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Apotheken in Italien: Bologna ist nicht London

Im italienischen Apothekenwesen gibt es ein Fremd- und Mehrbesitzverbot. Von dieser Ansicht ging man in deutschen pharmazeutischen Kreisen aus - bis eine Pressemitteilung der Pharmagroßhandlung Gehe im Frühjahr dieses Jahres erschien, man habe in der oberitalienischen Stadt Bologna 36 im Besitz der Gemeinde befindliche Apotheken aufgekauft. Wie konnte dies geschehen? War das Fremd- und Mehrbesitzverbot in Italien klammheimlich gefallen? Entstehen im südlichen EU-Land auf einmal englische Verhältnisse? Geht davon möglicherweise eine Gefahr für andere EU-Länder, vielleicht sogar für Deutschland aus? Wir sprachen Mitte Juli in Bologna mit Repräsentanten des Apothekerverbands Federfarma der Provinz Bologna und von Gehe, um zu erfahren, was es mit dem Aufkauf der Apotheken in Bologna auf sich hat.

Am Tag, als Gehe kam...,

... kam die Angst nach Bologna. "Die italienischen Apotheker stehen unter Schock", so schrieb eine italienische Tageszeitung, nachdem bekannt wurde, dass Gehe sich auf dem italienischen Markt eingekauft hatte. Nur kurze Zeit später hatte sich auch die englische Großhandlung Alliance Unichem im italienischen Badeort Rimini breit gemacht und acht Apotheken übernommen. Kein Wunder, wenn die Angst vor englischen Verhältnissen, der Einführung von Kettenapotheken und Drugstores unter italienischen Apothekerinnen und Apothekern umging.

Fremd- und Mehrbesitz in Italien erlaubt?

Der Vizepräsident der Apothekerkammer der Provinz Bozen, Dr. Liebl, prangerte auf der Eröffnungsveranstaltung des Fortbildungskongresses in Meran Ende Mai den Erwerb der bolognesischen Apotheken durch Gehe an. Es könnte, so die Befürchtung Liebls, der Anfang einer Umstrukturierung des italienischen Apothekenwesens sein. Prinzipiell sei es nämlich nicht gestattet, so erklärte er den deutschen Kolleginnen und Kollegen, in Italien genauso wie in Deutschland, mehr als eine Apotheke zu besitzen. Doch es gibt eine Ausnahmeregelung, die besagt, dass Städte und kleinere Gemeinden selbst eine oder mehrere Apotheken eröffnen und besitzen dürfen, wenn es ein bestimmter Verteilungsplan, der die Zahl der Einwohner zur Apothekenzahl in Beziehung setzt, erlaubt. Von dieser Möglichkeit machten zum Beispiel früher die Stadtväter von Mailand und Bologna Gebrauch. Hier gibt es neben den privaten Apotheken auch einige staatliche Pharmazien. Allerdings schreiben einige dieser Apotheken mittlerweile rote Zahlen, ein Grund dafür, dass sich die Gemeinden von diesen Apotheken trennen wollen und sie zur Privatisierung freigeben.

Die Pharmagroßhandlung Gehe nutzte diese Gelegenheit, ihre Präsenz auf dem italienischen Markt zu verstärken und kaufte sich in Bologna ein. Übernommen wurden 36 kommunale Apotheken der Stadt Bologna und umliegender Gemeinden und ein dazugehöriger Pharmagroßhandel mit einem Lager in Bologna. Gegen einen Betrag von 117 Millionen DM gingen 80 Prozent der Betreibergesellschaft dieser Apotheken, der AFM Bologna (Azienda Farmaceutica Munipalizzata), an Gehe über. Wie Vorstandsvorsitzender Dr. Fritz Österle auf der Gehe-Hauptversammlung Anfang Juni erläuterte, habe "die Akquisition der AFM Bologna und damit einer kleinen AAH/Lloyds-Gruppe eine hohe strategische Bedeutung. Acht Prozent aller italienischen Apotheken sind nämlich kommunale Apotheken." Man gehe davon aus, dass andere italienische Kommunen dem Beispiel von Bologna folgen und ihre Apotheken ebenfalls abstoßen bzw. privatisieren werden.

Der Einkauf in diese Apotheken von Bologna und die Ankündigung, diesen Weg weitergehen zu wollen, sorgte verständlicherweise für Unruhe unter den italienischen Apothekerinnen und Apothekern. Gerüchte kursierten schnell, dass es eine Strategie von Gehe sei, jede Apotheke groß um- und auszubauen und sie in Richtung Drugstore umzugestalten. Durch diese Aufkäufe alarmiert, wurde sogar Ende April ein Gesetzentwurf eingebracht, dass nicht mehr als 49 Prozent der Anteile an den kommunalen Apotheken verkauft werden dürften, damit die Kommunen noch Mehrheitseigner bleiben.

Am Anfang standen "Apotheken für die Armen"

Wie kam es überhaupt dazu, dass Gemeinden in Italien eigene Apotheken betreiben konnten? Um die Arzneimittelversorgung nach dem Krieg möglichst schnell wieder in Gang zu bringen und aufrecht zu erhalten, eröffnete die Stadt Bologna eine kommunale Apotheke. Ziel war es, Arzneimittel zu moderaten Preisen und Dienstleistungen der Apotheke auch ärmeren Bevölkerungsschichten zur Verfügung stellen zu können. Man gründete 1951 die Azienda Farmaceutica Munipalizzata (AFM), eine Art städtischer pharmazeutischer Betrieb. Als eine der ersten Apotheken wurde die "Farmacia Comunale" im Palazzo d'Accursio 1957 eröffnet. Die Apotheke in den alten Räumen des Palastes an der Piazza Maggiore gilt heute als ein Aushängeschild der AFM.

Gerade diese Apotheke begann schon sehr bald, neben dem Offizinbetrieb einen kleinen Handel mit Arzneimitteln für Krankenhäuser und Kurkliniken. In den folgenden Jahren eröffnete die AFM weitere Apotheken im gesamten Stadtgebiet von Bologna, allein 1964 wurden acht Apotheken eröffnet, die in Randbezirken der Stadt angesiedelt sind. In den siebziger Jahren expandierte die AFM weiter, sie schloss sogar Liefer- und Serviceverträge mit Apotheken angrenzender Gemeinden.

Dienstleistungen im Vordergrund

Ein Markenzeichen der AFM sind seit jeher die Dienstleistungen, die von Anfang an groß geschrieben wurden, beispielsweise Fortbildung, Gesundheitserziehung und die Einführung einer Dienstbereitschaft rund um die Uhr. Gehe wird, so war von der AFM in Bologna zu hören, den Gedanken der Apotheke als Dienstleistungszentrum stärken, eine Stellung, die diese kommunalen Apotheken seit jeher anstrebten und aufbauten. So sollen die kommunalen Apotheken unter Führung des deutschen Pharmagroßhändlers auch weiterhin Dienstleistungen anbieten wie z.B. Analysen, Hilfe bei der Vermittlung von Klinikterminen, Ernährungs-Check und Beratungsaktivitäten.

Die Apotheke soll ein Kommunikationszentrum werden und beispielsweise Initiativen zur Gesundheitserziehung organisieren. Hier sollen sich Ärzte und Experten treffen, um Themen rund um die Gesundheit, insbesondere zur Krankheitsvorbeugung, der Bevölkerung nahe zu bringen. Zwischen April und Juni dieses Jahres haben in der Apotheke an der Piazza Maggiore bereits 23 solcher Treffen stattgefunden. Themen wie Allergien, Hepatitis, Stress, Sonnenschutz u.ä. standen im Mittelpunkt. Außerdem sollen Randgebiete der Gesundheit verstärkt beachtet werden, wie alternative Medizin, der Bereich Kosmetik oder spezielle Ernährungsformen. Solche Dienstleistungen sollen in den nächsten Jahren noch verstärkt und weiter ausgebaut werden, um den Kunden der Apotheke ein Maximum an Beratung und Service zu bieten.

Gehe will also, wie uns auch der Apothekerverband in Bologna versicherte, keine pharmazeutischen Supermärkte oder Drugstores einrichten, sondern die Dienstleistungen auf die Bedürfnisse der Kunden zuschneiden, aus der Tradition der kommunalen Apotheken heraus. Entwarnung also für die italienischen Apotheken - das Mehrbesitzverbot wird nicht fallen, die heute bestehenden Ausnahmeregelungen im Hinblick auf kommunale Apotheken bleiben allerdings weiter bestehen.

Wie geht' s weiter in Italien?

Weitere Apotheken stehen bereits als Übernahmekandidaten bei ausländischen Großhändlern auf der Liste, so beispielsweise 89 Apotheken in Mailand, außerdem einige Apotheken in Florenz, Livorno und Venedig. Und die ausländischen Großhändler haben bereits anklingen lassen, in Italien weiter zu wachsen.

Wenn solche Großunternehmen italienische Apotheken in cumulo übernehmen, dann befürchten die privaten Apotheken natürlich eine Konkurrenz von dieser Seite. Man fürchtet ums Überleben, wenn die kommunalen Apotheken gestärkt werden, und viele befürchten, apothekenfremde Waren verkaufen zu müssen, um überleben zu können. Denn auch in Italien hält man die Ethik des Apothekerberufs hoch (jedenfalls auf dem Papier und in Worten, auch wenn die Realität manchmal ein wenig anders auszusehen scheint). "Der Apotheker hat eine Rolle als Berater. Eine Gesundheitseinrichtung wie eine Apotheke kann nicht dem reinen Geschäftemachen preisgegeben werden", sagte beispielsweise der Sekretär der Federfarma, des italienischen Apothekerverbands.

Cave: Mehrbesitzerlaubnis und Niederlassungsfreiheit

Wie aus dem Gespräch mit den Apothekern in Bologna hervorgeht, nehmen die italienischen Apotheker die aus Großhandelsaktivitäten resultierende Kettenbildung relativ gefasst auf. Zum einen gab es ja auch vor der Übernahme durch die Großhändler schon den Mehrbesitz der Kommunen. Zum andern - und das halten wir für besonders wichtig - fühlen sie sich im Schutz der Niederlassungsbeschränkung sicher. Eine solche existiert bekanntlich auch in England, dem Land der Apothekenketten. Weder Boots noch Lloyds können dort neue Apotheken eröffnen, sie können nur bestehende übernehmen und unterliegen ansonsten einer strengen Bedarfsprüfung bezüglich Eröffnung neuer Apotheken.

Fatale Folgen besonders für kleinere Apotheken hätte es wohl, wenn in Deutschland zur bestehenden Niederlassungsfreiheit - die außer bei uns nur in drei anderen EU-Ländern besteht - die Aufhebung des Mehrbesitzverbots käme - eine Situation, wie sie in England und in Italien weder besteht noch in Aussicht steht.

Die Apotheken in Italien

Mit 16000 Apotheken, die durchschnittlich 3500 Einwohner versorgen, nimmt Italien in der EU einen Mittelplatz ein. Extremwerte sind in Dänemark anzutreffen mit 1 Apotheke auf 17300 und Griechenland mit 1 Apotheke auf 1300 Einwohner. Noch steigt die Zahl der Apotheken in Italien leicht, Insider schätzen, dass der Quotient auf 3300 Einwohner pro Apotheke fallen wird. Apothekenneugründungen entstehen meist deshalb, weil ein junger, niederlassungswilliger Apotheker eine bestehende Apotheke aufgrund des hohen Preises nicht kaufen kann. Für eine Apotheke muss in der Regel nämlich ein Jahresumsatz bezahlt werden, Verhältnisse, von denen wir in Deutschland weit entfernt sind. Die Niederlassungsfreiheit hat eben ihren (niedrigen) Preis. Es ist nicht allzu einfach, eine Apotheke neu zu gründen, denn hier gibt es Vorschriften für die Niederlassung. Bis 12500 Einwohner ist pro 5000 Einwohner eine Apotheke zugelassen, über 12500 Einwohner ist eine dritte Apotheke möglich. In größeren Städten wird pro 4000 Einwohnern eine Apotheke zugelassen, die Entfernung zwischen den Apotheken muss allerdings mindestens 200 Meter betragen. Durch Landflucht der Bevölkerung ist heute die Situation entstanden, dass 3500 Einwohner und weniger pro Apotheke gezählt werden - so auch in Bologna.

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