Arzneimittel und Therapie

Gentechnisch hergestellte Medikamente werden immer wichtiger

Fast drei Viertel (73%) der Bevölkerung sind mittlerweile der Ansicht, daß die Gentechnik für die Medizin Fortschritte bringt, und knapp 57% würden gentechnisch hergestellte Arzneimittel einnehmen. Dies ergab eine repräsentative Umfrage des EMNID-Instituts, die im Frühjahr 98 durchgeführt wurde. Die gentechnische Herstellung von Proteinen hat gegenüber ihrer konservativen Gewinnung aus Organen oder Geweben zahlreiche Vorteile: Größere Mengen eines bestimmten Proteins sind in höherer Reinheit herstellbar, und die Gefahr der Übertragung von Infektionskrankheiten kann minimiert werden.

Der Anteil gentechnisch hergestellter Arzneimittel am Weltpharmamarkt ist in den letzten Jahren exponentiell gestiegen: Im Jahr 1997 sind in Deutschland bereits 1,8 Mrd. DM mit diesen Medikamenten umgesetzt worden, und für das Jahr 2000 rechnet man mit einem Anteil von 16% am Gesamtvolumen.

USA sind weltweit die Nummer Eins

Weltweite Nummer Eins in dieser Zukunftstechnologie sind nach wie vor die USA, wo derzeit in der Industrie an etwa 350 Projekten gearbeitet wird. Auf dem deutschen Markt sind inzwischen 43 gentechnisch produzierte Fertigpräparate mit 29 Wirkstoffen vertreten, 12 stehen vor der Zulassung.
Arzneimittel, die mit gen- oder biotechnischen Methoden hergestellt werden, müssen von der europäischen Behörde (EMEA) zugelassen werden. Eine erteilte Zulassung gilt dann europaweit.

Gentechnisch werden hauptsächlich Proteine hergestellt

Gentechnisch hergestellte Pharmaka sind durchweg Proteine, denn die Gentechnik nutzt das Prinzip der Proteinbiosynthese, in deren Verlauf die genetische Information der DNA in eine bestimmte Aminosäurensequenz übersetzt wird.
Bakterien verfügen über extrachromosomale DNA, sogenannte Plasmide, die von Bakterium zu Bakterium übertragen werden können und in der Gentechnik ein große Rolle spielen. Mit Hilfe von Enzymen, den Restriktionsendonukleasen, können sowohl das Plasmid aufgeschnitten als auch das abzulesende Gen aus der DNA herausgetrennt werden. Im nächsten Schritt baut die DNA-Ligase dieses Gen paßgenau in das Plasmid ein, wodurch eine rekombinante DNA entsteht. Schleust man dieses Plasmid beispielsweise in Coli-Bakterien ein, dann wird bei der Bakterienvermehrung auch die neue DNA vervielfältigt, das Gen wird "kloniert". Gelingt es nun, die Expression des Proteins zu induzieren, so produzieren die veränderten Bakterien das entsprechende Protein in großer Menge, und nach mehreren Reinigungsschritten liegt es schließlich als reiner Arzneistoff vor.

Nicht jedes Expressionssystem ist verwendbar

Expressionssysteme sind Zellen, die anhand der eingebrachten DNA das gewünschte Protein synthetisieren. Die heute verfügbaren Systeme haben unterschiedliche Vor- und Nachteile. So ist beispielsweise das häufig eingesetzte Bakterium E. coli im Labor leicht kultivierbar und produziert das gewünschte Protein in beträchtlicher Menge. Die entstandenen Polypeptidketten werden jedoch in Einschlußkörperchen sezerniert und oft nicht richtig gefaltet, weshalb eine intensive, verlustreiche Aufbereitung notwendig ist. Größter Nachteil der Bakterien ist, daß sie keine posttranslationale Modifikation durchführen und daher die oft wichtigen Glykosilierungen am Proteinmolekül fehlen.
Saccharomyces cerevisiae (Bäckerhefe) ist ebenfalls leicht zu fermentieren und gibt das gebildete Protein ins Kulturmedium ab, so daß die Reinigung weniger aufwendig ist. Glykosilierungen werden am Protein zwar durchgeführt, jedoch verwendet die Hefe dazu andere Zucker als menschliche Zellen.
Sollen sehr zuckerreiche Proteine wie der Blutgerinnungsfaktor VIII hergestellt werden, muß man auf Säugetierzellen als Expressionssystem zurückgreifen. Sie führen die gewünschte posttranslationale Modifikation durch und sezernieren das synthetisierte Protein ins Kulturmedium. Nachteilig ist jedoch ihre große Empfindlichkeit. Außerdem benötigen sie ein teures Kulturmedium (z. B. Kälberserum).

Arzneilich verwendete Proteine

Bei den arzneilich verwendeten Produkten der Gentechnik handelt es sich um Proteine, die aus menschlichen Genen abgeleitet wurden. Sie sind nicht immer mit dem Originalprotein identisch. So fehlt beispielsweise bei den Hirudin-Präparaten die posttranslationale Modifikation, oder man erhält durch Austausch einzelner Aminosäuren neue pharmakokinetische Eigenschaften, zum Beispiel beim Insulinanalogon Insulin lispro.
Gentechnische Präparate können aufgrund ihrer Peptidstruktur nicht oral, sondern im allgemeinen nur intravenös, intramuskulär oder subkutan appliziert werden. Im folgenden werden Beispiele für im Handel befindliche Fertigarzneimittel, die gentechnisch gewonnen werden, vorgestellt.

Hormone

  • Humaninsulin war im Jahr 1982 das erste gentechnisch produzierte Arzneimittel auf dem Markt. Nach jahrelangem Genehmigungsverfahren wird es nun auch in Deutschland aus E. coli hergestellt. Insulin lispro (Humalog) ist aufgrund zweier ausgetauschter Aminosäuren schneller wirksam als Humaninsulin.
  • Somatotropin (STH) ist ein streng artspezifisches Hormon und wurde bis 1985 aus der Hypophyse menschlicher Leichen gewonnen. Zur Behandlung des hypophysären Zwergwuchses wird heute, um eine Übertragung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auszuschließen, nur noch gentechnisch produziertes STH eingesetzt.
  • Erythropoetin = Epoetin (z.B. Erypo, Recormon) ist ein Hormon, das aus der Niere stammt und die Bildung von Erythrozyten anregt. Es ist unter anderem bei renaler Anämie indiziert. Einzelne Hochleistungssportler mißbrauchen dieses Hormon (z. B. bei der diesjährigen Tour de France) als Dopingmittel.
  • Follikelstimulierendes Hormon (FSH, z.B. Gonal-F, Puregon) wird eingesetzt, um eine fehlende Ovulation auszulösen. Eine Qualitätsuntersuchung ergab, daß aus menschlichem Urin gewonnenes FSH sogar nach Aufarbeitung noch erheblich mehr Verunreinigungen enthält als das gentechnisch gewonnene Produkt.

Interferone und Interleukine

  • Gentechnisch hergestelltes Interferon alfa-2a bzw. -2b (Roferon bzw. Intron A) wird bei verschiedenen Krebserkrankungen sowie bei Hepatitis-B- und -C-Infektionen eingesetzt.
  • Interferon beta-1b (Betaferon) ist ein rekombinantes, modifiziertes Interferon, das zur Behandlung der schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose seit einigen Jahren verfügbar ist.
  • Interferon gamma-1b wird aus gentechnisch veränderten E. coli-Stämmen gewonnen und ist bei Patienten mit chronischer Granulomatose indiziert.
  • Das einzige gentechnisch gewonnene Interleukin auf dem deutschen Markt ist Interleukin 2, das zur Palliativbehandlung bei bestimmten Karzinomen verwendet wird.

Andere Arzneimittel

  • Das Hepatitis-B-Oberflächenantigen (HBsAg, z.B. in Twinrix, Engerix, Gen HB-Vax) wird für die aktive Impfung gegen Hepatitis B heute in Hefezellen hergestellt, während die Hepatitis-Impfstoffe der ersten Generation noch aus Patientenblut gewonnen wurden.
  • Dornase alfa wird mit Hilfe des klonierten Gens für die DNAse in einer Säugetierzellinie hergestellt. Das Präparat wird bei zystischer Fibrose (Mukoviszidose) als Inhalationslösung (Pulmozyme) eingesetzt und spaltet selektiv extrazelluläre DNA im Bronchialschleim, wodurch dieser verflüssigt wird.
  • Abciximab (ReoPro) ist das Fab-Fragment eines Antikörpers, der gentechnisch hergestellt wird und an Thrombozyten bindet, wodurch die Thrombozyten-Aggregation gehemmt wird. Dieses moderne Therapieprinzip wird bei Herzoperationen erfolgreich eingesetzt.
  • Alteplase (Actilyse) und Reteplase (Rapilysin) sind Fibrinolytika, die aufgrund ihrer geringen Molekularmasse in Thromben diffundieren und diese auflösen können. Eingesetzt werden diese Präparate bei der thrombolytischen Therapie eines Herzinfarkts.
  • Gentechnisch gewonnene Blutgerinnungsfaktoren, die bei Hämophilie anstelle von Plasmapräparaten verwendet werden, sind bezüglich HIV oder Hepatitis-Viren sicherer.
  • G-CSF aus E. coli (Neupogen) ist ein rekombinanter, humaner Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor, der beispielsweise bei einer Chemotherapie eingesetzt wird, um die Blutstammzellen zu aktivieren und eine Neutropenie zu verkürzen.

Vorteile rekombinanter Proteine

Ohne den Einsatz gentechnischer Verfahren ständen heute einige Humanproteine wie Erythropoetin oder DNAse für die Therapie nicht zur Verfügung. Rekombinante Proteine können durch die neuen Methoden zudem reiner und in größerer Menge gewonnen werden als aus menschlichen oder tierischen Geweben. Wirkt ein Protein sehr artspezifisch, ist die Gewinnung aus Schlachttieren ohnehin sinnlos.
Bei gentechnisch hergestellten Präparaten ist die Infektionsgefahr mit menschenpathogenen Viren oder Prionen kaum noch vorhanden. Rekombinante humane Proteine werden zudem vom Menschen meistens besser vertragen als ihre tierischen Analoga. Trotzdem bilden einige Patienten auch gegen humanidentische Proteine Antikörper aus, wie sich beispielsweise in der Therapie mit Insulin oder Interferonen gezeigt hat.

Quelle: Dr. Anke Schmidt, Schwetzingen, Vortrag "Gentechnisch hergestellte Arzneimittel", Reutlingen, 1. Dezember 1998, veranstaltet von der Apothekerkammer Baden-Württemberg.

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