Arzneimittel und Therapie

Brustkrebs: Das Verständnis von der Krankheit wandelt sich

Das Verständnis für die Entstehungsmechanismen von Brustkrebs hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt: Brustkrebs wird heute nicht mehr als eine lokale, sondern als eine systemische Erkrankung verstanden. Das hat Konsequenzen für die Therapie.

Das Brustkrebsrisiko in den Industrienationen ist sehr hoch: Etwa jede achte bis zehnte Frau wird in ihrem Leben von dieser Erkrankung betroffen sein. Risikofaktoren sind neben dem Alter - ab etwa 50 Jahren steigt das Risiko steil an - und der genetischen Prädisposition unter anderem Kinderlosigkeit.

Gleichgewicht zwischen entarteten und gesunden Zellen

Brustkrebs wird heute als systemische Erkrankung angesehen, bei der der Lymphknotenbefall nicht der Ausgangspunkt für die Ausbreitung einer lokalisierten Erkrankung ist, sondern die zugrunde liegende Aggressivität der Erkrankung ausdrückt. Bei weniger als 10% der Patientinnen kann die Erkrankung durch eine ausschließlich lokoregionäre Therapie geheilt werden. Bei allen anderen Patientinnen liegen Mikrometastasen vor.

Eine Brustkrebserkrankung kann also mit der Entfernung des Primärtumors bei weitem nicht als geheilt betrachtet werden: Metastasen treten bevorzugt drei und sieben bis neun Jahre nach der Entfernung des Primärtumors auf, können aber auch noch 30 Jahre später vorkommen. Wahrscheinlich überleben die entarteten Epithelzellen so lange in der G0-Phase des Zellzyklus. Aber was bringt die Zellen nach einer so langen Zeit wieder dazu, aktiv zu werden?

Mehrere biologische Faktoren sind für das Wachstum von Brustkrebszellen verantwortlich. Dazu gehören der Tumorwachstumsfaktor TGF und der Insulin-like Growth Factor (IGF), Progesteron, Östrogen und Veränderungen im p53-Gen. Diese Faktoren steuern das Wachstum, die Gefäßbildung und die Apoptose in der Umgebung entarteter Zellen. Von ihrem Gleichgewicht hängt es ab, wie stabil die Komplexe aus entarteten und gesunden Zellen sind.

Statt der Vorstellung, dass Mikrometastasen als autonome Tumorzellgruppen nach einer linearen Dynamik wachsen, werden diese also als "Mikroorganismen" betrachtet, die sich in einem Zustand des Gleichgewichts in der Nähe einer "chaotischen Grenze" befinden. Bei der operativen Entfernung des Primärtumors wird das Gleichgewicht gestört, und bisher schlummernde entartete Zellen können zu wachsen beginnen - drei Jahre nach der Operation steigt dann das Rezidivrisiko steil an.

Das Gleichgewicht medikamentös beeinflussen

Nach der Entfernung des Primärtumors muss folglich das Metastasenwachstum wirksam unterdrückt werden. Dazu werden vor allem Arzneimittel mit Wirkung auf das Hormonsystem eingesetzt. Diese primäre endokrine Therapie nach der Entfernung des Tumors hat zwei Ziele:

  • die Unterdrückung der endogenen Östrogenbildung und
  • die Blockade der Östrogenwirkung an den Rezeptoren.

Dazu werden verschiedene Arzneistoffgruppen eingesetzt: LH-RH-Superagonisten, Antiöstrogene, Aromataseinhibitoren, selektive Östrogenrezeptor-Antagonisten wie Tamoxifen und Kombinationstherapien.

Am häufigsten eingesetzt: Tamoxifen

Das am häufigsten nach Brustkrebsoperationen eingesetzte Hormonpräparat ist das Antiöstrogen Tamoxifen. Tamoxifen wurde Anfang der sechziger Jahre entdeckt und wird heute weltweit bei prä- und bei postmenopausalen Frauen zur Behandlung des Mammakarzinoms eingesetzt, und zwar sowohl zur adjuvanten Therapie der frühen Erkrankung als auch zur Therapie von Brustkrebs im Spätstadium. Tamoxifen wirkt nicht nur über seine Bindung an den Östrogenrezeptor, sondern fördert außerdem die Bildung wachstumshemmender Faktoren wie TGF-beta und hemmt die Bildung wachstumsfördernder Faktoren wie IGF-I.

Partieller Östrogenagonist/Östrogenantagonist

Tamoxifen wirkt als partieller Östrogenagonist/-antagonist. In der Leber weist Tamoxifen östrogenagonistische Eigenschaften auf, die zu einer Reduktion des Cholesterinspiegels führen können; am Knochen haben die östrogenagonistischen Eigenschaften eine verbesserte Knochendichte zur Folge; am Uterus verursacht die agonistische Wirkung bei manchen Patientinnen eine Endometriumproliferation und Endometriumkarzinome.

Die unterschiedliche Wirkung von Tamoxifen auf die unterschiedlichen Gewebe kommt durch verschiedene Faktoren zustande. Es gibt mindestens zwei Östrogenrezeptoren, ERa und ERb, die eine unterschiedliche Gewebeverteilung und etwas unterschiedliche Funktionen aufweisen. Außerdem gibt es eine Vielzahl koregulatorischer Proteine, die direkt mit dem Rezeptor interagieren und dadurch seine Funktion modifizieren.

In Gegenwart von Tamoxifen gebundene Korepressoren sind für den antiöstrogenen Effekt entscheidend. Ein Überangebot an Koaktivatoren im Verhältnis zu Korepressoren wandelt Tamoxifen vom Antagonisten zum Agonisten um. Die spezifische Verteilung von koregulatorischen Proteinen in einer bestimmten Zelle sowie der Typ des Östrogenrezeptors können daher dazu beitragen, festzulegen, ob sich Tamoxifen als Östrogenagonist oder -antagonist verhält.

Präventive Wirkung von Tamoxifen

In einer amerikanischen Studie mit 13388 Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko wurde gefunden, dass Tamoxifen (20 mg/Tag) die Inzidenz des Mammakarzinoms innerhalb von 69 Monaten deutlich reduzierte. Dabei senkte Tamoxifen das Risiko für ein invasives Mammakarzinom um 49%, in einzelnen Untergruppen mit einem erhöhten Risiko für dieses Karzinom sogar um 56 und 86%. Das Risiko für ein nicht-invasives Mammakarzinom sank um 50%. Tamoxifen reduzierte dabei vor allem das Risiko für Östrogenrezeptor-positive Tumoren, während für Östrogenrezeptor-negative Tumoren keine Risikoreduktion feststellbar war.

Ungeklärt ist bis jetzt, ob Tamoxifen die Entartung von Brustdrüsenzellen verhindert oder lediglich das Wachstum von Vorstufen hemmt. Wäre Letzteres der Fall, müsste Tamoxifen lebenslang eingenommen werden. Das aber ist problematisch: Bei Frauen über 50Jahre kamen nämlich unter der Tamoxifen-Therapie Endometriumkarzinome häufiger vor, und auch das Risiko für Lungenembolien stieg.

Derzeit werden weitere Studien zur medikamentösen Prävention des Mammakarzinoms durchgeführt oder sind in Planung, unter anderem auch mit dem neuen Östrogenrezeptor-Antagonisten Raloxifen. Raloxifen wirkt im Gegensatz zu Tamoxifen am Endometrium östrogenantagonistisch und könnte daher das Endometriumkarzinomrisiko senken. Eine weitere Substanz dieser Gruppe in der Entwicklung ist Idoxifen.

Quelle M. Baum, London; V.J. Jordan, Chicago; B.Fisher, Pittsburgh; W. Eiermann, München; M.Kaufmann, Frankfurt/M.; W.Jonat, Kiel; C.K. Osborne, Houston. International Symposia Cambridge MMW Drug Award, Cambridge, 28. bis 30.August 1999, veranstaltet von Zeneca, Schwetzingen und MMW-Fortschritte der Medizin, München, anlässlich der Verleihung des "MMW-Arzneimittelpreis" an Tamoxifen (Novaldex®) als "Arzneimittel des Jahres 1999".

Brustkrebs wirkungsvoll vorbeugen können! Ob dieser Traum jemals Realität werden wird, ist derzeit völlig offen. Es gibt jedoch ernsthafte Bestrebungen in diese Richtung. Im Visier haben die Forscher die selektiven Östrogenrezeptormodulatoren, kurz "SERM" genannt. Die MORE (Multiple Outcomes of Raloxifene Evaluation)-Studie, in der die Präventivwirkung von Raloxifen untersucht wurde, zeigte nun, dass die Spur prinzipiell stimmen könnte: Raloxifen senkt das Brustkrebsrisiko und erhöht außerdem die Knochendichte.

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