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BAH-Jahresversammlung: Arzneimittel-Hersteller gegen die Gesundheitsreform 2000

BERLIN (rb). Gegen das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung in seiner jetzt vorliegenden Form, für eine angemessene Selbstbeteiligung der Patienten, auch durch Selbstmedikation, sowie für eine Stärkung der Eigenverantwortung hat sich der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) auf seiner 45. Jahresversammlung am 23. September in Berlin ausgesprochen. Die als Gastrednerin eingeladene SPD-Politikerin Gudrun Schaich-Walch verteidigte Positivliste und Festbeträge, überbrachte jedoch auch die Neuigkeit, dass bezüglich der Reimporte im Gesetz das Wort "auch" wieder eingeführt werden solle - aus Gründen der Praktikabilität.

"Politischer Salto rückwärts"

Der BAH-Vorsitzende Johannes Burges bezeichnete in seiner Eröffnungsrede den derzeit vorliegenden rot-grünen Gesetzesentwurf als "politischen Salto rückwärts in längst überwunden geglaubte Zeiten". Er bedauerte, dass die Politiker nicht bereit seien, aus den Fehlern ihrer Vorgänger zu lernen. Schließlich habe sich doch herausgestellt, dass Arzneimittel-Budgets nicht funktionieren und Positivlisten nicht machbar seien.

Bei vernünftiger Betrachtungsweise verbiete sich eigentlich jeder neue politische Anlauf in diese Richtung. Bei der 10. AMG-Novelle könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese zum Anlass genommen werde, die Konsequenzen aus fast zwei Jahrzehnten politischen Zick-Zack-Kurses in der Nachzulassung nun einseitig beim pharmazeutischen Unternehmer abzuladen.

Der BAH sei bereit, sagte Burges, konsequent an Problemlösungen mitzuwirken, er habe zu allen Problembereichen eigene Vorschläge vorgelegt. Allerdings sei es notwendig, diese ohne ideologische Brille zu bewerten.

Privatwirtschaftliche Elemente in die GKV einbauen

Wolle man unser Gesundheitswesen im Arzneimittelbereich renovieren, müsse man stärker als es jetzt geschieht auf Eigenverantwortung setzen, betonte Burges. Die Bundesbürger seien bereit, Selbstverantwortung für ihre Gesundheit zu tragen, auch finanziell. Dies werde durch eine vom BAH erstellte Studie eindrucksvoll belegt.

Damit sich Eigenverantwortlichkeit auch lohne, müssen nach Ansicht des Verbandes der Arzneimittel-Hersteller privatwirtschaftliche Elemente in die GKV eingebaut werden. Wer sparsam mit den Ressourcen umgehe oder sie gar nicht in Anspruch nehme, solle durch Beitragsabsenkung oder Beitragsrückgewähr belohnt werden.

Beschleunigte Nachzulassung macht Positivliste überflüssig

Soweit es um die Verbesserung der Qualität der Arzneimittelversorgung geht, sei eine beschleunigte Nachzulassung notwendig, aber auch ausreichend - sie mache eine Positivliste obsolet. Burges übte jedoch Kritik an der Kabinettsvorlage zur 10. AMG-Novelle in Bezug auf die darin enthaltenen zu kurzen Fristen zum Nachreichen von Unterlagen oder zur Beseitigung von Mängeln.

Während man sich mit den von der EU-Kommission gerügten Mängeln an den deutschen Nachzulassungsregeln durchaus identifiziere, wären diese Fristen Auflagen des Bundesgesundheitsministeriums, die von der EU nicht vorgegeben und die für viele Unternehmen auch nicht einzuhalten sind. Es müsse vermutet werden, dass der Gesetzgeber auf diese Weise eine Marktbereinigung beabsichtige. Enge zeitliche Vorgaben müssen sich nach Ansicht des BAH eher an die Zulassungsbehörden richten. Nur so könne es zu einer wirklich zügigen Abarbeitung des Nachzulassungsstaus kommen.

Die Positivliste ist für den BAH nicht verbesserungs- und daher auch nicht im Detail diskussionsfähig. Wolle man im Arzneimittelsektor Geld sparen, ist nach Auffassung des BAH die Erweiterung der Indikationsliste der geringfügigen Gesundheitsstörungen ein gangbarer Weg. Auf diese Weise werde die Eigenverantwortung im Sinne der Selbstmedikation gestärkt, es werden jedoch keine einzelnen Arzneimittel diskriminiert, weil ausschließlich die Indikation als "nicht GKV-notwendig" bewertet werde.

Starres Arzneimittel-Budget führt zur Rationierung

Kritik übte Burges weiterhin am Arzneimittel-Budget: Es sei untauglich, führe zwangsläufig zu einer Rationierung in der Arzneimittelversorgung und zu einer Benachteiligung insbesondere chronisch Kranker, da eine Erstattung nur noch bei einem höheren Schweregrad einer Erkrankung in Frage komme. Ein sinnvolleres Kontroll-Instrument seien bedarfsgerechte Richtgrößen. Diese könnten eine quantitätsorientierte Arzneimittelversorgung in der GKV garantieren und damit Listenmedizin, Not- oder Aktionsprogramme überflüssig machen.

Nachvollziehbare und marktgerechte Kriterien für Festbeträge

Das Festbetrags-Neuordnungsgesetz war weiteres Thema der Eröffnungsrede: Burges führte aus, dass der vorliegende Referentenentwurf an der nach Ansicht des BAH willkürlichen Bestimmung der Festbetragshöhe nichts ändere. Der BAH fordere deshalb in jedem Fall, die Festbetragshöhe nicht länger als unerschöpfliches Einsparpotenzial für die Krankenkassen einzusetzen, sondern sie statt dessen nach nachvollziehbaren und marktgerechten Kriterien festzulegen. Dabei müssten präparatespezifische Forschungsaufwendungen angemessen berücksichtigt und die betroffene Industrie stärker eingebunden werden.

Weiterhin äußerte Burges Bedenken, ob der im SGB V unternommene Versuch, alle Streitigkeiten aus dem SGB V den Sozialgerichten zuzuweisen, rechtsstaatlich zulässig sei, sofern es sich um wettbewerbs- und kartellrechtliche Aspekte handele. Schließlich bestehen zwischen den Arzneimittelherstellern und den Krankenkassen bzw. dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen keine öffentlich-rechtlichen Beziehungen. Der BAH lehne die im SGB V vorgesehene Rechtswegbeschränkung als rechtsstaatlich nicht akzeptabel ab.

Positivliste: Innovationen sollen schnell hinein

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Gudrun Schaich-Walch, überbrachte anlässlich der BAH-Jahresversammlung Grußworte ihrer Partei und gab aktuelle Statements zur Gesundheitsreform ab. Die Politik sei bereit, sagte die Bundestagsabgeordnete, den Wünschen und Anliegen der Arzneimittelhersteller Rechnung zu tragen, solange sie am Interesse des Gemeinwohls ausgerichtet seien. Nach wie vor seien die SPD-Bundestagsfraktion und ihr Koalitionspartner davon überzeugt, dass in der Arzneimittelversorgung noch ein Einsparpotential stecke.

Doch natürlich müssten alle Teile der GKV überprüft werden, wobei man das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht aus den Augen verlieren dürfe. Man wisse, dass neue Medikamente entwickelt wurden oder zukünftig entwickelt werden. Sollte es Ausgliederungen aus dem Bereich der stationären Versorgung geben, müsse für den ambulanten Bereich auch für Arzneimittel ein Betrag zur Verfügung gestellt werden.

Schaich-Walch räumte in ihren weiteren Ausführungen ein, dass mit der Positivliste ein Instrument zur Verfügung stehe, mit dem "wir zum ersten Mal Rationierung vornehmen". Was die Zuzahlungen zu Arzneimittelverordnungen betreffe, so werden diese im künftigen Gesetz nicht neu geregelt. Schaich-Walch nannte die aktuelle Regelung "keinen gelungenen Wurf" und machte kein Geheimnis daraus, dass sie persönlich eine prozentuale Zuzahlung präferieren würde.

Die Festbetragsregelung halte sie für sinnvoll, sie ziehe sie der staatlichen Preisfestsetzung vor, sagte Schaich-Walch. Man wolle grundsätzlich an Festbeträgen festhalten und diese rechtssicher machen, auch für den Bereich der Heil- und Hilfsmittel. Was die 10. AMG-Novelle betreffe, gebe es wenig Spielräume zum aktuellen Entwurf, stellte Schaich-Walch fest. Ziel sei, den Prozess der Nachzulassung spürbar zu beschleunigen. Versöhnlich räumte sie ein, dass man "in Einzelbereichen zu Lösungen kommen werde".

Schaich-Walch stellte in Aussicht, dass man in der geplanten Positivliste an ein schnelleres Auffinden von Innovationen denke: "Wir wollen Innovationen nicht behindern." Was die Reimporte betreffe, so solle im Gesetz das Wort "auch" wieder eingeführt werden - man habe sich überzeugen lassen, dass auf diese Weise "die Angelegenheit sehr viel praktikabler" wird.

Was generelle Strukturveränderungen in der GKV betrifft, so gab Schaich-Walch zu bedenken, dass die absolute Beitragshöhe bereits sehr hoch sei und "das System Akzeptanz behalten" müsse. Zusätzlich zu den Patienten müsse die Interessenlage aller Versicherten berücksichtigt werden. "Wir müssen auch die freiwillig Krankenversicherten mit in das politische Kalkül einbeziehen und dürfen nicht überziehen", sagte Schaich-Walch.

Patienten, Kassen und Leistungserbringer - ein "kreatives Dreiecksverhältnis"

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Katrin Dagmar Göring-Eckhardt, konnte aus Termingründen die BAH-Jahresversammlung nicht besuchen und ließ ihr Grußwort verlesen. Ihrer Ansicht nach sei mit der Gesundheitsreform 2000 dem Reformbedarf im Gesundheitssystem Rechnung getragen. Ihr Ziel sei ein von Solidarität getragenes System und ein "kreatives Dreiecksverhältnis", in dem Leistungserbringer, Kassen und Patientinnen und Patienten gleichberechtigt seien.

Mit der Positivliste wolle man die Therapiefreiheit der Ärzte nicht angreifen, sondern vielmehr "den Ärzten Hilfestellung für eine vernünftige, rationale und qualitativ gesicherte Medikamentenversorgung bieten". Dies sei auch der Grund, warum viele Ärzte die Positivliste fordern, hieß es im Statement der Bündnis 90/Grünen-Politikerin.

"Gesetze nicht gegen, sondern mit den Beteiligten machen"

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Ärztin und gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stellte in ihren Grußworten fest: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei geprägt von Bürokratie und staatlicher Bevormundung und würde zu einem massiven Arbeitsplatzabbau führen. Zwar müsse man zur Kenntnis nehmen, dass die Beitragseinnahmen der GKV stagnieren oder gar sinken, doch die Bundesregierung dürfe dann nicht sagen, dass es im Bereich der Gesundheitsleistungen zukünftig zu keinen Einschränkungen komme. Die Kosten für Arznei- und Heilmittel durch eine Budgetierung zu lösen, sei unmöglich. "Diese Erfahrung haben wir bereits gemacht", sagte Bergmann-Pohl. "Budgetierungen taugen nur als kurzfristige Mobilisierungseffekte von Wirtschaftlichkeitsreserven. Diese sind im Bereich des Arzneimittelsektors ausgeschöpft."

Bergmann-Pohl stellte fest: Die Politik tut nicht gut daran, Gesetze gegen die Beteiligten zu machen. Vielmehr müssten sie mit den Beteiligten gemacht werden. Bergmann-Pohls Prognose: Das Gesetz werde in seiner jetzigen Form nicht zustande kommen. Zwar werde die Opposition "keine Blockadehaltung machen", aber man sei eindeutig gegen staatliche Bevormundung und für eine stärkere Eigenverantwortung.

FDP-Vorschläge für ein "vernünftiges Gesundheitswesen"

Als gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion überbrachte Dr. Dieter Thomae die Grußworte seiner Partei. Das Budget sei, so Thomae, kein wirksames Instrument, es führe zu einer reinen Planwirtschaft und sei daher nicht akzeptabel. Außerdem zerstöre es die Freiberuflichkeit und zerschlage die Selbstverwaltungen - damit könne seine Partei nicht leben.

Die Positivliste werde nach Thomaes Ansicht erheblichen Einfluss auf die Forschungsaktivitäten in Deutschland haben, die forschende Industrie werden ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Wer sich wirklich mit der Positivliste auseinandergesetzt habe, sagte Thomae, wird nicht von Milliarden-Einsparungen sprechen. Richtig und aus anderen Ländern belegbar sei die Tatsache, dass eine Positivliste keine Kosteneinsparungen zur Folge habe, sondern die Therapiefreiheit der Ärzte einschränke.

Thomae nannte einige Punkte, die seiner Ansicht nach "Alternativen für ein vernünftiges Gesundheitswesen" seien:

  • Über Selbstbeteiligung müsse man reden, sie muss jedoch sozialverträglich gestaltet sein.
  • Ebenso müsse man über eine Abkoppelung der Lohnnebenkosten von den Gesundheitsausgaben reden, wenn unser bisheriges Leistungsniveau erhalten bleiben soll.
  • Man müsse vom Sachleistungssystem zum Kostenerstattungssystem kommen - mit vernünftiger Selbstbeteilligung und Sozialklauseln.
  • Wünschenswert seien mehr Flexibilität zwischen den einzelnen Kassen und Vertragspartnern, mehr Wahlfreiheit und Wahlmöglichkeiten für die Versicherten.
  • Die Politik müsse vernünftige Bedingungen schaffen, damit unser System international wirklich konkurrenzfähig bleibe.

Selbstmedikationspreis verliehen

Der Selbstmedikationspreis 1999 wurde anlässlich der BAH- Jahresversammlung dem Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft verliehen. Wie Burges ausführte, zeichnet der BAH mit dem Selbstmedikationspreis Personen oder Institutionen aus, die sich in besonderem Maße um die Selbstmedikation verdient gemacht hätten. Dem Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) sei es in den letzten Jahren beispielhaft gelungen, sagte Burges, die unterschiedlichen Anliegen der einzelnen Mitglieder in einem Hauptinteresse zu bündeln: Dem Wunsch nach Erhalt der Werbung als wesentliches Instrument des Wettbewerbs, ohne das das System der sozialen Marktwirtschaft nicht funktionsfähig wäre. In seinem Einsatz für die Werbefreiheit sei und bleibe der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft unverzichtbar, betonte Burges, der den Preis an den ZAW-Hauptgeschäftsführer Albrecht überreichte.

Gegen das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung in seiner jetzt vorliegenden Form, für eine angemessene Selbstbeteiligung der Patienten, auch durch Selbstmedikation, sowie für eine Stärkung der Eigenverantwortung hat sich der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) auf seiner 45. Jahresversammlung am 23. September in Berlin ausgesprochen.

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