Schritt zum Ausgleich der Kosten, die den Ost-AOKen durch den Aufbau in den neuen Ländern entstanden seien. Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands verwies in Bonn auf die einigungsbedingten Folgen, so seien die meisten Rentner und die meisten Mitglieder mit Anspruch auf Härtefallregelungen, die von Zuzahlungen befreit seien, bei Ortskrankenkassen versichert. Dies müsste ausgeglichen werden, forderte Ahrens. Die Appelle zur Selbsthilfe wies er mit dem Argument zurück, die AOK-Gemeinschaft habe seit 1995 über drei Milliarden Mark für einzelne Kassen, davon 400 Millionen Mark für die AOKen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, bereitgestellt.

Als unredlich bezeichnete der AOK-Vorstandsvorsitzende den Hinweis auf die höheren Verwaltungskosten der Ortskrankenkassen. Die niedrigen Verwaltungskosten der Ost-BKK beruhten darauf, dass die Personalkosten vieler BKK noch vom Arbeitgeber getragen würden.

Langfristige Sanierung

Auch wenn die Einmalzahlung die aktuelle Verschuldung spürbar mindere, hält der AOK-Bundesverband weitere Sanierungsmaßnahmen zur Behebung struktureller Ursachen für notwendig. 1991 seien die AOKen in den neuen Ländern die Basiskassenart geworden, anschließend habe es Selektionsprozesse durch Abwanderung in neugegründete BKK oder IKK oder zu Ersatzkassen gegeben. Da dies nicht allen offen stand, bezeichnet die AOK das als Kassengründungs- und historisch überlebtes Wahlprivileg. Dies habe sich in den Folgejahren zu einer Konzentration der Rentner, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrentner, Multimorbiden, chronisch Kranken und so genannte Härtefall-Versicherten bei den AOK verstärkt. Die AOKen sehen sich dadurch überproportional belastet.

Ein Pro und Kontra hat der Plan der Bundesgesundheitsministerin hervorgerufen, den defizitären Ost-Krankenkassen mit einer Milliardenspritze von Westkassen zu helfen. Während die Ortskrankenkassen dies begrüßten, lehnten Ersatz- und Betriebskrankenkassen das Vorhaben kategorisch ab.

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