Geschichte

B. UnterhaltGoethe und die Pharmazie - Vom Umgang de

Über Goethes Beziehungen zu den Naturwissenschaften, auch zur Chemie, ist sehr viel geschrieben worden [1, 18, 22]. Doch wie steht es mit Goethes Beziehungen zur Pharmazie und zu Apothekern im Besonderen? Sein 250. Geburtsjahr soll Anlass sein, einige Gedanken zu diesem Fragenkomplex festzuhalten. Der Chemiker Paul Walden betonte bereits 1930 [2]: "Es ist ein Ehrentitel der deutschen Apotheker, dass sie die chemischen Lehrer eines Goethe sein durften".

Am 3. Oktober 1765 traf der 16-jährige Johann Wolfgang Goethe aus Frankfurt am Main in Leipzig ein und begann mit seinen Studien, die sich nicht nur auf Jurisprudenz, sondern auch auf Philosophie, Philologie und darüber hinaus auf Physik erstreckten. Er hatte bei dem Medizinprofessor Hofrat C. G. Ludwig (1709-1773) seinen Mittagstisch und hörte dort in Gesprächen mit angehenden Ärzten zum erstenmal von den größten Naturforschern seiner Zeit.

Heilung durch Geheimmittel

Ende Juli 1768 erkrankte er schwer (Blutsturz und Lungenaffektion) und verließ am 28. August desselben Jahres, seinem 19. Geburtstag, mit einer Geschwulst an der linken Seite des Halses Leipzig in Richtung seiner Vaterstadt. Dort mussten ein Chirurg (Grasemann bzw. Crisp) und ein Arzt (Dr. J. F. Metz) konsultiert werden.

Die "Exkreszenz" wurde nach der Reife aufgeschnitten und bis zum Ende der Heilung fortdauernd mit Höllenstein und anderen ätzenden Dingen betupft. Ansonsten kurierte Dr. Metz auch mit Geheimmitteln: Der Arzt, ein unerklärlicher, schlau blickender, freundlich sprechender, übrigens abstruser Mann, der sich in dem frommen Kreise ein ganz besonderes Zutrauen erworben hatte. Tätig und aufmerksam war er den Kranken tröstlich; mehr aber als durch alles erweiterte er seine Kundschaft durch die Gabe, einige geheimnisvolle selbstbereitete Arzneien im Hintergrunde zu zeigen, von denen niemand sprechen durfte, weil bei uns den Ärzten die eigene Dispensation streng verboten war. Mit gewissen Pulvern, die irgend ein Digestiv sein mochten, tat er nicht so geheim; aber von jenem wichtigen Salze, das nur in den größten Gefahren angewendet werden durfte, war nur unter den Gläubigen die Rede, ob es gleich noch niemand gesehen, oder die Wirkung davon gespürt hatte.

Während der Krankheit befasste Goethe sich - unter Anleitung von Susanna Katharina von Klettenberg (1723-1774) - mit Alchemie und studierte die Werke von Paracelsus, Basilius Valentinus, van Helmont, Starkey und von Welling [3, 18]. Als es ihm einmal sehr schlecht ging ("vernichtete Verdauung"), bat seine Mutter den Arzt Dr. Metz um seine Universalmedizin:

Nach langem Widerstande eilte er tief in der Nacht nach Hause und kam mit einem Gläschen kristallisierten trocknen Salzes zurück, welches in Wasser aufgelöst von dem Patienten verschluckt wurde und einen entschieden alkalischen Geschmack hatte. Das Salz war kaum genommen, so zeigte sich eine Erleichterung des Zustandes, und von dem Augenblick an nahm die Krankheit eine Wendung, die stufenweise zur Besserung führte. Vermutlich handelte es sich um Glaubersalz bzw. eine Mischung aus Glaubersalz und Bittersalz [2].

Chemisches Dilettieren

Nach der Genesung im Frühjahr 1769 begann Goethe mit eigenen chemischen Experimenten, z.B. stellte er Liquor silicum (Kieselsaft) her, wozu etwa 1g Kieselstein und 6 bis 7 g NaOH bei 550 °C zu schmelzen sind [1].

Im April 1770 setzte Goethe sein Studium in Straßburg fort und beendete es am 6. August 1771 mit der Promotion zum "Licentiatus Iuris". Er besuchte regelmäßig einen Mittagstisch, wo er "nichts anderes als medizinische Gespräche" hörte und hörte im zweiten Semester die chemische Vorlesung von Jacob Reinbold Spielmann (1722 bis 1783), dem Besitzer der Hirsch-Apotheke zu Straßburg und Ordinarius für Medizin (seit 1759), der neben Chemie auch Botanik und Arzneimittellehre las. Sein Chemieunterricht, den er im Laboratorium seiner Apotheke hielt, zog viele Studenten an.

Goethe hat Spielmanns Werk "Institutiones chemiae praelectionibus academicis adcommodatae" nach Frankfurt mitgenommen und wohl auch bei seinen späteren Fauststudien benutzt. Die Worte des Mephisto über die "Encheiresis naturae" (Verknüpfung und Verkettung aller Dinge) in der Schülerszene sind nach von Lippmann auf eine Stelle in den "Institutiones" zurückzuführen [4].

Berufung nach Weimar

Am 7. November 1775 kam Goethe auf Einladung des Großherzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757-1828) nach Weimar und trat am 11. Juni 1776 in den Staatsdienst ein: Er wurde Geheimer Legationsrat mit Sitz im Geheimen Consilium. Nach einer Besichtigung der stillgelegten Silber- und Kupferbergwerke in Ilmenau wurden ihm sämtliche Bergwerksangelegenheiten übertragen.

Am 29. November 1777 begann Goethe seine erste Harzreise. Diese führte ihn u. a. über Wernigerode und Goslar nach Clausthal, wo er den Ratsapotheker Johann Christoph Ilsemann (1729-1822) besuchte [5]. Dieser besaß eine prachtvolle Mineraliensammlung, und vermutlich erhielt Goethe von ihm Anregungen zu seiner eigenen Sammlung, die mit etwa 18000 Stücken wohlgeordnet erhalten blieb.

Chlor und Schwefelwasserstoff

Goethes Ansprechpartner in Sachen Chemie war in Weimar zuerst der Arzt-Apotheker Wilhelm Heinrich Sebastian Bucholz (1734- 1798). Nachdem er früher als Gehilfe in der Hof-Apotheke gearbeitet und sich darauf der Medizin zugewandt hatte (1763 Dr. med.), hatte seine erste Frau 1767 die Hof-Apotheke erworben und diese 1773 an ihn abgetreten.

Von Bucholz bezog Goethe Medikamente und Chemikalien. Oft mag der Dichter in der Apotheke zu Gast gewesen sein und mit Bucholz experimentiert haben. In seinen Tagebuchaufzeichnungen findet sich: 11. Januar 1777 "zu Bucholz", 16. Januar 1777 "Abend Bucholz", 24. Februar 1779 "Nach Tisch Bucholz und Sievers". Es ist bekannt, dass sich beide mit "dephlogistisierter Salzsäure" (Chlorgas) beschäftigten. Auch brachte Goethe das Wasser einer vermuteten Heilquelle zur Analyse selbst in die Apotheke [6]. Er würdigte Bucholz folgendermaßen:

Was die Chemie betrifft, so dürfen wir uns derselben vorzüglich rühmen. Herr Bergrat Bucholz hat, von den frühesten Zeiten her, mit der Wissenschaft gleichen Schritt gehalten und die interessantesten Erfahrungen teils selbst gemacht, teils erst mitgeteilt und ausgebreitet.

1791 wurde die "Freitagsgesellschaft" gegründet [7], nach Goethes Worten "eine Gesellschaft hochgebildeter Männer". Als man sich am 9. September zur ersten Zusammenkunft einfand, hatte Bucholz die Ehre, gleich nach Goethes Ausführungen mit einem Experimentalvortrag über die "Wirkung gepulverter Kohlen auf faulendes Wasser" zu folgen. Damit demonstrierte er die Adsorption von gelöstem Schwefelwasserstoff an Holzkohle [18].

Heißluftballons

In Weimar fanden die Ballonfahrten der Brüder Montgolfier lebhaften Widerhall. Bucholz "peinigte" schon seit 1783 "vergebens die Lüfte". Umfangreichere Versuche unternahm man, nachdem der Großherzog im Februar 1784 "zum erstenmale cum successu einen kleinen Luftball aus Ochsenblasen hatte steigen lassen". Im Laufe dieses und des folgenden Jahres wurden derartige Versuche in größerem Maßstab ausgeführt. Goethe schildert Bucholz' Bemühungen folgendermaßen:

So ließ er denn auch eine der ersten Montgolfieren von unsern Terassen zum Ergetzen der Unterrichteten in die Höhe steigen, indessen die Menge sich vor Erstaunen kaum zu fassen wußte und in der Luft die verschüchterten Tauben scharenweise hin- und wiederflüchteten.

Bucholz besaß auch einen Kräutergarten, aber sein Interesse beschränkte sich nicht auf die Heil- und Gewürzpflanzen. So wie er "von seinem Dispensatorium sich in die höhere Chemie wagte", berichtet Goethe, "so schritt er auch aus den engen Gewürzbeeten in die freiere Pflanzenwelt. In seinen Gärten hatte er nicht die offizinellen Gewächse nur, sondern auch seltenere, neu bekannt gewordene Pflanzen für die Wissenschaft zu pflegen unternommen".

"Apothekerchymie" an der Universität Jena

Bucholz förderte begabte junge Mitarbeiter. So erwarb sich J. B. Trommsdorff (1770-1837) bei ihm ein grundlegendes Wissen in Theorie und Praxis. Aus der Weimarer Hof-Apotheke ging auch Johann Friedrich August Göttling (1755-1809) hervor, den Carl August und Goethe studieren ließen, damit er "ein tüchtiger Lehrer der Physik und Chemie und der Technologie in Jena werden könne".

Seit 1775 hatte er als Gehilfe in der Weimarer Hof-Apotheke gearbeitet, bereits 1778 verfasste Göttling sein erstes Buch "Einleitung in die pharmaceutische Chemie für Lernende", und seit 1780 gab er den "Almanach oder Taschenbuch für Scheidekünstler und Apotheker" [21], das erste größere Periodikum für Apotheker, heraus. 1785 erhielt er ein Stipendium zum Studium in Göttingen.

1787 bereiste er die Niederlande und England, um Fabriken und technische Einrichtungen zu besichtigen und sich über das Apothekenwesen zu informieren. 1789 ohne lateinische Dissertation zum Dr. phil. promoviert, wurde er im selben Jahr als a.o. Professor nach Jena berufen, um an der Philosophischen Fakultät Chemie, Pharmazie und Technologie zu lesen. So behandelte er z.B. "Pharmaciam practicam" und bekam beim Lesen der "Apothekerchymie" Schwierigkeiten mit der Medizinischen Fakultät, die dieses Gebiet für sich reklamierte [8, 20].

Göttling präsentierte eine Fülle praktischer und theoretischer Ergebnisse und vernachlässigte weder die Erforschung der theoretischen Grundlagen noch didaktische Probleme. Er griff z. B. die Marggrafsche Entdeckung auf und stellte als erster in Thüringen Rübenzucker her.

Göttlings Vorstellungen sind in Goethes "Wahlverwandtschaften" nachzuweisen [9] und auch in der "Farbenlehre" festzustellen. Göttling war neben Klaproth (1743-1814) einer der ersten in Deutschland, die sich für die antiphlogistischen Auffassungen Lavoisiers einsetzten.

Genialer Praktiker gesucht

Kurz nachdem Göttling 1809 zum Ordinarius ernannt worden war, starb er. Darauf versuchte Goethe, einen würdigen Nachfolger zu finden. Er hoffte, J. B. Trommsdorff, der bei Bucholz gelernt hatte und seit 1795 ein privates pharmazeutisches Institut in Erfurt mit großem Erfolg leitete, zur Bewerbung veranlassen zu können. Während Goethe noch auf eine Bewerbung von Trommsdorff wartete, wandte sich Carl August an den aus der Pharmazie hervorgegangenen Münchner Professor Adolf Ferdinand Gehlen (1775-1815), damit dieser ihm jemanden nenne, "der zugleich Vertreter der praktischen Chemie sein könne" und "Genialität in den Naturwissenschaften mit praktischer Tendenz vereine". Gehlen empfahl einen stellungslosen Apotheker, der ihm durch einige ungewöhnliche Publikationen chemischer Natur aufgefallen war [10]: So kam Döbereiner nach Jena.

Der Mann mit dem Feuerzeug

Johann Wolfgang Döbereiner (1780 bis 1849) war u.a. als Gehilfe in der Spielmannschen Hirsch-Apotheke zu Straßburg tätig gewesen und hatte eine kleine Fabrik für pharmazeutisch-chemische Präparate geleitet, aber an keiner Universität studiert. Er war deshalb völlig überrascht, als ihn 1810 ein Brief des Prorektors der Universität Jena erreichte, in dem Carl August ihm anbot, den freigewordenen Lehrstuhl für Chemie und Technologie als a.o. Professor zu übernehmen. Döbereiner nahm an, worauf ihm die Philosophische Fakultät in Anerkennung seiner bisherigen Veröffentlichungen den Doktortitel verlieh [11]. Im WS 1810/11 begann Döbereiner mit seinen Vorlesungen, die sich bis 1819 auch auf die Pharmazie erstreckten. 1819 wurde er zum Ordinarius für Chemie ernannt; darauf gab er die pharmazeutischen Vorlesungen an Göbel ab (s.u.).

In seinem ersten Brief an Döbereiner vom 6. November 1810 lud Goethe ihn zu einem Besuch nach Weimar ein, "um in den nächsten Tagen den hiesigen Vorrat eines chemischen Apparats anzusehen, und zugleich auch, was etwa von dem Göttlingischen zu akquirieren sein möchte, zu überlegen; wie sich denn bei dieser Gelegenheit noch manches andere wird besprechen lassen".

Döbereiner kam sofort und legte in zweitägigen Verhandlungen seine Ansichten über die Neugestaltung des chemischen Unterrichts dar. Am 9. Dezember 1812 erhielt Goethe "Döbereiners Bericht über seine wissenschaftliche Tätigkeit im vorigen Jahr", worauf er ihm am nächsten Tag einen Brief schrieb, der nicht nur sein enges Verhältnis zu Döbereiner, sondern auch seine Anteilnahme an der Chemie verdeutlicht:

Ew. Wohlgeboren haben mir durch die übersendete gründliche geistreiche Darstellung Ihrer diesjährigen Tätigkeit ein großes Vergnügen gemacht, indem ich dadurch sowohl in den Stand gesetzt bin, das was Sie geleistet haben, entschiedener zu schätzen, als auch angereizt werde, an Ihrer herrlichen Wissenschaft innigeren Anteil zu nehmen. Möge die Heiterkeit, mit der Sie selbst wirken und an dem Wirken anderer Teil nehmen, Sie immerfort begleiten. Der Frohsinn ist so wie im Leben, also auch in Kunst und Wissenschaft der beste Schutz- und Hülfspatron.

Döbereiners "Lehrbuch der allgemeinen Chemie, zum Gebrauche seiner Vorlesungen entworfen" erschien in zwei Bänden 1811/1812 und ist Großherzog Carl August gewidmet. 1814 veröffentlichte er die "Elemente der pharmazeutischen Chemie" und 1816 das "Handbuch der pharmazeutischen Chemie".

Der umfangreiche Briefwechsel zwischen Goethe und Döbereiner beweist die Fülle der Belehrung, die Goethe durch Döbereiner, die Fülle der Anregungen, die Döbereiner durch Goethe erfuhr. Es gab kaum ein Gebiet der Naturwissenschaften, das nicht ernsthaft erörtert wurde. Wie sehr Döbereiner an Goethe hing, ging daraus hervor, dass er fünf ehrenvolle Rufe anderer Universitäten ablehnte, ohne überhaupt zu verhandeln, "aus fortdauernder Treue und Dankbarkeit für die Allerhöchsten Herrschaften und Goethe".

Döbereiners Ruhm beruhte auf theoretischen Erkenntnissen und technischen Erfindungen. Die Beschäftigung mit Platin zeitigte 1823 seine wohl größte Leistung, nämlich die Beobachtung, dass sich ein Gemisch aus Wasserstoff und Luft bei gewöhnlicher Temperatur an einem Platinschwamm augenblicklich entzündet. Diese von Berzelius (1779-1848) als "brillant" gefeierte Erkenntnis führte Döbereiner nicht nur zur Konstruktion seines berühmten Feuerzeugs sowie verschiedener Leuchtgeräte und "Duftlämpchen", sondern auch zu weiteren Arbeiten auf dem Gebiet der Katalyse [12]. Zudem ist Döbereiner in der wissenschaftlichen Glasschmelze ein wichtiger Vorläufer von Abbe und Schott in Jena [13].

Die organisch-chemische Operation des Lebens erforschen

Carl Christoph Traugott Friedemann Göbel (1794-1851), der ab 1820 die pharmazeutischen Vorlesungen in Jena hielt, war dort 1818 promoviert worden und hatte im selben Jahr die Universitäts-Apotheke gepachtet. 1821 richtete er ein pharmazeutisches Privatinstitut ein, das bis 1828 bestand. 1824 wurde er Apotheken-Revisor im Großherzogtum, 1825 a.o. Professor für Pharmazie an der Universität Jena, folgte aber 1828 einem Ruf als Ordinarius für Chemie und Pharmazie nach Dorpat.

Göbels Nachfolger im Amt war Heinrich Wilhelm Ferdinand Wackenroder (1798-1854). Er gilt als eigentlicher Begründer der wissenschaftlichen Pharmazie in Jena. Nach Lehr- und Wanderjahren und dem Studium der Chemie, Pharmazie und Medizin bei F. Stromeyer (1776-1836) in Göttingen wurde er 1828 als a. o. Professor nach Jena berufen. Dort übernahm er das 1828 geschlossene pharmazeutische Privatinstitut Göbels, um es Ostern 1829 wieder zu eröffnen. 1838 erhielt er eine o. Professur. Wackenroder las Pharmazie, Phytochemie, Analytische Chemie sowie Zoochemie. Nach Döbereiners Tod kam noch die Allgemeine Chemie hinzu [14].

Wackenroder, der Corydalin, Carotin und Solanin entdeckte, veröffentlichte zahlreiche organisch- und pharmazeutisch-chemische sowie technische Arbeiten. Besonders bekannt ist die "Wackenrodersche Flüssigkeit", eine Mischung aus Polythionsäuren und anderen Sauerstoffsäuren des Schwefels. Diese entsteht, wenn man in eine wässrige SO2-Lösung langsam H2S einleitet. Aus dem Briefwechsel Goethes mit Wackenroder, der zwischen 1830 und 1832 elf Schreiben umfasst [15], sei ein Abschnitt aus dem letzten Brief vom 21. Januar 1832 zitiert, in dem Goethe nach den chemischen Grundlagen des pflanzlichen Lebens fragte:

Ew. Wohlgeboren bin ich für verschiedene Sendungen und Mitteilungen einen aufrichtigen Dank schuldig geblieben, welchen ich nicht länger, und wäre es auch nur einigermaßen, auszudrücken zaudern darf. Lassen Sie mich daher bei dem Letztern verweilen und bei der Pflanzen-Chemie mich aufhalten. Es interessiert mich höchlich, inwiefern es möglich sei, der organisch-chemischen Operation des Lebens beizukommen, durch welche die Metamorphose der Pflanzen nach einem und denselben Gesetz auf die mannigfaltigste Weise bewirkt wird.

Bilsenkraut und Kaffeebohnen

Die Liste hervorragender Pharmazeuten, die mit Goethe in Verbindung standen, gehört auch Friedlieb Ferdinand Runge (1794-1867) an. Nach Apothekerlehre und Medizinstudium war er ab 1819 Chemiestudent bei Döbereiner in Jena. Rückblickend schrieb er über seinen Lehrer und seine Begegnung mit Goethe [16]:

Man kann sich leicht denken, was ein Mann, wie Doebereiner, auf mich für einen Einfluß hatte. Ich stellte mich ihm als Schüler vor, in der Erwartung, einen Lehrer zu finden; ich fand mehr, ich fand einen Freund. Meine chemischen Untersuchungen der Giftpflanzen, die ich schon in Göttingen begonnen hatte, gedachte ich in Jena zu vollenden und legte Doebereiner die bis dahin gewonnenen Ergebnisse vor. Er war freudig erstaunt, als ich ihm sagte, daß ich nicht nur im Stande sei, das Giftigwirkende des Bilsenkrautes (Hyoscyamus), der Tollkirsche (Belladonna) und des Stechapfels (Datura) für sich als einzelne Stoffe darzustellen, sondern auch das Mittel gefunden habe, das Vorhandensein dieser Giftstoffe in Speisen und Getränken, sowie in damit vergifteten Thieren und Menschen nachzuweisen...

Ich hatte die Genugtuung, daß Doebereiner mir seinen ganzen Beifall zollte und mir beim Abschied dankte für die höchst-belehrenden Versuche. "Sie sind von der höchsten Wichtigkeit", sagte er, "und noch heute Abend werde ich Goethe davon erzählen". Schon am andern Tage Nachmittags stand Doebereiner unter meinem Fenster und rief zu mir hinauf: "Ich habe nicht lange Zeit, aber ich komme in einer für Sie wichtigen Angelegenheit. Ich war bei Goethe, sprach ihn gestern und sprach ihn jetzt. Er will Sie durchaus kennen lernen und Ihre Versuche selbst sehen. Gehen Sie hin. Morgen Nachmittag erwartet er Sie. Versäumen Sie es ja nicht. Eine solche Gelegenheit kommt alle hundert Jahre nur einmal vor". Zusammen mit seinem Versuchstier, einer Katze, betrat Runge Goethes Wohnung und begann, die Wirkung von Atropin auf das Auge zu demonstrieren.

Ich bog nun den Katzenkopf so, daß die Tageslicht-Beleuchtung beide Augen gleichmäßig traf, und mit Erstaunen bemerkte Goethe den Unterschied an beiden Augen: neben der schmalen Spalte in dem einen Auge fiel das große runde Sehloch in dem andern um so mehr auf, da vermöge einer etwas starken Gabe fast die ganze Regenbogenhaut sich zurückgezogen hatte und unsichtbar war. "Womit haben Sie diese Wirkung hervorgebracht?" fragte Goethe. - "Mit Bilsenkraut, Excellenz! Ich habe den unvermischten Saft ins Auge gebracht, darum ist die Wirkung so stark." - "Doebereiner hat mir gesagt", bemerkte Goethe, "daß die Arten der Gattung Belladonna und Datura auf ganz gleiche Weise wirken wie die von Hyoscyamus, und daß Sie gefunden haben, der das Auge so sehr verändernde Stoff befinde sich in allen Theilen der Pflanze, von der Wurzel bis zur Blüthe, Frucht und Samen. Wie verhält es sich mit anderen Pflanzen, besonders solchen, die eine verwandtschaftliche Gestalt haben?" - "Ein mir bekannter Arzt, Dr. Carl Heise, hat, veranlaßt durch die auffallende Wirkung der genannten Pflanzen, eine sehr umfassende Arbeit unternommen und durchgeführt, und dadurch bewiesen, daß nur die Pflanzen der drei oben genannten Gattungen eine den Augenstern erweiternde Kraft besitzen. Alle anderen Pflanzen, deren er unzählige in ihrer Einwirkung auf's Katzenauge versuchte, zeigten sich völlig wirkungslos, ausgenommen einige, die aber das Gegenteil bewirkten, nämlich eine Verengung oder Verkleinerung des Sehlochs, z. B. Aconitum." - "Ei", sagte Goethe, "da könnte man ja auch auf diese Weise das echte Gegenmittel gegen die schädlichen Wirkungen der Tollkirsche u.s.w. entdecken. Versuchen Sie dies doch einmal und lassen Sie von den beiden entgegengesetzt wirkenden Pflanzen nacheinander oder gleichzeitig Etwas auf's Katzenauge einwirken, und beobachten Sie den Erfolg. Die Sache hat ihre Schwierigkeit, aber Sie werden sie schon überwinden. Nun sagen Sie mir aber, wie sind Sie auf diese eigenthümliche Art von organischer Chemie gekommen?"

Runge erzählte nun Goethe, wie ihm in der Rats-Apotheke zu Lübeck bei der Auflösung von eingedicktem Bilsenkraut ein Tropfen ins Auge gespritzt war, worauf die Sehkraft nachließ. Er fügte hinzu, dass er einen Freund "auf 24 Stunden erblinden" ließ, um ihn vor dem Kriegsdienst zu bewahren. Nachdem sich Goethe die Erzählung mit größter Zufriedenheit angehört hatte, übergab er Runge eine Schachtel mit Kaffeebohnen mit den Worten: "Auch diese könnten Sie zu ihren Untersuchungen brauchen." In der Tat entdeckte Runge bald darauf das Coffein.

Ein merkwürdiges Zusammentreffen! Eine in der Apothekenpraxis gemachte Zufallsentdeckung führte einen jungen Apotheker zu Goethe, und eine gleichfalls zufällige Anregung des Dichters ergibt einen neuen pharmazeutisch bedeutsamen Fund.

Apotheker pflegen die Wissenschaft

Es ist sicher kein Zufall, dass die erste bedeutsame Anerkennung, die dem Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner (1783- 1841), dem Entdecker des Morphins, zuteil wurde, die am 14. März 1817 erfolgte Ernennung zum auswärtigen außerordentlichen Mitglied der "Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena" war, als deren Präsident Goethe fungierte. Ebenso war es die Universität Jena, von der Sertürner einen Monat später zum Dr. phil. promoviert wurde.

Simon Rudolph Brandes (1795- 1842), den Inhaber der Apotheke in Bad Salzuflen und Vorsitzenden des Apotheker-Vereins im nördlichen Teutschland, lernte Goethe 1820 in Jena kennen. Daran schloss sich ein reger Briefwechsel an. Brandes übersandte Goethe sein meteorologisches Tagebuch und sonstige Arbeiten, wurde mit weimarischen Medaillen ausgezeichnet und ist von Goethe mehrfach anerkennend genannt worden. Das Hauptergebnis dieser Beziehung war, dass Goethe am 6. Februar 1822 zum Ehrenmitglied des Apothekervereins ernannt wurde [17].

Die Stellung des Verwaltungsbeamten Goethe zur praktischen Pharmazie kommt in einem Schreiben an seinen Großherzog vom 2. März 1825 zum Ausdruck: "Auch ist der Verein, dem Brandes vorsteht, sehr löblich. Es haben nämlich die Apotheker von Niedersachsen sich verbunden, einander selbst zu controllieren, wodurch die den Regierungen sonst obliegenden Visitationen, wo nicht entbehrlich gemacht, doch wenigstens sehr erleichtert und gesichert werden".

Dem Apotheker von Falkenau (Sokolov, zwischen Karlsbad und Eger) gegenüber fällte Goethe folgendes Werturteil [10]: "Bei uns im Weimarischen, wie überhaupt in Deutschland, nimmt der Apotheker eine sehr geachtete Stellung in der Gesellschaft ein. Den Naturwissenschaften, insbesondere der Chemie, verdankt auch die Pharmazie ihre gegenwärtige Bedeutung als Kunst und Wissenschaft. Unsere Apotheker schätzen und pflegen die Wissenschaft und sind bestrebt, diese der praktischen Pharmazie dienstbar zu machen". Dem ist m.E. nichts hinzuzufügen!

Literatur [1] G. Schwedt: Goethe als Chemiker. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1998. [2] P. Walden: Angew. Chem. 43, 792 (1930). [3] F. Nager: Der heilkundige Dichter: Goethe und die Medizin. Zürich/München 1990. [4] E. O. v. Lippmann: Chem.-Ztg. 51, 363 (1927); ibid. 31, 461 (1907). [5] G. E. Dann: Dtsch. Apoth.-Ztg. 114, 1769 (1974). [6] R. Möller: Pharmazie 15, 181 (1960). [7] G. Schwedt: Naturw. Rdsch. 52, 5 (1999). [8] W. Schneider: Pharm. Ind. 17, 28 (1955). [9] H. Grünbaum: Chem.-Ztg. 32, 1173 (1908). [10] G. Urdang: Pharm. Ztg. 77, 333 (1932). [11] H.-D. Schwarz: Dtsch. Apoth. Ztg. 139, 3213 (1999). [12] F. Henrich: Angew. Chem. 36, 482 (1923). [13] J. Schiff: Chem.-Ztg. 47, 385 (1923). [14] H. Ludwig u. E. Reichardt: Arch. Pharm. 135, 101 (1856). [15] K. Brauer: Angew. Chem. 37, 185 (1924). [16] F. F. Runge: Hauswirthschaftliche Briefe, Nr. 36, 1866, Nachdruck Weinheim 1988. [17] H. Zimmermann: Simon Rudolph Brandes (1795-1842). Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1985. [18] O. Krätz: Goethe und die Naturwissenschaften, 2. Aufl. Callwey, München 1998. [19] P. Ridder: Gesund mit Goethe. LIT, Münster 1995. [20] R. Stolz: Gesch. Pharm. 43, 55 (1991). [21] A. Wankmüller: Gesch. Pharm. 44, 60 (1992). [22] G. Schwedt: Gesch. Pharm. 51, 17 (1999).

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